Ukraine-Krieg: "Das ist nicht unser Krieg"

Seite 2: "Unser Recht ist es, Waffen und Geld zu geben"

Der einzige Weg, die Ukraine zu retten, sei, dass die US-Amerikaner direkte Verhandlungen mit Russland aufnehmen würden. Man müsse "eine Vereinbarung über ihre Sicherheitsarchitektur treffen und einen Platz für die Ukraine in dieser Sicherheitsarchitektur finden".

Orban plädiert dafür, die Verantwortung von den Militärs zurück auf die Diplomaten zu verlagern. Man dürfe den regionalen Krieg nicht zu einem globalen Krieg ausweiten lassen, auch nicht indirekt im Sinne eines globalen Wirtschaftskrieges oder indem man auch vom Süden und der Dritten Welt Parteiennamen verlangt und diese entsprechend mit Wirtschaftsverträgen belohnt oder bestraft.

In all dem, wie auch in der Absage an weitere Waffenlieferungen, stellt sich der ungarische Ministerpräsident deutlich gegen den offiziellen Ukraine-Kurs der EU.

Auf den häufig zu hörenden Einwand, dies sei allein eine Entscheidung der Ukraine, entgegnet Orban kühl:

Die Ukraine hat das Recht über ihre eigene Zukunft zu entscheiden, und darüber, ob sie in den Krieg ziehen oder nicht. Unser Recht ist es, Waffen und Geld zu geben. Ich möchte niemanden von etwas überzeugen. Das ist nicht meine Aufgabe. Es ist nicht unser Krieg.

Viktor Orban

Russische Innenansichten

Einer der wichtigsten Themenbereiche des Gesprächs ist die Frage der Einschätzung Russlands. Der Putschversuch der Wagner-Söldnertruppe vor einer Woche beispielsweise sei relativ bedeutungslos.

Ich sehe keine große Bedeutung in diesem Ereignis. Wir haben Nachrichtendienste, die sind zuverlässiger als andere.

Wenn das überhaupt passieren konnte, sei es zwar ein klares Zeichen von Schwäche, aber wenn es innerhalb von 24 Stunden erledigt wurde, werde das wiederum zu einem Zeichen von Stärke. Orbans Fazit:

Es ist vorbei und der Krieg geht weiter. (...) Wer glaubt, dass Putin als russischer Präsident abgesetzt werden könnte, der kennt das russische Volk nicht.

Also offenbar auch der russische Kriegs-Oligarch Prigoschin. Orban erinnert mit seiner Position auch daran, dass in Russland in den letzten 200 Jahren nur ein einziges Mal ein Herrscher gestürzt wurde: 1917 Zar Nikolaus II. Die anderen Herrscher starben an der Macht. Oder sie traten zurück oder sie wurden abgewählt, aber nicht durch eine Revolution, auch keine Palastrevolution beseitigt.

"Russland arbeitet und funktioniert anders als die europäischen Länder" - mit diesem Satz erklärt uns der ungarische Politiker eigentlich: Russland gehört nicht zu Europa.

Diese Position Orbans gegenüber Russland ist interessant für ein Land, das sehr großen Wert auf nationale Souveränität legt und von großem – viele würden sagen: übertriebenem – Nationalstolz und Nationalismus erfüllt ist, und das unter Russland mindestens zweimal im 20. Jahrhundert schwer gelitten hat: nach 1945 und 1956.

Zum historischen Bewusstsein und der speziellen ungarischen Situation gehört allerdings auch das Wissen darum, dass im Vertrag von Trianon (Teil der Versailler Verträge) 1918 Ungarn als Teil des besiegten Habsburgerreiches große Teile seines Staatsgebiets an das neu gegründete Polen abtreten musste, diese Teile wurden nach 1945 der sowjetischen Region Ukraine zugeschlagen.

Die Ukraine, die einerseits großen Wert auf die eigenen Territorien und ihr Staatsgebiet legt, denkt umgekehrt keineswegs daran, die Versailler Verträge und auch nicht die Nachkriegsverträge nach 1945 zu revidieren.

Denn dies würde bedeuten, dass die Ukraine große Teile ihres Staatsgebiets, und wieder andere Gebiete an Polen, Ungarn und etwa die Krim an Russland abtreten müsste.