Warum eine Öffnung von Nord Stream 2 der Ukraine helfen könnte
Themen des Tages: Energiekrise droht zur Energiekatastrophe zu werden – eine Debatte darüber bleibt aus. Regierungsfinanzierte Politkampagnen und Journalismus unvereinbar. Schwierige Ursachensuche nach Fischsterben in der Oder.
Liebe Leserinnen und Leser,
diesen Spätsommer können viele Menschen in Europa kaum genießen, ihm wohnt etwas Unheilvolles inne: Je näher das Ende der warmen Jahreszeit rückt, desto nervöser werden die Akteure an den Energiemärkten, Politiker und vor allem die Verbraucher. Niemand kann derzeit ausschließen, dass die Energiekrise für Mittel- und Westeuropa zu einer Energiekatastrophe führt – und das auf so viel verschiedenen Ebenen, dass sie zu beschreiben das Format dieser Kolumne sprengen würde.
Noch kann das politische Framing der Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten werden, auch, wenn die zentrale Botschaft auf absurde Weise widersprüchlich ist. Der Angriff der russischen Armee gegen das westliche Nachbarland, so heißt es halsstarrig aus Berlin und Brüssel, mache Sanktionen gegen Moskau nötig.
Dass das Gas des Aggressors aber weiter fließt und Vizekanzler Habeck vor Vertretern des repressiven katarischen Regimes den Bückling macht – geschenkt! Dabei ist die Unaufrichtigkeit der sogenannten wertebasierten Außenpolitik nie offensichtlicher geworden als dieser Tage.
Zumal, gebracht hat es alles nichts. Der Gaspreis stieg in der zweiten Wochenhälfte auf über 300 Euro pro Megawattstunde, das Ende des Lindnerschen Tankrabatts werden die Bundesbürger an diesem Wochenende schmerzlich erfahren und in deutschen Wäldern bekommen die Revierförster den Diebstahl von Holzpoltern nicht in den Griff, die als Brennholz in Gärten und Kellern verschwinden.
Höchste Zeit, die Notbremse zu ziehen, meinte Telepolis-Autor Klaus Kohrs, dieser Tage, um eine "sofortige Erteilung der Betriebserlaubnis für Nord Stream 2" zu fordern: "Denn es erscheint wenig sinnvoll, einerseits Russland um Gas via Nord Stream 1 anzubetteln und andererseits die Lieferung durch Nord Stream 2 zu blockieren. Wir brauchen das billige russische Gas, nicht Putin."
- Realpolitik im Kampf gegen die Energiekrise - Erneute Unterbrechung über Nord Stream 1: EU beschwichtigt, Kohle geht wieder ans Netz
- Von der Leyen an EU-Länder: Mit 15 Prozent weniger Gasverbrauch sicher durch den Winter
- Entscheidet sich die Zukunft der Grünen am Umgang mit der Gaskrise?
Wer sich in Politik dieser Tage für eine solche offensichtlich notwendige Kehrtwende der europäischen Energiepolitik ausspricht wie etwa FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der erntet "Kopfschütteln" (Rheinische Post) oder "heftige Kritik" (tagesschau.de); er macht sich mitunter sogar verdächtig, den russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände zu spielen.
Dabei könnte man das Argument auch umdrehen: Sollten die Sanktionen und der europäische Selbstbetrug scheitern, wäre der politische und wirtschaftliche Sieg für Putin derart immens, dass er in der Ukraine kriegsentscheidend werden könnte.
Was ist Journalismus, was Politkampagne?
Es ist schon etwas länger her, da hatte sich Telepolis einem umstrittenen politischen Projekt gewidmet, das journalistisch und wissenschaftlich verbrämt daherkommt (was eine Beleidigung für Journalismus und Wissenschaft ist): eine Politkampagne mit der Eigenbezeichnung "Gegneranalyse". Finanziert wird das Ganze vom politischen Ehegespann Ralf Fücks und Marie-Luise Beck. Das alt- bis olivgrüne Duo finanziert sich aus stetig zunehmenden Mitteln der Bundesregierung, in der Parteifreunde ja derzeit an den Geldtöpfen sitzen.
