Ukraine-Krieg: Wie Chinas Vermittlungswille in Moskau ankommt
In Russland wird das Angebot chinesischer Schlichtungsversuche nicht so in Zweifel gezogen wie im Westen. Das liegt wohl an der Stärke Chinas im Verhältnis zu Moskau. Doch der Kreml entscheidet selbst.
Im Westen stoßen die Friedensbemühungen Chinas im Ukraine-Krieg vor allem auf Misstrauen. Man wolle nur Russland aus seiner angespannten Lage retten und sei für einen Vermittler viel zu eng mit den Russen verbündet, ist oft in deutschen Zeitungen und auch von westlichen Experten zu lesen.
Das Bild in Russland selbst ist etwas anders. Natürlich stehen Russland und China zusammen, wenn es um die Kritik der westlichen Hegemonie oder gegenseitige wirtschaftliche Vorteile geht. Doch russischen Experten ist bewusst, dass China zwar mit den USA um den Status der größten Wirtschaftsmacht konkurriert, aber ebenso stark wirtschaftlich verflochten ist. Die Moskauer Zeitung Newsawisimaja Gaseta beziffert den gegenseitigen Außenhandel zwischen den USA und China auf mehr als 700 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
China und Russland sind nicht überall Verbündete
Das russische Medium geht deshalb nicht davon aus, dass ein großer amerikanisch-chinesischer Konflikt unausweichlich ist. In beiden Staaten gäbe es Kräfte, die eher eine Art faire Konkurrenz anstreben, meint die Moskauer Zeitung. Trotz politischen Säbelrasseln sieht man auch das Interesse der USA, den Nachschub an günstig in China produzierten Waren zu erhalten.
China versucht zudem, sich argumentativ nicht zu deutlich auf die russische Seite zu stellen. Nach einer Äußerung des chinesischen Botschafters in Frankreich, die die Souveränität der nichtrussischen GUS-Staaten scheinbar in Frage stellte – was Putin ja im Falle der Ukraine tut – ruderte Chinas Außenministerium deutlich zurück. Das wurde auch in Russland bemerkt. Der chinesische Botschafter bei der EU ging noch einen Schritt weiter. China unterstütze Russlands Krieg nicht, leiste keine militärische Hilfe und erkenne die Annexion ukrainischer Gebiete nicht an, stellte er klipp und klar fest.
Zwischen China und Russland gibt es auch ansonsten nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern beispielsweise eine Rivalität um den Einfluss im mittelasiatischen Raum. Dieser wurde aus der Sowjettradition kommend durch Russland dominiert, doch der Einfluss Chinas nahm in den letzten Jahrzehnten erheblich zu und die aktuelle außenpolitische Schwäche Russlands durch den vom Zaun gebrochenen Ukraine-Krieg könnte diese Entwicklung beschleunigen.
Moskauer Dauerlob für chinesische Friedensbemühungen
Dennoch sind die Russen voll des Lobes, wenn es um die chinesischen Vermittlungsbemühungen gibt. Angefangen von offiziellen Statements von Putin, der im März im Umfeld seiner Gipfels mit Xi Jinping ausdrücklich betonte, wie sehr er es begrüße, dass China den Konflikt konstruktiv lösen wolle.
In einer großen chinesischen Zeitung betonte er. Russland sei bereit für eine politisch-diplomatische Lösung und schon die Schuld daran, dass trotzdem aktuell heftig gekämpft wird, der Nato zu.
Das sind große Worte und wie viel echte Bereitschaft dahinterstecken könnte, wäre Gegenstand für eine eigene Analyse. Fest steht aber auf jeden Fall, dass Russland China den ernsten Willen zur Friedensstiftung im Ukraine-Krieg abnimmt. Da eine solche nach Meinung russischer Experten einfach im ureigensten chinesischen Interesse steht.
Andrej Kortunow, jahrelang einer der wichtigsten Berater des russischen Außenministeriums, betont in diesem Zusammenhang in der russischen Ausgabe von Forbes, dass China in den letzten Jahren vor allem von der Globalisierung stark profitiert hat. Dieser Profit erwuchs auch daraus, dass alle, ungeachtet politischer Differenzen, zumindest wirtschaftlich zusammenarbeiten wollten und China sich hier geschickt einbrachte.
Die angespannte Weltlage schadet China
Die aktuelle Weltlage schaue für die Chinesen nun wesentlich weniger gemütlich aus, stellt Kortunow fest. Nicht nur die Rhetorik habe sich weltweit verändert in Richtung der Welt als Schauplatz eines Kampfes "Gut" gegen "Böse" - zwischen den Leuten auf der "falschen" und der "richtigen" Seite der Geschichte.
