Ukraine: Wirrwarr im Propagandakrieg
Kiew beschuldigt Russland, ein Militärflugzeug abgeschossen zu haben, angeblich plane Russland einen Einmarsch in die Ukraine
Die Kämpfe in der Ostukraine gehen weiter, auch der Beschuss von Wohngebieten seitens der ukrainischen Streitkräfte. Die Lage hat sich aber in den letzten Tagen weiter zugespitzt, nachdem einige Male aus der Ukraine über die Grenze nach Russland gefeuert und am Sonntag ein Mann in seinem Haus in einem Grenzort getötet wurde. Russland kündigte eine Reaktion an, forderte die ukrainische Regierung auf, dafür sorgen, dass dies aufhört, und wünscht eine Beobachtung der Grenze durch OSZE-Beobachter. Der Sprecher des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats sprach hingegen gestern davon, dass Russland seit einigen Tagen zunehmend durch Aktionen versuche, den Donbass zu destabilisieren. So seien zur Provokation vermehrt russische Hubschrauber und Drohnen über die Grenze geflogen.
Kiew streitet ab, dass ukrainische Streitkräfte oder Milizen für den Beschuss verantwortlich seien. Man beschuldigt hingegen die Separatisten, die in einer Art False-Flag-Aktion so tun, als wären sie ukrainische Sicherheitskräfte, die die Grenze zu Russland unter Feuer nehmen mit der Absicht, Moskau in den Konflikt militärisch hineinzuziehen. Abwegig wäre das nicht, die Separatisten werfen Moskau bereits Verrat vor, weil mehrmals definitiv eine militärische Intervention ausgeschlossen wurde, und sehen womöglich angesichts der drohenden Niederlage keine andere Chance mehr, als so die Russen ins Spiel zu bringen. Allerdings ist ebenso wenig auszuschließen, dass ukrainische Milizen, aber auch Nationalisten in den ukrainischen Sicherheitskräften die Russen provozieren wollen, um den Westen noch enger an sich zu binden.
Gestern wurde ein militärisches Transportflugzeug der Ukraine angeblich aus einer Höhe von 6.500m bei Lugansk abgeschossen, mindestens ein Pilot soll von den Separatisten gefangengenommen worden sein. Die Separatisten beanspruchen, dafür verantwortlich zu sein, aber der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat teilte mit, dass die tragbaren Flugabwehrraketen der Separatisten nicht so hoch reichen würden, weswegen man erklärt, der Abschuss sei "wahrscheinlich" mit Raketen von russischem Territorium aus erfolgt.
Moskau, aber vor allem Kiew und die Separatisten versuchen jeweils aus unterschiedlichen Gründen das andere Lager zu brandmarken und zu provozieren. Während Kiew stärker vom Westen gegen Russland unterstützt werden will, suchen die Separatisten nach einem Ausweg aus der fatalen Lage. Die Lage ist explosiv. Dazu kommt, dass der ukrainische Präsident Poroschenko bei der Beendigung des Waffenstillstands angekündigt hatte, es gebe einen Plan für eine schnelle Niederschlagung der Aufständischen. Zwar wurden einige Erfolge erzielt, aber eine schnelle Vertreibung der Aufständischen ist noch nicht in Sicht, zumal von ukrainischen Politikern und Medien fortlaufend behauptet wird, dass wahlweise Soldaten, Söldner oder Freiwillige aus Russland mit schwerem Gerät über die Grenze in die Ostukraine gelangen. Das würde heißen, dass die Kontrolle der Grenze noch keineswegs gewährleistet ist. Gestern verkündete Poroschenko, der von allen Seiten unter hohem Druck steht, strategische Veränderungen in der Antiterroroperation, ohne diese näher zu benennen.
Kiew würde gerne russische Journalisten gar nicht mehr ins Land lassen. Sie werden dafür verantwortlich gemacht, Falschnachrichten und inszenierte Videos zu produzieren. Da unabhängige westliche Reporter nicht mehr aus den Kriegsgebieten berichten, weil es für die zu gefährlich geworden ist, gibt es kaum mehr eine unabhängige Kriegsberichterstattung.
Angeblich soll es heute zuerst zu einer Videokonferenz der Kontaktgruppe und den Separatisten und danach womöglich zu direkten Gesprächen zwischen Vertretern der Separatisten und der ukrainischen Regierung kommen, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Europa, vor allem die deutsche und französische Regierung, üben nun endlich vermehrt Druck auf den ukrainischen Präsidenten aus, der aber immer wieder den Falken im eigenen Lager nachgibt.
Der gut vernetzte ukrainische "Militärexperte" Tymchuk kündigt für heute eine Invasion Russlands an
Auf ukrainischer Seite ist besonders Dmytro Tymchuk am Zündeln, der seit der Krim-Krise zu einem für die Westukraine wichtigen "Militärexperten" wurde und alles dafür zu tu scheint, den Konflikt mit Russland zu verschärfen. Tymchuk, ein aus der Maidan-Bewegung hervorgegangener Militärberichterstatter und "Koordinator" der Anfang März gegründeten Website Information Resistance, die den Lügen der russischen Medien die Wahrheit aus Kiew entgegensetzen will, ist tief verstrickt im Propagandakrieg.
