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Ukraine und "Parallelmedien": Rund 4,5 Millionen Euro aus fünf Regierungstöpfen

Viel Geld, gut vernetzt: Joachim Gauck bei der Eröffnung des Zentrums Liberale Moderne Ende 2017 in Berlin. Bild: Fkmh, CC BY-SA 4.0

Themen des Tages: Wie man mit der richtigen Meinung und Meinungsmache Geld verdienen kann. Warum Riad jetzt mit Dschihad droht. Und die heimlichen Herrscher in Schweden.

Liebe Leserinnen und Leser,

Gegneranalyse ist im Sport wichtig und im politischen Lobbyismus vor allem lukrativ, wie Zahlen der Regierung zu einem relativ neuen, altgrüngeleiteten Thinktank zeigen.

Die Saudis entdecken im Konflikt mit den USA und dem Restwesten Dschihad und Märtyrertum.

In Schweden ist die politische Rechte die heimliche Herrscherin.

Doch der Reihe nach.

Millionen Euro für Kampagnen für Ukraine und gegen "Parallelmedien"

Die Bundesregierung hat einen Thinktank zweier ehemaliger Grünen-Politiker mit politischen Projekten zu Osteuropa und vor allem zur Ukraine in den vergangenen vier Jahren und unmittelbar nach dessen Gründung mit rund 4,5 Millionen Euro finanziert. Das geht aus den Antworten auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor. Demnach hat das "Zentrum Liberale Moderne" zwischen 2018 und 2021 für insgesamt 24 Projekte teils hohe Geldsummen bis hin zu einer halbe Million Euro erhalten.

Das "Zentrum Liberale Moderne" ist zuletzt wegen eines Projektes zur Medienbeobachtung in die Kritik geraten. Der Medienjournalist Friedrich Küppersbusch hatte nachgeforscht und herausgefunden, dass das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung unter Leitung von Staatssekretär Steffen Hebestreit dem Konstrukt im vergangenen Jahr eine halbe Million Euro überwiesen hatte; davor waren es 300.000 Euro jährlich.

Dafür hatte der Denkpanzer des ehemaligen Maoisten und späteren Grünen-Politikers Ralf Fücks und seiner Gattin sowie ehemaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck unter anderem eine sogenannte Fallstudie über das Onlineportal nachdenkseiten.de veröffentlicht, die schwere fachliche Mängel aufwies. Über dieses Papier sowie die Beobachtung von "Parallel-" oder "Alternativmedien" mit Regierungsgeldern hatte auch Telepolis berichtet.

Weder das "Zentrum Liberale Moderne" noch der von Fücks und Beck bezahlte ehemalige Tagesspiegel-Journalist Matthias Meisner haben bislang zu der inhaltlichen Kritik von Telepolis, Küppersbusch oder anderen Stellung genommen.

Küppersbusch hatte dem "Zentrum Liberale Moderne" und Meisner bescheinigt, mit dem Medienprojekt "Gegneranalyse" eine Arbeit übernommen zu haben, die auch "jeder schlechte Nachrichtendienst tun könnte und tut".

Nach der Telepolis vorliegenden Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen waren Financiers des 2017 gegründeten "Zentrums Liberale Moderne" in den vergangenen vier Jahren das Familienministerium, das Innenministerium beziehungsweise die ihm unterstehende Bundeszentrale für politische Bildung, das Bundespresseamt, das Entwicklungsministerium sowie das Auswärtige Amt.

Artikel zum Thema:

Harald Neuber: Was ist Journalismus, was Politkampagne? [1]
Harald Neuber, Sabine Schiffer: "Gegneranalyse" und Zentrum Liberale Moderne: Die Presse als Feind? [2]
Christiane Voges: "Gegneranalyse": Zu einer "Fallstudie" über die Nachdenkseiten [3]
Harald Neuber: Projekt Gegneranalyse: Matthias Meisner, Morddrohungen und Medienkritik [4]

Öl- und Gas: Unmut bei unseren neuen Diktatorenfreunden in Riad

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/ Die Grünen) werden sich künftig in Riad noch tiefer als bisher verneigen müssen, um einige Kubikfuß Erdgas zu bekommen. Angesichts der Spannungen zwischen Riad und Washington sinken die Chancen, dass die saudischen Diktatoren dem Western in der wirtschaftlich inzwischen existenziellen Energiekrise beistehen.

Deutlich gemacht hat das nun noch einmal ein Cousin des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Mit Blick auf die Kontroverse um die der Entscheidung des Wirtschaftsbündnisses Opec+, die Ölproduktion zu drosseln, stieß er eine Drohung gegen den Westen aus – und das gleich dreisprachig [5]. Ein kultivierter Dschihadist sozusagen.

"Jeder, der die Existenz dieses Königreichs in Frage stellt: Wir sind alle Vertreter des Dschihad und des Märtyrertums", heißt es in der Botschaft "an den Westen" von Saud al-Shaalan. In dem Video, das in den sozialen Medien kursiert, wiederholt der Vertreter des Hauses Saud seine Warnung auf Englisch und Französisch.

