Warum eine Öffnung von Nord Stream 2 der Ukraine helfen könnte

Hohl wie die "Gegneranalyse" des Zentrums LIberale Moderne: Nord-Stream-2-Pipeline. Bild: Vuo, CC BY-SA 4.0

Themen des Tages: Energiekrise droht zur Energiekatastrophe zu werden – eine Debatte darüber bleibt aus. Regierungsfinanzierte Politkampagnen und Journalismus unvereinbar. Schwierige Ursachensuche nach Fischsterben in der Oder.

Liebe Leserinnen und Leser,

diesen Spätsommer können viele Menschen in Europa kaum genießen, ihm wohnt etwas Unheilvolles inne: Je näher das Ende der warmen Jahreszeit rückt, desto nervöser werden die Akteure an den Energiemärkten, Politiker und vor allem die Verbraucher. Niemand kann derzeit ausschließen, dass die Energiekrise für Mittel- und Westeuropa zu einer Energiekatastrophe führt – und das auf so viel verschiedenen Ebenen, dass sie zu beschreiben das Format dieser Kolumne sprengen würde.

Noch kann das politische Framing der Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten werden, auch, wenn die zentrale Botschaft auf absurde Weise widersprüchlich ist. Der Angriff der russischen Armee gegen das westliche Nachbarland, so heißt es halsstarrig aus Berlin und Brüssel, mache Sanktionen gegen Moskau nötig.

Dass das Gas des Aggressors aber weiter fließt und Vizekanzler Habeck vor Vertretern des repressiven katarischen Regimes den Bückling macht – geschenkt! Dabei ist die Unaufrichtigkeit der sogenannten wertebasierten Außenpolitik nie offensichtlicher geworden als dieser Tage.

Zumal, gebracht hat es alles nichts. Der Gaspreis stieg in der zweiten Wochenhälfte auf über 300 Euro pro Megawattstunde, das Ende des Lindnerschen Tankrabatts werden die Bundesbürger an diesem Wochenende schmerzlich erfahren und in deutschen Wäldern bekommen die Revierförster den Diebstahl von Holzpoltern nicht in den Griff, die als Brennholz in Gärten und Kellern verschwinden.

Höchste Zeit, die Notbremse zu ziehen, meinte Telepolis-Autor Klaus Kohrs, dieser Tage, um eine "sofortige Erteilung der Betriebserlaubnis für Nord Stream 2" zu fordern: "Denn es erscheint wenig sinnvoll, einerseits Russland um Gas via Nord Stream 1 anzubetteln und andererseits die Lieferung durch Nord Stream 2 zu blockieren. Wir brauchen das billige russische Gas, nicht Putin."

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Wer sich in Politik dieser Tage für eine solche offensichtlich notwendige Kehrtwende der europäischen Energiepolitik ausspricht wie etwa FDP-Vize Wolfgang Kubicki, der erntet "Kopfschütteln" (Rheinische Post) oder "heftige Kritik" (tagesschau.de); er macht sich mitunter sogar verdächtig, den russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände zu spielen.

Dabei könnte man das Argument auch umdrehen: Sollten die Sanktionen und der europäische Selbstbetrug scheitern, wäre der politische und wirtschaftliche Sieg für Putin derart immens, dass er in der Ukraine kriegsentscheidend werden könnte.