Von der Leyen an EU-Länder: Mit 15 Prozent weniger Gasverbrauch sicher durch den Winter
Selbst bei einem kompletten Stopp der russischen Gaslieferungen würde dies nach Berechnungen der EU reichen. Bislang sollen die Sparmaßnahmen noch freiwillig sein. Putin fokussiert auf die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 als Ausweg aus der Gaskrise.
"Gas sparen für einen sicheren Winter", lautet der Plan, den die EU-Kommission heute Mittag vorstellte. Das schlimmste, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit mögliche Szenario sei, dass der russische Präsident die Gaslieferungen in Länder der EU einstelle, so die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer Präsentation des Pakets "Save gas for a safe winter".
Putin kalkuliere mit einem Stopp der Erdgas-Lieferungen, so die Einschätzung von der Leyens. Man sei aber vorbereitet. Die Speicher seien zu 64 Prozent aufgefüllt. Seit Januar dieses Jahres habe die EU ihre Gasversorgung aus anderen Ländern als Russland um 35 Prozent gesteigert. Sie verweist dabei auf die LNG-Lieferungen aus den USA, auf Importe aus Norwegen, zudem Lieferungen aus Katar, Ägypten und Algerien.
Aktuell sei auch mit Aserbaidschan eine Absichtserklärung (Memorandum of Understanding) zu Erdgas-Lieferungen unterzeichnet worden. Dazu habe man viel an der Energie der Zukunft, den Erneuerbaren, gearbeitet, um unabhängiger zu werden.
Doch gebe es, falls aus Russland kein Gas mehr komme, ein Versorgungsproblem, das den EU-Wirtschaftsmarkt und damit jedes Mitglied schwer treffen werde. Aber, so die EU-Kommissionspräsidentin: "Wir haben die Lektion aus der Pandemie gelernt". Der schlimmste Feind sei die Fragmentierung, aber wenn man gemeinsam handele, so könne man jeder Krise begegnen.
Solidarität war das große Schlüsselwort von der Leyens. Die konkrete Umsetzung bei der Gaskrise sieht nach den Plänen der Kommission so aus: Alle Mitgliedsländer müssten, so schnell es geht, nach einem EU-Alarm, 15 Prozent ihres Gasverbrauches einsparen. Mit dieser Einsparung, so habe man "unter gewissen Annahmen" berechnet, könne man selbst bei einem kompletten Stopp des russischen Gases sicher durch den Winter kommen.
Freiwilllige oder verpflichtende Solidarität?
Als rechtliche Basis der Einsparmaßnahmen erwähnte von der Leyen § 122 des Vertrages über die Arbeitsweise der Union. Dessen erster Abschnitt lautet:
Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission unbeschadet der sonstigen in den Verträgen vorgesehenen Verfahren im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen beschließen, insbesondere falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren, vor allem im Energiebereich, auftreten.
§ 122
Der heikle Punkt in der Sache kommt in diesem Gesetzestext nicht vor, nämlich die Art der Verpflichtung der einzelnen EU-Mitgliedsländer, sich an die angemessenen Maßnahmen zu halten.
Aus der Pressekonferenz, an der Frans Timmermans, zuständig für Klimapolitik und Green Deal, und Kadri Simson, EU-Kommissarin für Energie, teilnahmen, ging hervor, dass die 15-Prozent-Einsparungen freiwillig und nicht verpflichtend seien - und: Dass sich das aber auch ändern könnte.
Als große Exempel für Einsparungen wurde für die heißen Monate empfohlen, die Temperatur bei den Klimaanlagen höher zu setzen, und für die kalten Monate, die Temperaturen für die Heizungen herunterzusetzen.
Man wird noch mehr und Detailliertes dazu hören. Zu rechnen ist auch mit unterschiedlichen Reaktionen aus EU-Mitgliedsländern, die ihre eigenen Ansichten zu den zentralen Solidaritätsaufrufen äußern werden: Wenn es etwa darum geht, eigene Gasvorräte an Länder abzugeben, die in größerer Not sind. Das gehört zur zweiten Säule der Solidarität, die von der Leyen ansprach.
Putin für die Inbetriebnahme von Nord Stream 2
Indessen wurden heute Vormittag von der Publikation Euraktiv Lösungsvorschläge zur Gaskrise vom russischen Präsidenten Putin übermittelt, die laut des Mediums auf der Übersetzung eines Transkripts aus dem Kreml beruhen.
Demnach soll Putin, der sich gerade in Iran aufhält, Medienvertretern gesagt haben, dass die Gaslieferungen nach Europa zunehmen könnten, wenn Nord Stream 2 endlich in Betrieb genommen werden könne.
Er habe diese Möglichkeit bei einem Treffen "vor einem oder zwei Monaten" mit dem deutschen Kanzler Scholz angesprochen. Dieser habe jedoch geantwortet, dass es wichtigere Dinge gebe. Zur Antwort gab Putin – laut Zitat aus dem oben erwähnten Kreml-Transkript, wie es Euraktiv ins Englische übersetzt:
Nun, ich musste ihn warnen, dass wir dann die Hälfte des für Nord Stream 2 vorgesehenen Volumens für den inländischen Verbrauch und die Verarbeitung wegnehmen werden. Und Gazprom hat es bereits getan. Selbst wenn wir also morgen Nord Stream 2 in Betrieb nehmen, werden es nicht 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr sein, sondern genau die Hälfte, und wenn man bedenkt, dass wir uns im zweiten Halbjahr befinden, wird es ein Viertel sein.
Wladimir Putin, zitiert nach Euraktiv
Selbst, wenn Nord Stream 2 in Betrieb genommen werden würde, was gegenwärtig als wenig wahrscheinlich erscheint, gäbe es also weniger Gas als ursprünglich vereinbart. Für die minimierten Erdgas-Lieferungen aus den anderen Pipelines, Nord Stream 1 und Jamal, machte Putin Polen, die Ukraine und westliche Sanktionen verantwortlich - zu letzterem Punkt sprach er den Fall der Gasturbine für Nord Stream 1 an.
Putin wirft der Ukraine vor, dass deren Regierung plötzlich angekündigt habe, dass sie eine der beiden Routen, die durch ihr Gebiet führen, schließen werde. Dies sei aus "politischen Gründen" geschehen.
Zudem monierte er den Gashandel zwischen Deutschland und Polen. Deutschland bekomme durch die Verträge mit Russland Gas billiger als Polen, deren Preis liege näher am Marktpreis. Der markante Schluss, den Putin daraus zieht, wird wie folgt zitiert:
Für deutsche Unternehmen ist es profitabel, mit einem kleinen Aufschlag an die Polen zu verkaufen. Für die Polen ist es profitabel, zu kaufen, weil es billiger ist, als [Gas] direkt von uns zu beziehen. Aber die Gasmenge auf dem europäischen Markt ist zurückgegangen, und der Gesamtpreis auf dem Markt ist gestiegen. Wer hat gewonnen? Die Europäer haben nur verloren.
Wladimir Putin, zitiert nach Euraktiv
Laut aktuellen Meldungen sollen bislang weder die Turbine noch dazu gehörige Papiere in Moskau angekommen sein. Zudem, so kommentiert es ein Beitrag des Bayerischen Rundfunks, ließen Putins Äußerungen in Teheran darauf schließen, "dass auch nach Ende der Wartungsarbeiten und selbst bei Einbau der Turbine die Pipeline möglicherweise nicht wieder auf volle Leistung hochgefahren würde".
Es sei denkbar, "dass Moskau so die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 erzwingen will".