Ukraine-Krieg: "Das ist nicht unser Krieg"

Archiv-Foto (2016): Indonesisches Präsidentenbüro (presidenri.go.id)

Mediensplitter (31): Die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und dem Westen ist ein Fehlschlag, so der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Er plädiert für "Frieden, Frieden, Frieden". Wie ist das einzuschätzen?

Wenn es einen Krieg gibt, dann ist das Reden über den Krieg Teil des Krieges, also ist es nur Propaganda.

Viktor Orban

Dies ist ein Medien-Coup, ein Interview, das es verdient, Schlagzeilen zu machen. Vor allem aber verdient es, aufmerksam und unvoreingenommen gelesen zu werden. Gut möglich, dass beides hierzulande trotzdem nicht geschehen wird, dass es die deutschen Leitmedien – sei es bewusst, sei es aus Unkenntnis – ignorieren.

Zum Schaden für die eigene Analyse und Fähigkeit zur nüchternen Lagebeurteilung.

Denn das Interview, das jetzt von Paul Ronzheimer in der Bild-Zeitung mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban geführt wurde, verdient es nicht, mit den üblichen Vorurteilen – und berechtigten – Abwehrreflexen gegen den Kampagnenjournalismus der Bild und den EU-Störenfied Orban abgetan zu werden.

Denn dort kann man nicht nur zwischen den Zeilen nachlesen oder nachhören, wie sich ein rechtspopulistischer Journalist mit einem rechtspopulistischen Politiker streitet. Wie Ronzheimer, dessen Zeitung innenpolitisch zurzeit gern als "neue APO" gegen die Ampel die AfD in den Schatten stellt, überaus staatstragend im Baerbock-Stil vorgeht.

Wie er alle Argumente der Reihe nach gegen Orban vorbringt, die vermeintlich für eine bedingungslose Unterstützung der Ukraine und einen Siegfrieden am Krim-Ufer sprechen: Russland hat angefangen; Angreifer dürfen nicht belohnt werden; Russland wolle die Ukraine vernichten; Putin sei ein Diktator und Kriegsverbrecher und so fort.

"Was jetzt zwischen Russland und der Ukraine passiert, ist definitiv schlecht für Ungarn"

Orban wiederum plädiert – nicht anders als führende Vertreter der deutschen Kirchen – für "Frieden, Frieden, Frieden". Er betrachte die Ereignisse in der Ukraine "immer unter dem Gesichtspunkt des Friedens, weil ich der Meinung bin, dass es am wichtigsten ist, einen Waffenstillstand zu erreichen und irgendwie Frieden zu schaffen."

Seine eigene Position skizziert Orban in der Tradition der "Realistischen Schule" als von der Staatsraison und dem nationalen Interesse geleitet:

Was ich tue, sind Positionen und Aktionen, die gut für die Ungarn sind. Was jetzt zwischen Russland und der Ukraine passiert, ist definitiv schlecht für Ungarn.

Eine interessante Aussage, denn der ungarische Regierungschef macht klar, dass es bei politischem Handeln um konkrete Politik geht, nicht um abstrakte Ideen. Es geht um Interessen, nicht um Werte.

Das nationale Interesse, auf der Ministerpräsident Ungarns pocht, wäre hier allerdings noch im Einzelnen zu definieren. Liegt zum Beispiel eine isolationistische Position innerhalb des Westens wirklich im ungarischen Interesse?

"Die Ukraine ist kein souveränes Land mehr"

Seine kühlen Überlegungen führen den ungarischen Ministerpräsidenten allerdings zu einer bemerkenswert nüchternen Einschätzung der politischen und militärischen Lage in der Ukraine:

Ich stehe auf dem Boden der Realität. Die Realität ist, dass die Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und dem Westen ein Fehlschlag ist.

Politiker und Medien im Westen würden einem Missverständnis der Situation der Ukraine unterliegen: "Das Problem ist, dass den Ukrainern die Soldaten früher ausgehen werden als den Russen und das wird am Ende der entscheidende Faktor sein."

Die Ukraine sei komplett vom Westen abhängig und ein Spielball in der Interessenabwägung der USA.

Was wirklich zählt, ist, was die Amerikaner tun möchten. Die Ukraine ist kein souveränes Land mehr. Sie haben kein Geld mehr. Sie haben keine Waffen mehr. Sie können nur kämpfen, weil die Amerikaner sie unterstützen. Wenn die Amerikaner also beschließen, dass sie Frieden haben wollen, wird es Frieden geben.

Schon jetzt hätte die Ukraine eine riesige Menge an Wohlstand und viele Menschenleben verloren, in der Zukunft würden "unvorstellbar Zerstörungen" passieren. Darum sei ein Friedensschluss vor einer kompletten Zerstörung der Ukraine die einzige vernünftige Lösung.

Vielleicht hätte Orban hier allerdings hinzufügen sollen, dass eine solche Entscheidung vor allem für den Westen ein harter Schlag sein würde, weil sie dem Westen moralisch das Rückgrat brechen könnte, nachdem dieser bislang immerzu einem "Sieg" der Ukraine das Wort redet und den ukrainischen Krieg zum Schicksalskampf zwischen Gut und Böse stilisiert.