Ukraine: Einigkeit und Kampf um Freiheit?

Fussnoten

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Vergleichende Umfragen privater Institute zeigen, dass der Anteil der Zugereisten Anfang Februar schon bei fast 88 Prozent lag. Mehrheitlich kamen diese auswärtigen Aktivisten aus der Westukraine. Siehe die Grafiken 1 und 2 (Seite 20) in den Ukraine-Analysen Nr. 127. Dass gewaltbereite Zugereiste auch schon früh beim Euromaidan eine Rolle spielten, macht eine Passage aus der Dokumentation "Kiew brennt. Eskalation auf dem Maidan" deutlich: Ein älterer Mann, der versucht die umgestürzte Kiewer Lenin-Statue vor nationalistischen Demonstranten zu schützen, sagt mit Blick auf die Zugereisten: "In unsere Stadt zu kommen und Monumente umzustürzen, das ist Barbarei." Bei YouTube wurde die komplette Dokumentation inzwischen aus "urheberrechtlichen Gründen" gesperrt. Arte, das den Film immerhin kürzlich zweimal im Nachtprogramm zeigte, hat ihn aus der Mediathek entfernt

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Jörg Kronauer: "Ukraine über alles! Ein Expansionsprojekt des Westens." Hamburg, 2014 (Seiten 16/17)

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ZDF: "Sonntags extra" vom 18. Januar (bei 28:40). Beachtlich an der darauf folgenden Sendung war dann bspw., dass die Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew, Gabriele Baumann, ohne jeglichen Hinweis auf ihre Identität durch die Macher der Sendung im Gottesdienst wie ein durchschnittliches Kirchenmitglied auftreten und eine russische Aggression konstatieren durfte. Die Parteistiftung der CDU ist im wahrsten Sinne des Wortes in der Ukraine ein parteiischer Akteur, da sie Putingegner und Maidansieger Vitali Klitschko und dessen Partei UDAR finanziell und organisatorisch unterstützt. Nach den Worten des nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Werner Jostmeier hat die Stiftung Vitali Klitschko sogar "beauftragt" eine christlich-konservative Partei in der Ukraine zu gründen und zu etablieren. Die Aussage hat der CDU-Mann mittlerweile von seiner Website gelöscht. Auf der Website der UDAR wird die CDU neben den Parteistiftungen der US-Republikaner und US-Demokraten als Partner aufgeführt.

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Diese formal-politische Unabhängigkeit sagt allerdings nichts Generelles über realpolitische Handlungsfreiheiten von Regierungen und Staatsoberhäuptern aus. Weltweit üben mächtige Staaten diskret oder ganz offen wirtschaftlichen Druck auf schwächere Staaten aus, um deren politisches Wohlverhalten zu erzwingen. Die Ukraine, als Schnittstelle zweier geopolitischer Machtblöcke, war von beiden Seiten unter Druck; konnte beide aber auch gegeneinander ausspielen. Zudem muss die wirtschaftliche Abhängigkeit der Ukraine von Russland als wechselseitiges Phänomen betrachtet werden. Auch Russland war und ist auf ukrainische Leistungen angewiesen: Gas-Transport (Pipelines), Flottenstützpunkt, Rüstungsexporte, landwirtschaftliche Erzeugnisse, Arbeitsmigration.

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Reinhard Lauterbach: "Bürgerkrieg in der Ukraine. Geschichte, Hintergründe, Beteiligte." Berlin, 2014 (Seite 76)

