Ukraine-Krieg: Der Westen im Tunnelblick

Tunnelblick Scheuklappen

Vor einer drohenden Niederlage dominieren Beruhigung und Durchhalteparolen: Politikwissenschaftler Christian Hacke über die Illusionen westlicher Außenpolitik.

"Ich befürchte, dass der Ukraine-Krieg zu Ungunsten des Westens 2025 zu Ende kommt." Der Westen steht auf verlorenem Posten und wird den Ukraine-Krieg in den nächsten eineinhalb Jahren verlieren. Und das nicht aufgrund fehlender Entschlossenheit, sondern wegen falscher Prioritäten und hausgemachter Illusionen.

Zu diesem bitteren, wenn auch für Beobachter nicht überraschenden Fazit kommt jetzt der Bonner Politikwissenschaftler Christian Hacke.

In einem exzellenten Interview im Deutschlandfunk versuchte Hacke am Ostersamstag ein bisschen Ordnung ins Chaos der westlichen Außenpolitik zu bringen und in die Wahrnehmung des Ukraine-Kriegs.

Hier hat es aus Sicht des Politikwissenschaftlers von Anfang an eine allzu optimistische und euphorische Einschätzung der Chancen und Kräfteverhältnisse und eine einseitige Konfliktwahrnehmung gegeben.

Aber:

"Es ist nichts von dem eingetreten, was in den USA, in Europa euphorisch erwartet wurde."

Stattdessen dominierten heute "nur Beruhigung und Durchhalteparolen". Man erlebe "eine ganz schwierige Situation".

Enger Meinungskorridor

Das Scheitern der westlichen Politik war für Hacke schon lange absehbar gewesen. Heute herrsche Ratlosigkeit vor.

Verhandlungen seien daher schnellstmöglich nötig, drängt Hacke. "Sie schwinden mit jedem weiteren Tag."

Seit zwei Jahren werde zu viel über Panzer und andere Waffensysteme geredet, aber der russische Vormarsch sei bisher weder durch Waffen noch durch die Wirtschaftssanktionen des Westens gestoppt worden.

Was ihn beunruhige, so Hacke, sei "dass diejenigen, die für Verhandlungen sind und diese fordern, doch heftig angegangen werden. Das finde ich nicht besonders glücklich". Der Meinungskorridor in der Bundesrepublik sei "relativ schmal".

Er, der früher die Friedensbewegung oft belächelt habe, verteidigt diese heute und findet wichtig, dass in Kriegszeiten "der Ruf nach Frieden und nach Verhandlungen nicht disqualifiziert werden darf. Egal, wie man dazu steht".

"Auch Historiker können irren"

Die kurz vor Ostern öffentlich gewordene Kritik weniger prominenter Historiker an der SPD hält Hacke, ein langjähriges CDU-Mitglied, für falsch: "Auch Historiker können irren." Es handle sich um bloße Meinungsbilder, keiner habe die Wahrheit und die Gerechtigkeit gepachtet – "hier ist viel Selbstgerechtigkeit im Spiel".

Er habe großen Respekt vor dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich und seiner Forderung, über ein "Einfrieren des Krieges" und Verhandlungen nachzudenken – nur sei er viel pessimistischer, so Hacke.

"Ich glaube, dass die Chance, den Ukraine-Krieg mit diplomatischen Mitteln zu beenden, vorbei ist."

Im April 2022 habe es zwischen den Kriegsparteien eine große Verhandlungsbereitschaft gegeben. Aber, auch auf Intervention des Westens, besonders der USA, sei es zu keinem Kompromiss gekommen.

Gegenwärtig sei die militärische Lage für die Ukraine sehr viel ungünstiger. Putin – "der brutalste Diktator, den wir seit Langem gesehen haben" – mobilisiere alles, die russischen Truppen schritten voran. Mit jedem weiteren Tag schwänden die Chancen auf eine Verhandlungslösung:

Um es mal salopp auszudrücken: Ich befürchte, dass dieser Konflikt ausbrennen wird, weil er nicht mehr gelöscht werden konnte und da sieht es nicht gut aus.

Hacke gibt heute nicht fehlender Entschlossenheit, sondern falschen Prioritäten der deutschen wie europäischen Außenpolitik die Schuld am Scheitern in der Ukraine: "Kriegstüchtigkeit" (Verteidigungsminister Boris Pistorius) sei zwar wichtig.

Aber die Geschichte der deutschen Außenpolitik der vergangenen Jahrzehnte sei immer durch zwei gleichberechtigte Säulen bestimmt gewesen.

Neben militärischer Stärke und Abschreckungsfähigkeit – "die ist heute dahin" – habe es "eine große Tradition der Vermittlung" gegeben, sagte Hacke unter Verweis auf die Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition (1969 - 1982). Das habe starke Einbußen erlitten; er sei darüber nicht glücklich.

Mit Autoritären zusammenarbeiten

Im historischen Rückblick gibt Hacke dem Westen eine Mitschuld. Die entschuldige nichts. Aber man müsse "im Sinne von Thukydides unterscheiden ... zwischen dem Anlass des Krieges und den Ursachen". Der Westen sei im Hinblick auf die Vorzeit des Krieges "nicht so unschuldig ... Wir haben Putin genügend gereizt".

Der Westen täte gut daran, selbstkritischer zu sein, und mit Putin zu Verhandlungen zu kommen. Ohne eine Einigung drohe "Anarchie und das Chaos: in Afrika, in Haiti, dann die Umweltfragen, Armut, Hungersnöte". Man müsse auch "mit den Autoritären zusammenarbeiten" und neue Ansätze der Kooperation finden.

Zurzeit aber führe die Konzentration auf den Nahen Osten und Ukraine zu einem "Tunnelblick", der die weltpolitischen Probleme ignoriere.