Umwelthormone: Einigung zu Merkmalen auf EU-Ebene

Flutriafol, vor allem zur Saatgutbeizung von Getreide verwandt und seit 2011 in der EU zugelassen. Das systemische Breitband-Fungizid hemmt mit den Estrogenen wichtige weibliche Sexualhormone. Bild: Bernd Schröder

Kriterien sind vorerst jedoch nur für Pestizide bestimmt - und das mit Ausnahmen

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Am 4. Juli 2017 stimmten die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten für den Vorschlag der Europäischen Kommission über die seit längerem erwarteten und kontrovers diskutierten wissenschaftlichen Kriterien zur Identifizierung von Umwelthormonen bzw. endokrinen Disruptoren (ED) (s. Umwelthormone: Nur ein moderner Mythos? - allerdings vorerst nur für den Bereich Pflanzenschutzmittel. Die Beteiligten werten dies dennoch als einen wichtigen Schritt zum besseren Schutz der Bürger vor Schadstoffen.

Für den EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Vytenis Andriukaitis, ist das ein Erfolg, der die Entschlossenheit auf dem Weg zu einer EU-Politik widerspiegelt, die sich dem Problem der Umwelthormone annimmt. Nach monatelangen Diskussionen gehe die EU nun in Richtung eines ersten Regulierungssystems der Welt voran, mit rechtsverbindlichen Kriterien, die definieren, was einen endokrinen Disruptor ausmacht.

Einmal in Kraft, soll der Text dafür sorgen, dass jeder Pestizidwirkstoff, der als endokriner Disruptor für Mensch oder Tier identifiziert wird, vom Markt genommen werden kann. Man setze jetzt im Sinne eines reibungslosen Inkrafttretens der Kriterien auf die Unterstützung des Europäischen Parlaments und des Rates.

Die angestrebten Kriterien sollen den Beginn einer neuen Strategie markieren, die die Exposition von EU-Bürgern gegenüber endokrinen Disruptoren über Pestizide und Biozide hinausgehend minimiert. Die Strategie zielt darauf ab, andere wichtige ED-Quellen abzudecken, die nach wie vor ausgeklammert bleiben, nämlich Kinderspielzeug, Kosmetik und Lebensmittelverpackungen. Parallel dazu wird im Rahmen des nächsten Horizon 2020-Arbeitsprogramms im Jahr 2018 substanzielle neue Forschung zu endokrinen Disruptoren mit einem Budget von rund 50 Millionen Euro in Aussicht gestellt. Das Geld soll voraussichtlich in zehn Projekte fließen.

Die Kommission will die Kriterien bereits auf Stoffe anwenden, für die eine entsprechende Bewertung oder Neubewertung vorliegt oder für die Bestätigungsdaten über endokrine Eigenschaften angefordert wurden. So sollen weitere Verzögerungen vermieden werden.

Der Vorschlag geht nach Aussagen der EU-Kommission über die Merkmale zur Identifizierung endokriner Disruptoren für die menschliche Gesundheit hinaus und präsentiert auch Kriterien, die die Umwelt schützen sollen.

Wildtiere sind besonders anfällig für umwelthormonelle Wirkungen von Pestiziden. Ein Beispiel ist Linuron. Das selektive Herbizid aus der Gruppe der Harnstoffderivate beeinflusst die Produktion von Fortpflanzungshormonen in Nagetieren. Bild: Bernd Schröder

Kriterien der WHO anerkannt

Die nun geltenden Kriterien für Stoffe, die unter die Pflanzenschutzmittelgesetzgebung fallen, basieren auf der ED-Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie identifizieren bekannte und vermutete endokrine Disruptoren. Sie legen auch fest, dass die Identifizierung eines endokrinen Disruptors unter Berücksichtigung aller relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse einschließlich tierischer und in-vitro-Studien oder rechnergestützter Modellierungen unter Verwendung eines gewichteten evidenzbasierten Ansatzes erfolgen soll. Die Kommission beabsichtigt, dieselben Kriterien für Biozide zu erlassen.

Ausnahmen und Hintertüren

Wirkstoffe, die endokrine Disruptoren sind, dürfen nicht genehmigt werden - es sei denn, die jeweilige Anwendung geht mit einer vernachlässigbaren Exposition einher. In diesem Fall können sie unter Einschränkungen genehmigt werden.

Die Spezifität einiger Wirkstoffe, die ihre endokrine Wirkungen beispielsweise wie gewünscht auf Gliederfüßer entfalten, jedoch keine Wirbeltiere einschließlich Menschen beeinträchtigen, war bereits zuvor ein Streitpunkt, denn sie berührt die Umweltverträglichkeit dieser Stoffe. Kurz vor Weihnachten 2016 hatte ein Vorschlag der EU-Kommission mit einem neuen Detail überrascht (Endokrine Disruptoren): Pestizide, die die Häutung von Insekten oder das Wachstum von Pflanzen beeinflussen, seien extra dafür konzipiert worden und sollten deshalb am Markt bleiben dürfen.

Die vorgeschlagene Ausnahmeregelung beruhte auf einer alten Forderung der Hersteller von BASF, Bayer und Syngenta. Es geht um 15 Insektizide und eine Handvoll Herbizide, mit einer jährlichen Produktionsmenge von 8700 Tonnen. Diese Stoffe, die für die integrierte Schädlingsbekämpfung von besonderem Interesse sind, werden einer spezifischen Risikobewertung unterzogen und nur dann genehmigt, wenn es keine unannehmbaren Auswirkungen auf Nichtzielorganismen gibt. Der Entwurf sieht vor, dass die Kommission zu gegebener Zeit eine Bewertung der Kriterien vorlegt, die die Ausnahmeregelung für diese Wachstumsregulatoren im Lichte der gewonnenen neuen Erfahrungen abdecken wird.

Die EU-Rechtsvorschriften sehen die routinemäßige Überprüfung von einmal zugelassenen Pestizidwirkstoffen vor. Die Frage, ob ein Wirkstoff ein endokriner Disruptor ist, wird jedes Mal beurteilt, wenn der Stoff einer Genehmigung oder einer Erneuerung der Zulassung auf EU-Ebene unterliegt. Die Kriterien sind auch für die laufenden Verfahren zur Neubewertung von Stoffen gültig.

Die Kriterien gelten nach einer kurzen Übergangszeit von sechs Monaten, in der die von der Kommission beauftragte Europäische Chemikalienagentur (ECHA) und die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) einen gemeinsamen Leitfaden zur Umsetzung der Kriterien schaffen werden. Eine Marschroute dafür wurde im Dezember 2016 veröffentlicht. Im Herbst wird der Leitfaden zur öffentlichen Einsichtnahme erwartet.

Außerdem ist eine Neubewertung der Funktionsweise der EU-Gesetzgebung zu Pflanzenschutzmitteln im Gange. Die resultierenden Schlussfolgerung könnten den Weg für eine Änderung des gesamten damit befassten EU-Rechtsrahmens ebnen.