Tymchuk präsentiert sich als Leiter einer ominösen "Center of Military-Political Research", von der es im Internet nichts zu finden ist, obgleich der Kriegsberichterstatter und einstige Soldat, der angeblich auch im Irak, im Libanon und Kosovo gewesen sein will, ansonsten medial aus allen Rohren schießt. Voices of Ukraine, eine im Dezember 2013 entstandene Medienseite der Maidan-Bewegung, unterstützt Tymchuk weiterhin kräftig, beispielsweise durch Übersetzung seiner Blogbeiträge an die "Brüder und Schwestern" ins Englische. Auch EuroMaidanPR hilft Tymchuk. Ob er wissentlich oft falsche Informationen konstruiert oder nur weiterreicht, was ihm aus interessierten Kreisen zugetragen wird, mag dahingestellt sein.
Tymchujk, der in Russland schon mal als Phantom galt, aber der natürlich wirklich als Person existiert, ist jedenfalls gut vernetzt, seine Berichte werden in den ukrainischen Medien wie der Ukrainian Week, Kyiv Post oder den Nachrichtenagenturen Unian, Ukrinform oder Interfax gerne weiter verbreitet.
Gestern brachte Tymchuk die Warnung in Umlauf, dass heute russische Spezialeinheiten für Aufklärung und Sabotage in die Ukraine eindringen werden, die dann weitgehend unkommentiert von Medien und Nachrichtenagenturen übernommen wurde. Die Informationen seien vertrauenswürdig. Er sei letzte Woche ausführlich und mehrmals darüber informiert worden. Sie sollen angeblich Anschläge ausführen und so Russland eine Möglichkeit schaffen, "Friedenstruppen" in die Ostukraine zu schicken. In Russland habe man sich angesichts der "Panik" der Separatisten dazu entschlossen. Anschläge sollen auch außerhalb des Kampfgebietes ausgeführt werden, um die Sicherheitskräfte von Donezk und Lugansk wegzulocken.
Selbst dem Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat, der auch gerne übertreibt, ging das offenbar zu weit. Es gebe keine "bestätigten Berichte" darüber, sagte der Sprecher Lysenko, zumindest keine genauen, ob dies am 25. Juli geschehen soll.
Was nur sehr vorsichtig gegen die Behauptung des allseits als "Experten" bezeichneten Tymchuk geäußert wurde, verlockte diesen dazu, dies noch einmal zu bekräftigen. Auf seiner Facebook-Seite schrieb er, Russland plane eine "volle Invasion" der Ukraine. Jetzt würden bereits schwere Waffen mit russischen Berufssoldaten über die Grenze kommen, früher seien es Söldner gewesen. Auch er behauptet, dass der Beschuss der russischen Grenze aus der Ukraine ein Werk der Separatisten sei, die nach einem "gut durchdachten Sonderplan" und mit dem Einverständnis der russischen Seite vorgingen.
Russische Streitkräfte würden derweil ukrainische Stellungen bombardieren. All das sagt der Experte, ohne irgendwelche nachprüfbaren Belege zu nennen, während russische Medien immerhin meist Videos oder Zeugenaussagen für Beschuldigungen präsentieren, die aber aus der Ferne auch nicht nachprüfbar sind. Russland würde zudem gerade vermehrt Druck auf die EU ausüben, um die Ukraine dazu zu zwingen, den Kampf im Donbass aufzugeben: "Deutschland scheint die russische Lobby in der EU anzuführen." Merkel schreibt er eine "ungesunde Vorliebe" für Putin zu. Aber es scheint auf Druck von Deutschland und Frankreich zumindest zu einer Videokonferenz zwischen Vertretern der Separatisten und der russischen und ukrainischen Rgierung zu kommen.
Angeblich werden nur "verifizierte/bewiesene" Informationen von der als unabhängig auftretenden Organisation veröffentlicht, die vor allem damit beschäftigt zu sein, Russland zu dämonisieren. Das liest sich dann etwa so in der "Analyse" vom 11. Juli: "Wie viele kleine Aufständische während des Angriffs in eine andere Welt gegangen sind, ist nicht genau bekannt, aber hoffen wir, dass die Überlebenden die Lektion gelernt haben und die russischen Grenzwachen in der Nacht anbetteln, um sie zurück nach Russland zu lassen."
Wie das oft so ist, unterstellen die Verkünder der Wahrheit der anderen Seite eine derart abgefeimte Medienpropaganda, dass die Menschen, die offenbar nicht überzeugt auf der eigenen Seite stehen, einer "Hirnwäsche" unterzogen wurden, die sie verblendet hat. Ohne diese Verblendung, so die Suggestion, würden sie natürlich auch der richtigen Seite, also auf der von Information Resistance stehen, die eben ein solches "Brainwashing" anstrebt. Tymchuk kommentiert die Abschaltung russischer Sender und das Einschalten ukrainischer Sender:
We have already become convinced in full, that the lies of the Moscow propaganda machine are far from harmless. Donbas residents have paid dearly (and, unfortunately, are still paying today) for the Kremlin’s brainwashing. They have gorged themselves on the vaunted "Russian world," choke-full. It’s time to look at the world with one’s own eyes and not through the eyes of the likes of moral monster [Dmitry] Kiselyov and Putin’s Goebbels, and their like.