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Jörg Kronauer schreibt in seinem Buch ("Ukraine über alles"), Kutschma habe als ukrainischer Präsident von 1994 bis 2005 eine "multivektorielle Außenpolitik" betrieben. (Seite 20) So schickte er die ukrainische Armee bspw. in mehrere Nato-Einsätze, wie etwa in den Irak. (Seiten 66/67) Viktor Janukowitsch habe auch eine Schaukelstrategie verfolgt. Er sorgte in seiner Amtszeit eben nicht dafür, dass die Ukraine in die eurasische Wirtschaftsunion eintrat. (Seite 119) Erst das westliche Hegemonialstreben zerstörte die Schaukelpolitik, die sich nach Umfragen auch mit dem Mehrheitswillen der Bevölkerung deckte, schreibt Kronauer. (Seite 20) Gabriele Krone-Schmalz erinnert ebenfalls in ihrem Buch ("Russland verstehen") daran, dass Janukowitsch in seiner gesamten Amtszeit zwischen Ost und West "hin- und her laviert" hat. Er habe ausdrücklich keine einseitige Politik der Anbindung an Russland verfolgt. (Seite 131)

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Die Autorin des Textes, Inga Pylypchuk, verweist in den folgenden Sätzen selbst auf die geringe Zustimmung zu einer ukrainischen Nato-Mitgliedschaft in der Zeit vor dem Maidan. Nun liege die Zustimmung dazu bei rekordverdächtigen 51 Prozent. Von den nicht berücksichtigten Krim-Bewohnern und dem propagandistischen Pro-Nato-Dauerfeuer der ukrainischen Oligarchenmedien abgesehen - hält Pylypchuk die restlichen 49 Prozent demzufolge nicht für Ukrainer.

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Gabriele Krone-Schmalz: "Russland verstehen. Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens." München, 2015 (Seite 125)

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Roman Danyluk: "Kiew Unabhängigkeitsplatz. Verlauf und Hintergründe der Bewegung auf dem Majdan." Lich, 2014 (Seite 36)

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Danyluk betont, dass bis zu 5 Millionen Menschen aus der Mitte und dem Westen der Ukraine in EU-Staaten wie Polen, Deutschland oder Österreich - oft illegal und nur mit Touristenvisa - eine Arbeit aufgenommen haben. Gleichzeitig gebe es rund drei Millionen süd- und ostukrainische Arbeitsmigranten, die in Russland in Lohn und Brot stünden.

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Russland ist heute der größte Außenhandelspartner der Ukraine, schreibt Danyluk in seinem Buch ("Kiew Unabhängigkeitsplatz", Seite 22).Und weiter: "Viele süd- und ostukrainische Firmen sind in eine gemeinsame Produktionskette mit russischen Betrieben eingebunden, insbesondere in der Rüstungsindustrie. Bei einer ausschließlichen Verflechtung mit der EU müssen zahlreiche ArbeiterInnen in der Ostukraine Angst um ihre Arbeitsplätze, das heißt um ein sicheres Einkommen haben."

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Einen - wenn auch sehr klischeebetonten - Eindruck von der ethnischen Vielfalt des Landes vermittelt diese Serie von Werbefilmen zum "Geburtstag" der Ukraine. Sie wurde 2010 im Vorfeld des Unabhängigkeitstags im ukrainischen Fernsehen ausgestrahlt.

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Kerstin S. Jobst: "Geschichte der Ukraine." Stuttgart 2010 (Seite 40); Die Spaltung der Ukraine sei wesentlich komplexer als das Ost-West-Schema andeute. Jobst nennt folgende Regionen: den Westen, die Zentralukraine, die Ostukraine, die Krim und den Süden, Teile dessen seien in der Zarenzeit "Neurussland" genannt worden. Nach historischer Prägung aufgeschlüsselt, unterscheidet Jobst sechs unterschiedliche Regionen der Ukraine.

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Andreas Kappeler: "Kleine Geschichte der Ukraine." Bremen, 2000 (Seiten 20/21); Kappeler nennt die zentrale Region um Kiew, die Ostukraine (untergliedert in Donbass und "Sloboda-Ukraine"), den Süden, die Westukraine (unterteilt in Galizien, Bukowina, Podolien, Podlachien und Cholmer Land) sowie die Karpaten-Ukraine. Zudem verweist Kappeler auf sogenannte "Subgruppen des ukrainischen Ethos" wie Rusynen, Huzulen, Bojken oder Lemken - Völker, die in der Karpatenregion siedeln.

