Ukraine: Visazwang entfällt für die EU, Visumpflicht gibt es für Russen
Poroschenkos Prestigeprojekt kommt nur der Mittelschicht der Ukraine zugute, mit Russland verheddert sich Kiew in einem Streit um die Einführung einer Visumspflicht
Ein kleiner Schritt für die Menschen in der Ukraine, ein größerer für die ukrainische Politik: Ab dem 11. Juni können ukrainische Staatsbürger in die EU, die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein reisen. Gleichzeitig eröffnet sich ein neuer Konflikt: Kiew will demnächst für russische Staatsbürger ein Visumspflicht einführen und Moskau drohte am Mittwoch mit einem Gegenvisum.
Allein Ukrainern mit biometrischem Pass ist die Einreise erlaubt, dies sind derzeit allein 3,5 Millionen Menschen. Die Reiseerleichterung betrifft so vor allem die Mittelschicht, die sich Urlaub im Westen leisten kann oder Verwandte besuchen will oder es sind reisende Geschäftsleute. Für eine Arbeitsbewilligung muss weiterhin ein Visum beantragt werden. Innerhalb von 180 Tagen können 90 Tage in der EU und den besagten Ländern verbracht werden. Auch Kanada erwägt, die Visumspflicht für Ukrainer aufzuheben.
Diese Liberalisierung war lange im Gespräch, die Ukraine hatte im Gegenzug Antikorruptionsmaßnahmen umzusetzen. Im vergangenen Mai hat das EU-Parlament das Gesetz abgesegnet, der Schweizer Bundesrat Didier Burkhalter unterzeichnete zusammen am Mittwoch in Kiew mit dem ukrainischen Staatspräsident Petro Poroschenko ein entsprechendes Abkommen.
Poroschenko feiert das Visum bereits im Vorfeld als Loslösung von der "postsowjetischen Vergangenheit" und als "gigantischen Schritt Richtung Europa".
Kritische Stimmen in der Ukraine sehen jedoch keine Änderung für die Sorgen und Nöte der Bevölkerung. Die Ukraine ist mit durch die Kämpfe um die prorussischen Separatistengebiete wirtschaftlich und sozial stark belastet, so muss das Land mit seinen rund 42 Millionen Einwohnern knapp zwei Millionen Binnenflüchtlinge versorgen. Die zweite russische Kammer, der Föderationsrat, nannte die Entscheidung einen "Pyrrhussieg" und gab sich besorgt um den Westen, der von einer "Flut illegaler Arbeitsimmigranten" heimgesucht werde, was die russischen Auslandssender verbreiteten.
Als Testgebiet für die neue Regelung ab Sonntag gilt Polen
In Polen leben und arbeiten schon rund eine Million Ukrainer, der polnische Grenzschutz geht von zehn Prozent mehr Besuchern aus, was auf den Straßen zu Staus führen könne. Doch für die etwa eine Million Ukrainer, die sich dort aufhalten, bringt die neue Regelung größere Erleichterung. Bislang gibt es in Polen keine Befürchtungen, es könnten zu viele Ukrainer kommen.
Die künftige Visafreiheit gilt auch für Georgien. Ausgenommen als Zielland sind Großbritannien und Irland, die EU-Länder, die 2004 als erste ihre Märkte bedingungslos für osteuropäische EU-Mitglieder öffneten und die nicht zu Schengen gehören.
Auch Ukrainer auf der russisch annektierten Krim und in den von Rebellen besetzten Gebieten im Südosten können von der Reisefreiheit profitieren, sollten sie einen biometrischen Pass besitzen. In dieser Frage setzte sich die EU gegenüber dem ukrainischen Staatpräsidenten durch. Dieser wollte die Visafreiheit erst gewähren, wenn die Ukraine die Souveränität über diese Gebiete zurück gewonnen habe.
Die Visa-Aufhebung für Ukrainer gilt als Prestige-Projekt von Petro Poroschenko, der am Donnerstag vor der Belegschaft eines Elektrizitätswerks bei Kiew auch die Energieunabhängigkeit von Russland betont hat. Im Hintergrund wehten medienwirksam einträchtig die ukrainische und die EU-Fahne.
Im Osten soll eine "Mauer" auch mittels Visa gebaut werden
Weniger einträchtig verläuft derzeit eine mögliche Visapflicht für russische Staatsbürger. Mitglieder des Obersten Rates wie der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat (RNBO), der Poroschenko untersteht, drängen auf eine rasche Einführung einer solchen Visumspflicht. "Wir müssen im Osten eine Mauer bauen, um die Zivilisation vor Russlands Aggression zu schützen", so RNBO-Sektretär Oleksander Turtschynow, dies sei eine "historische Mission".
"Sollte die Ukraine Visa einführen, so werden wir ebenfalls mit Visa antworten", erklärte diese Woche Sergej Lawrow, der Außenminister Russlands.
Als problematisch an einer Einführung dieses Einreiseerschwerung gilt, dass viele ukrainische Staatsbürger, vor allem die russischsprachigen, Verwandte in der Russischen Föderation haben, die sie regelmäßig besuchen. Aus diesem Grund wurde trotz eines seit über drei Jahre andauernden bewaffneten Konflikts mit den prorussischen Rebellengebieten keine Visumspflicht für russische Staatsbürger eingeführt. Somit würde für diese Ukrainer die Verwandtschaftspflege, aber auch die Arbeitsmigration durch Geld- und Zeitaufwand beschwerlicher. Drei Millionen Ukrainer sollen in der Russischen Föderation wohnen, so die Angaben des ukrainischen Außenministers Pawlo Klimkin. Das Außenministerium sei grundsätzlich bereit, die neue Regelung für Russland einzuführen, verlangt jedoch eine vernünftige Planung.
Die Partei "Block Petro Poroschenko" ist in dieser Frage geteilt. Die meisten Abgeordneten der Fraktion im Obersten Rat der Ukraine haben sich gegen eine Einführung von Reisevisa für russische Staatsbürger ausgesprochen. Nach Ansicht der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Irina Lutsenko kann eine Einführung der Visapflicht den ukrainischen Staat mit bis zum zwei Milliarden Griwna (etwa 70 Millionen Euro) belasten. Zudem würden gefährliche Russen wie Agenten und Saboteure dank falscher Pässe und grüner Grenzen weiterhin leicht in das ukrainische Staatsgebiet eindringen können.