Beides sind Bilder, die der Westen tatsächlich ebenso bemüht wie russische Hardliner. Mit möglichst vollständigem Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen und Druck auf Dritte, sich auf die eigene Seite zu schlagen.
Diese Einstellung passt jedoch laut Kortunow für die Chinesen nicht zu den aktuellen Herausforderungen. Etwa dem Klimawandel, der in China ernst genommen werde, den Folgen militärischer Konflikte und einem drohenden Rückgang des Fortschritts.
All das sei nicht in chinesischem Interesse, Peking wolle Globalisierung und Fortschritt weiter voranbringen, um das Geschäft zu beleben. Zusätzlich wolle China auch den USA als weltpolitischer "Friedensstifter" den Rang ablaufen.
Ob China bei solchen Bestrebungen erfolgreich sein wird, darüber sind sich die russischen Beobachter nicht einig. Seine große wirtschaftliche, technische und militärische Macht verändere unzweifelhaft die internationalen Beziehungen, glaubt der Politologe Andrej Gubin.
Das muss für Russland aber nicht unbedingt nur Vorteile bringen, denn zumindest seine wirtschaftliche und technologische Macht ist der Chinesen nicht ebenbürtig. China habe den russischen Mobilfunkmarkt praktisch monopolisiert und dominiere nach dem Rückzug westlicher Marken auch die russische Fahrzeugproduktion, stellt Wladislaw Inozemzew, Direktor des Center for Post Industrial Studies fest.
Kreml will sich politisch nichts von Peking vorschreiben lassen
Der Kreml möchte sich jedoch politisch von solchen wirtschaftlichen Realitäten so wenig wie möglich beeinflussen lassen. Auch der Angriff auf die Ukraine an sich ist laut Inozemzew ein gigantisches wirtschaftliches Verlustgeschäft für Moskau. Das habe den Kreml dennoch nicht von diesem militärischen Überfall abgehalten.
Deshalb könne man allgemein nicht davon ausgehen, dass China Russland irgendetwas diktieren könne, nur weil seine Wirtschaftstätigkeit vor Ort gewachsen ist. Sollte die russische Führung in Wahrheit weiter Krieg führen wollen, werde man, zwar äußerst freundlich auf jeden chinesischen Vorschlag reagieren, diesem aber trotzdem nicht folgen.
Inozemzew sieht im Ukraine-Krieg auch einen objektiven Nutzen für China, angesichts des eigenen angespannten Verhältnisses zum Westen. Nun bekomme Peking zum einen plastisch vor Augen geführt, inwieweit der Westen bereit sei, in einen ernsten Militärkonflikt zu gehen, ohne selbst hauptsächlich betroffen zu sein. Zum anderen könnten die Chinesen mit Russland noch bessere Geschäfte machen, aus einer starken Position heraus und mit echtem Preisdiktat.
Dass Russland aktuell der schwächere der beiden Partner ist, zeigt sich auch an der Rhetorik. Während chinesische Vertreter, wenn es zu ihrem eigenen Vorteil ist, durchaus Kritik am russischen Vorgehen durchschimmern lassen, war das Russische Außenministerium selbst des Lobes voll, als Xi Jinping mit dem Kiewer Kontrahenten Wolodymyr Selenskyj telefonierte – Telefonate anderer Staatschefs mit dem ukrainischen Präsidenten sind selten ein Grund zur Freude in Moskau.
So scheint der Kreml aktuell jedenfalls gezwungen zu sein, verbal jeden chinesischen Vorstoß im Ukraine-Krieg gutzuheißen; und er erkennt ehrliche Absichten Pekings auf jeden Fall an. Inwieweit aus diesem Anerkenntnis wirklich eine Friedensbereitschaft folgt, wird jedoch in der russischen Regierung selbst entschieden.
Angesichts vieler martialischer Aussagen, sobald es um den Krieg an sich und nicht um die chinesischen Friedensbemühungen geht, ist nicht davon auszugehen, dass ein baldiges Ende des Krieges das primäre Ziel des Kreml ist. Ebenso nicht wie für den Westen, wo ein baldiges Kriegsende fast nur noch über einen baldigen kompletten Sieg definiert wird und Verhandlungsbereitschaft nicht an erster Stelle steht – wenn sie überhaupt erwünscht ist. Ob mit oder ohne Vermittlung Pekings.