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Reinhard Lauterbach schreibt in seinem Buch: Die Ukrainer, die den Euromaidan kritisierten, sahen sich selbst als "schweigende Mehrheit" in ihrem Land. ("Bürgerkrieg in der Ukraine", Seite 115)

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Im Donbass, den die Institute als extra Region neben dem Osten des Landes führen, lag die aktive Unterstützung bei 2,9 Prozent. Im Osten lag sie bei 4,9 Prozent und im Süden bei 3,4 Prozent. Die Bewohner der Krim wurden nicht in die Umfrage miteinbezogen. Auch hier wäre ein niedriger einstelliger Wert zu erwarten gewesen und hätte das Gesamtergebnis der Maidanunterstützung insgesamt geringer ausfallen lassen.

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Die Zahlen finden sich in Ausgabe 142 der Ukraine-Analysen (Seite 11, Grafik 2). Da bei der Art der Unterstützung mehrere Antworten pro Person möglich waren, summieren sich die Anteile auf mehr als 100 Prozent. Dass die ideelle Unterstützung des Maidan aber durchaus höher lag als die praktische Beteiligung, lässt sich indirekt aus Grafik 1 ableiten. Die Umfrage wurde im Oktober vom Fonds demokratischer Initiativen und dem Kiewer Internationalen Institut für Soziologie erstellt und findet sich im Original online hier. Die Ukraine-Analysen werden gemeinsam von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde herausgegeben.

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Über die Wahl schreibt der in öffentlich-rechtlichen Medien gern zu Rate gezogene Slawist und Historiker Gerhard Simon erwartungsgemäß simplifizierend: "Die Wahlen haben gezeigt, dass vor allem die Ukrainer selbst entschlossen sind, für ihre Ziele einzustehen (…)." Dass nur etwa jeder Zweite überhaupt zur Wahl gegangen ist (Wahlbeteiligung: 53 Prozent) erwähnt Simon nicht. Weiter vermutet er in dem Text, dass Demokratie und Freiheit von Kiew ausgehen und eine Bedrohung für Moskau seien. Auch frühere Wahlanalysen Simons blieben sehr oberflächlich: In einem Interview zu den vorangegangenen Parlamentswahlen 2012 versuchte er die fünf ins Parlament gewählten Parteien der Ukraine vorzustellen. Dabei gelang dem wissenschaftlichen Experten das Kunststück, nur über Personen zu reden und keinen einzigen programmatischen Punkt der Parteien anzusprechen. Obendrein bezeichnete Simon in dem Interview die rechtsradikale Swoboda als "sozialistische Gruppierung".

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Partiell stimme das auch, sagt Timtschenko. "Teile des Antimaidan waren gekauft, genau wie auch Teile des Euromaidan."

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Nicht nur in den neuen Republiken Donezk und Lugansk wird die militante Politik der neuen Kiewer Regierung abgelehnt. So berichtete in der ukrainischen Internetzeitung Korrespondent.net ein georgischer Scharfschütze, der aufseiten Kiews in einem Freiwilligenbataillon kämpft, dass die Einwohner der Hafenstadt Mariupol "zu 80 Prozent gegen die ukrainische Armee" seien.

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Euromaidan und Anti-Maidan hätten jeweils zu großen Teilen in den schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Ukraine gewurzelt, sagt Danyluk gegenüber Telepolis. Und es gebe eine weitere Parallele zwischen beiden: "Sowohl die überwiegend demokratische Maidan-Bewegung in Kiew wie der sogenannte Anti-Maidan der Arbeiter und Arbeiterinnen in der Süd- und Ostukraine wurden sehr schnell von den Herrschenden in eine nationalistische Mobilisierung umgebogen."

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"PR-Spin" hier verstanden als "richtiger Dreh" bei der öffentlichen Darstellung des Euromaidan im Sinne seiner politischen Sieger sowie seine internationalen politischen und medialen Unterstützer. Es ging darum, den Maidan so zu zeigen, dass deren machtpolitische und ökonomische Interessen unerwähnt blieben.

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