Die regierungsfinanzierte Kampagne widmete dem Watchblog Nachdenkseiten ein erstes Papier, das in Argumentation und Methodik derart primitiv war, dass man es gar nicht glauben konnte.
Nicht witzig fand die Analysen, für die Telepolis bewusst Medienwissenschaftler beauftragt hatte, der mitverantwortliche ehemalige Tagesspiegel-Mitarbeiter Matthias Meisner, der uns die kritische Berichterstattung, bauernschlau als Frage formuliert, als Einschüchterungsversuch vorhielt. Wir fanden es witzig und sind motivierter denn je, zu verfolgen, wie die Quasi-Gongo von Fücks, Beck und Meisner alias "Zentrum Liberale Moderne" Steuergelder auf den Kopf haut.
Bestätigt wurden wir inzwischen übrigens durch eine gewohnt kurzweilig präsentierte Recherche des Altmeisters des Medienjournalismus: Friedrich Küppersbusch. Er hatte nachgeforscht und herausgefunden, wie das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung unter Leitung von Staatssekretär und Antisemitismus-Überseher Steffen Hebestreit dem Zentrum Liberale Moderne immer mehr Gelder zuschanzt.
- "Gegneranalyse" und Zentrum Liberale Moderne: Die Presse als Feind?
- "Negatives Bild von Leitmedien ist doch nicht unsere Schuld"
- "Gegneranalyse": Zu einer "Fallstudie" über die Nachdenkseiten
- Projekt Gegneranalyse: Matthias Meisner, Morddrohungen und Medienkritik
190 Tonnen tote Fische – wer war’s denn nun?
Eine massiv von der Bundesregierung finanzierte Kampagne, die darauf ausgerichtet scheint, politisch motiviert gegen Medien vorzugehen und also Meinungsfreiheit einzuschränken – das stinkt natürlich genauso zum Himmel, wie die inzwischen 190 Tonnen toten Fischer in der Oder. Auch Tage, vielleicht Wochen, nach dem mutmaßlichen internationalen Umweltverbrechen läuft dort die Suche nach den Verantwortlichen.
In der Debatte über die Gründe für das Fischsterben in der Oder deutet vieles auf multifaktorielle Ursachen hin, schrieb bei Telepolis die Umweltjournalistin Susanne Aigner: Pestizide, giftige Algen, niedrige Pegelstände und industrielle Abwässer scheinen zu der Katastrophe beigetragen zu haben: "Im Steinkohlebergbau werden etwa hohe Salzfrachten bzw. Grubenwasser in die Gewässer geleitet."
Die untersuchten Fischproben kamen jedoch zu einem eindeutigen Ergebnis, so meint Telepolis-Kollege Bernd Müller: Quecksilber scheidet nach offiziellen Angaben als Ursache aus. Das sei auch von dem grünen Umweltminister von Brandenburg, Axel Vogel, bestätigt worden: "Von polnischer Seite wurde uns gestern mitgeteilt, dass alle Fischproben, die bisher durchgeführt wurden, keine Schwermetallbelastung und keine Quecksilberbelastung ergeben haben."
- Ursache für tote Fische in der Oder weiter unklar
- Pestizid und Algengift - zwei mögliche Fischkiller in Oder nachgewiesen
- Viel zu wenig: 104 Liter Regen pro Quadratmeter
- Versiegelte Flächen, verdichtete Böden: Wohin mit dem Wasser?
Die Suche nach der einen Ursache aber verschleiert den Blick auf eine zunehmend tier- und damit fischfeindliche Umweltgestaltung. Durch versiegelte Böden etwa werde immer wieder Boden in Gewässer geschwemmt – und mit ihm mitunter Toxine. "Zudem gelangen Nährstoffe und Pflanzenschutzmittel ungefiltert in Bäche und Seen, was zu Algenblüte bis hin zum Fischsterben führen kann", so Nick Reimer in einem Text bei Telepolis.
All das lässt vermuten, dass die Ursachenforschung noch lange andauern wird. Die politischen Spannungen zwischen den ostdeutschen Bundesländern und Polen hilft bei der Aufklärung kaum.