Saud al-Shaalan ist ein Stammesführer und Enkel von König Abdulaziz, dem Gründer von Saudi-Arabien, erklärte der saudische Menschenrechtsanwalt Abdullah Alaoudh gegenüber dem Portal middleeasteye.net. In dem Bericht heißt es weiter:

Die Drohung kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien einen Tiefpunkt erreicht haben. Angesichts der steigenden Energiepreise nach Russlands Intervention in der Ukraine im Februar hat Washington bei den Mitgliedern des Ölkartells Opec+, insbesondere bei Saudi-Arabien, auf eine Erhöhung der Produktion gedrängt.

US-Präsident Joseph Biden war im Juli nach Saudi-Arabien gereist, obwohl er zuvor versprochen hatte, die Diktatur nach der brutalen Ermordung von Jamal Khashoggi im Jahr 2018 international zu isolieren. Von Seiten der US-Regierung hieß es nach der Reise, sie gehe davon aus, die Saudis würden die Erdölförderung ankurbeln.

Stattdessen folgte auf eine geringfügige Erhöhung in der vergangenen Woche die Entscheidung, die Ölproduktion der Opec+ um zwei Millionen Barrel pro Tag zu kürzen, was die Preise weltweit in die Höhe treiben könnte. In den USA wurde dies als unfreundlicher Akt gewertet.

Artikel zum Thema:

Bernd Müller: US-Regierung erzürnt: Ölallianz OPEC+ drosselt Produktion deutlich [6]
Thomas Pany: Biden droht Saudi-Arabien [7]
David Goeßmann: Warum wir Russland nicht mit Saudi-Arabien vergleichen dürfen – aber sollten! [8]

Schweden: Die Rechten sind nicht im Kabinett – und regieren doch

In Schweden wird Ulf Kristersson den Amtseid als neuer Ministerpräsident ablegen. Es sähe so aus, schreibt Telepolis-Autorin Andrea Seliger, als bekäme Schweden nur einfach mal wieder eine bürgerliche Regierung. Es werde keine Minister aus den Reihen der ultrarechten Schwedendemokraten (SD) geben.

Doch der Schein trügt. Kristersson und seine gesamte Regierungstruppe verdanken ihr Amt den Zugewinnen der SD, und diese haben sich ihre Zustimmung mit größtmöglichen inhaltlichen Zugeständnissen erkaufen lassen. Damit folgt Schweden dem aktuellen Trend zu nationalistischer Politik, wenn auch mit einigen landesspezifischen Besonderheiten.

Andreas Seliger

Josep Borrell und die Wilden Kerle

Am Wochenende verdeutlichte EU-Chefdiplomat Josep Borrell seine Sicht auf die Welt. Das war befremdlich, wie Telepolis-Autor Bernd Müller heute berichtet. Während einer Veranstaltung der European Diplomatic Academy in Brügge habe Borrell Europa mit einem Garten verglichen, während der Rest der Welt ein Dschungel sei.

Keine Mauer und kein Zaun der Welt werde den Garten schützen. Der Dschungel wachse zu schnell und die Mauer werde deshalb nie hoch genug sein. Die Europäer müssten deshalb in den Dschungel hinein. "Andernfalls wird der Rest der Welt auf andere Weise und mit anderen Mitteln in uns eindringen."

Bernd Müller

Schrecken des Krieges

Mit den Schrecken des Krieges befasst sich heute bei Telepolis Joachim Schappert – und wirft die Frage auf, wie empfänglich wir dafür heute im Vergleich zu den Kriegsgenerationen des 20. Jahrhunderts sind, denn:

Ob im Bekanntenkreis oder im Bundestag – bei Diskussionen über den Ukraine-Krieg, der genau jetzt in drei Flugstunden Entfernung tobt, sollte man allem voran die entsetzliche Kriegsrealität vor Augen haben.

• Seit dem 24. Februar haben (je nach Quelle) zwischen 24.000 und mehr als 100.000 Menschenihr Leben verloren.

• Ungezählte Opfer sind für den Rest ihres Lebens versehrt. Häufige Kriegsverletzungen sind abgetrennte Gliedmaße oder schwere Verbrennungen.

• In den ärmeren Weltregionen wirken sich die vom Ukraine-Krieg maßgeblich mitverursachten Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln, Düngemitteln und Transport verheerend auf die Ernährungslage aus.


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https://www.heise.de/-7311649

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[1] https://www.heise.de/tp/features/Warum-eine-Oeffnung-von-Nord-Stream-2-der-Ukraine-helfen-koennte-7243596.html?seite=all
[2] https://www.heise.de/tp/features/Gegneranalyse-und-Zentrum-Liberale-Moderne-Die-Presse-als-Feind-7155940.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Gegneranalyse-Zu-einer-Fallstudie-ueber-die-Nachdenkseiten-7152314.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Projekt-Gegneranalyse-Matthias-Meisner-Morddrohungen-und-Medienkritik-7167503.html
[5] https://twitter.com/telepolis_news/status/1582274729582284800
[6] https://www.heise.de/tp/features/US-Regierung-erzuernt-Oelallianz-OPEC-drosselt-Produktion-deutlich-7285466.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/Biden-droht-Saudi-Arabien-7306524.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/Warum-wir-Russland-nicht-mit-Saudi-Arabien-vergleichen-duerfen-aber-sollten-7286759.html