Ukraine-Vertreter zur Krim: Verhandlungen nicht ausgeschlossen
Hochrangiger Berater von Selenskyj sendet diplomatisches Signal, nachdem Pläne über Säuberungsvorhaben nach der militärischen Wiedereroberung veröffentlicht wurden. Auch Macron und Xi Jinping senden Signale zu Verhandlungen. Der Kreml ordnet sie ein.
Wer der Financial Times ein Interview gibt, weiß, was er tut. Die Zeitung wird in einer großen internationalen Öffentlichkeit gelesen, nicht nur im Westen, auch in Asien. Wenn ein Vertreter des engsten Kreises um den ukrainischen Präsidenten der britischen Zeitung gegenüber erklärt, dass die Ukraine zu Gesprächen mit Russland zur Zukunft der Krim bereit sei, so ist das zunächst einmal ein Signal, das weit hinausgeschickt und verbreitet werden soll.
Aber es ist kein offizielles Angebot, kein verbindliches Signal. Andrii Sybiha, ist der zweite Chef im Büro des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, er ist kein Minister für Außen- oder Verteidigung, kein Sicherheitschef. Und seine Aussagen lassen Spielraum für unterschiedliche Gewichtungen und Interpretationen.
So stellt etwa die deutsche Zeit ihrem Liveticker zur Ukraine heute den Satz voran: "Eine Rückgabe der Halbinsel sei unverhandelbar, doch auch nicht militärische Wege könnten dazu führen, heißt es aus Kiew."
Sybiha stellte der Financial Times gegenüber ein paar Bedingungen vor, die erfüllt sein müssten, um den diplomatischen Weg zu gehen. Die erste sind militärische Erfolge:
Wenn es uns gelingt, unsere strategischen Ziele auf dem Schlachtfeld zu erreichen und wenn wir die administrative Grenze zur Krim erreicht haben, sind wir bereit, eine diplomatische Seite aufzumachen, um diese Frage zu diskutieren.
Andrii Sybiha, Financial Times
Der Vorrang des Militärischen wird im nächsten direkten Zitat nochmals betont: "Das bedeutet nicht, dass wir den Weg der Befreiung [der Krim, Einf. d. Zeitung] durch unsere Armee ausschließen."
Im Artikel heißt es dazu auch, dass Selenskyj und seine Berater nun öfter speziell über die Krim sprächen, da die Armee der Ukraine dem Start einer Gegenoffensive, die Geländegewinne machen soll, nähere.
Erklärt wird dazu in der Financial Times, dass die Aussagen von Sybiha vielleicht diejenigen Vertreter westlicher Länder beruhigen könnten, die sowohl Zweifel an den zur Eroberung der Krim nötigen militärischen Fähigkeiten der Ukraine haben wie auch an der Absicht selbst. Da sie angesichts der strategischen Bedeutung der Krim zur Eskalation führen könnte.
Weitere direkte Zitate des stellvertretenden Leiters von Selenskyjs Büro tauchen in dem FT-Artikel nicht auf. Dort heißt es auch, dass ein Sprecher des Präsidenten nicht auf Bitten um Stellungnahme reagiert habe.
Dass eine Rückgabe der Halbinsel unverhandelbar sei, entnimmt Die Zeit somit einer Äußerung von Selenskji, die gar kein aktuelles Statement ist, auch nicht von Sybiha. Wiederholt sagte Selenskji zur Krim, was auch im Artikel der britischen Zeitung erwähnt wird: Sein oberstes Ziel sei es, "das gesamte Land, einschließlich der Krim, unter die Kontrolle Kiews zu bringen".
Krim: ein 12-Punkte-Plan
Vor einigen Tagen kam zur Befreiung der Krim ein 12-Punkte-Plan an die Öffentlichkeit. Quelle ist laut einer dpa-Meldung, die die ARD-Tagesschau und ZDF-heute verwendeten, ein Facebook-Eintrag von Oleksij Danilow, dem Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine. Berichtet wird über ein Säuberungsvorhaben "nach dem Vorbild der Entnazifizierung Deutschlands" gegen "Kollaborateure und Verräter".
Darin werden Worte verwendet, die bestimmt nicht auf "diplomatischen Seiten" stehen, die anzeigen, wie unendlich weit der Weg zu einer diplomatischen Verständigung ist und wie groß das Risiko von Racheaktionen ist.
Es wird ein umfassendes Programm der "Entgiftung" umgesetzt, das die Folgen des langjährigen Einflusses der russischen Propaganda auf das öffentliche Bewusstsein eines Teils der Bevölkerung der Halbinsel neutralisiert. Olexij Danilow, ZDF
Auch die Tagesschau übersetzt Punkt 9 des 12-Punkte-Plans nicht anders.
Wie berichtet, sind der französische Staatschef Macron und die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen heute in Peking. Dort wollten die beiden ausloten, wie es um die Bereitschaft des chinesischen Präsidenten Xi Jinping steht, Russland zu Verhandlungen zu bringen, die für die Ukraine akzeptabel sind.
Macron und Xi Jinping: Rasche Friedensgespräche
In der FAZ heißt es heute dazu, dass Xi Jinping offenbar im Einklang mit Macron "rasche Friedensgespräche zwischen Kiew und Moskau gefordert" habe. Diese sollten "so bald wie möglich" stattfinden, so wird aus der gemeinsamen Pressekonferenz zwischen dem französischen und dem chinesischen Staatschef berichtet.
Auch das ist ein Signal für die große Öffentlichkeit, das unverbindlich ist. Aber es könnte die grundsätzliche Position von Verhandlungen im dummen Krieg stärken, den Putin auf die gesamte Ukraine und ihre Bevölkerung losgetreten hat, so die Hoffnung.
Sollte sich Chinas Staatschef zu einem Gespräch mit Selenskyj bereit erklären, so würde diese Hoffnung mehr Gewicht bekommen als bloße Signale. Davon ist aber bislang nicht die Rede.
Reaktion des Kreml
Aus dem Kreml hieß es zur Rolle Chinas:
China verfügt über ein sehr effektives und beeindruckendes Vermittlungspotenzial, und die jüngsten diplomatischen Erfolge Chinas haben dies eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Aber die Situation mit der Ukraine ist immer noch schwierig, bisher gibt es keine Aussicht auf eine friedliche Lösung.
Dmitri Peskow
Offizielle und inoffizielle Position, die aus Kiew mitgeteilt würden, ließen der russischen Führung "noch" keine anderen Möglichkeiten, als militärisch weiterzumachen, wird der Kreml-Sprecher von der Tass zitiert.
Die staatliche russische Nachrichtenagentur ergänzt auch die Aussage des chinesischen Staatschefs mit einer der Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning. Demnach hat China keine große Ambition, sich in eine für das Land ungewöhnlich exponierte Rolle zu begeben, die die außenpolitische Balance-Architektur stören und das Verhältnis zu Russland beeinträchtigen könnte.
Zugleich ist die Aussage eine Abgrenzung gegen den Westen und eine Antwort auf von der Leyens geopolitische Ambitionen, die einen weltpolizeilichen Lack haben.
Was die Verantwortung für das ukrainische Problem angeht, so bin ich der Meinung, dass sie von den Vereinigten Staaten und Militärblöcken wie der NATO getragen werden sollte. Das Nordatlantische Bündnis hat nicht den nötigen Status, um China zu tadeln oder Druck auf es auszuüben.
Mao Ning