Ukraine-Krieg: Dänemark strebt aktivere Rolle an Seite von USA und Nato an

Seite 2: Sicherheitspolitische Zeitenwende

Die politische Vorlage zur Durchführung des Referendums war der sogenannte Nationale Kompromiss zur dänischen Sicherheitspolitik, welcher neben dem Referendum weitere Eckpfeiler zukünftiger dänischer Politik in diesem Bereich definiert. Hervorzuheben sind die Verpflichtung, die dänischen Verteidigungsausgaben schrittweise bis ins Jahr 2033 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben sowie die stufenweise Entkopplung Dänemarks von der russischen Erdgasversorgung. Konkrete Schritte zur Umsetzung des Kompromisses und seiner Ziele werden in den kommenden Monaten festgelegt.

US-Truppen in Dänemark?

Die Abschaffung des EU-Verteidigungsvorbehaltes ist nicht die einzige aufsehenerregende Entwicklung in der dänischen Sicherheitspolitik der letzten Monate. Unmittelbar vor der russischen Invasion in der Ukraine beschloss die dänische Regierung, Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten über einen bilateralen Kooperationsvertrag im Verteidigungsbereich aufzunehmen. Obwohl der konkrete Inhalt eines solchen Vertrages erst in zukünftigen Verhandlungen definiert wird, teilte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bereits mit, dass der Vertrag mit hoher Wahrscheinlichkeit die Stationierung US-amerikanischer Soldaten auf dänischem Boden beinhalten werde.

Dieser Schritt ist ein markanter Paradigmenwechsel in der dänischen Sicherheitspolitik, da US-amerikanische Truppen bisher selbst zu Zeiten des Kalten Krieges nicht auf dänischem Boden stationiert waren. Eine Ausnahme bildet hierbei die 1951 errichtete Thule Air Base im autonomen Grönland. Ein Vertrag über die Stationierung von US-Soldaten in Dänemark könnte aus Sicht beider Länder von Vorteil sein. Während von dänischer Seite die Abschreckung potenzieller russischer Aggressionen in der Ostsee im Vordergrund steht, wären aus US-amerikanischer Sicht die strategische Lage der Ostseeinsel Bornholm und erhöhte Präsenz in der Arktis (Grönland) von Interesse.

Ungeachtet der noch ausstehenden Verhandlungen über den konkreten Inhalt eines dänisch-amerikanischen Verteidigungsvertrages zeichnen sich bereits die Konturen der zukünftigen Zusammenarbeit ab. Im Mai teilte das dänische Verteidigungsministerium in einer Pressemitteilung mit, dass die USA Interesse an einer Nutzung des Nordseehafens von Esbjerg zeigen würden.

Das konkrete Interesse bestehe dabei in der Nutzung des Hafens als Aufmarsch- und Entladehafen für US-Truppen und Militärtechnik im Zuge kommender Truppenverlegungen nach Mittelosteuropa und ins Baltikum. Die Zustimmung des dänischen Parlaments vorausgesetzt, sollen die notwendigen Verbesserungen der Hafeninfrastruktur bis Ende 2023 abgeschlossen werden.

Zunehmende Spannungen im Ostseeraum

Für noch größeres Aufsehen sorgte ein gemeinsames dänisch-amerikanisches Militärmanöver auf Bornholm. Als Teil der "DEFENDER-Europe-22"-Übung, die zeitgleich in neun europäischen Ländern durchgeführt wurde, trainierten dänische und US-Truppen die Stationierung eines HIMARS-Raketensystems auf der Ostseeinsel – jenes System, das die USA und andere westliche Staaten seit Ende Mai auch der Ukraine zur Verfügung gestellt haben.

Mit seinen mehrere hundert Kilometern Reichweite hat das System das Potenzial, feindliche militärische Aktivitäten in der westlichen Ostsee zu unterdrücken. Von russischer Seite wurde die Übung scharf kritisiert. Darüber hinaus beruft sich die russische Botschaft in Kopenhagen seit einiger Zeit auf ein – nach eigener Aussage – offizielles Schreiben eines dänischen Gesandten an den sowjetischen Außenminister Molotow aus dem Jahr 1946, in dem angeblich vereinbart wurde, dass die Rückgabe Bornholms an Dänemark nach dem Zweiten Weltkrieg an das Versprechen geknüpft sei, keine ausländischen Truppen auf der Insel zu stationieren.

Dänemark bestreitet den offiziellen Charakter dieses Dokumentes und damit seine bindende Wirkung. Außenminister Jeppe Kofod bemerkte im Februar:

Es ist nicht das erste Mal, dass man diese falsche Behauptung von russischer Seite anführt. Aber dadurch wird sie nicht richtiger.

Diese und andere Entwicklungen wie der angestrebte Beitritt Schwedens und Finnlands zur Nato lassen die logische Schlussfolgerung zu, dass die Spannungen im Ostseeraum in der Zukunft wieder zunehmen werden. Dabei steht für Dänemark auch die militärische Stärkung der baltischen Staaten im Vordergrund. Konkrete Schritte dazu sind Anfang 2022 in die Wege geleitet worden, darunter die Stationierung eines dänischen Kampfbataillons von 750 Soldaten in Lettland und von 220 Soldaten in Estland.

Auch im Rahmen der britisch geführten Joint Expedition Force, einer Verteidigungszusammenarbeit von zehn Ländern im Ost- und Nordseeraum, darunter Schweden und Finnland, nimmt Dänemark mit bedeutenden Beiträgen an gemeinsamen Manövern teil. Diese Beispiele zeigen, dass die dänische Sicherheitspolitik in den letzten Jahren durch ein zunehmend selbstbewussteres Auftreten gegenüber Russland im Rahmen der Nato gekennzeichnet ist.

Die Abschaffung des Vorbehaltes im Bereich der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird langfristig dazu beitragen, dass Dänemark auch eine aktivere Rolle bei der Gestaltung einer eigenen europäischen Sicherheitspolitik einnehmen kann und wird.

Thomas Zelt ist Politikwissenschaftler, redaktioneller Mitarbeiter von Welttrends und lebt und arbeitet seit 2011 in Dänemark. thomas.zelt@welttrends.de