Unabhängiger öffentlicher Rundfunk in Griechenland?
Sender ERT: Wie ein freies Programm, welches die Bürger begeisterte, eine Symbiose mit Syriza einging
Als der damalige Premierminister Antonis Samaras im Juni 2013 die staatliche Sendeanstalt ERT schließen ließ, führte dies zu einer ernsthaften Regierungskrise. Zehntausende Griechen demonstrierten für den Erhalt des Senders. Die Journalisten der ERT liefen dagegen zur Höchstform auf. Die Sendeanstalten wurden von ERT-Mitarbeitern und solidarischen Kollegen besetzt.
Sie lieferten ein freies Programm, welches die Bürger begeisterte. Diese versammelten sich vor den besetzten Sendezentralen und dienten über Wochen, den ganzen Sommer lang, als menschliche Schutzschilde gegen eine Räumung, die schließlich bei Herbstbeginn 2013 doch erfolgte. Umso größer waren die Hoffnungen, als Alexis Tsipras während seiner ersten Regierungszeit die ERT erneut eröffnete.
Erfolgssender für Syriza
Tsipras schloss dafür den zwischenzeitlich von Samaras installierten Sender "Dimosia Tileorasi", der als Nachfolger der Zwischenlösung NERIT eher die Aufgaben eines Regierungsrundfunks denn einer öffentlich rechtlichen Sendeanstalt wahrgenommen hatte. Knapp zwei Jahre nach der Wiedereröffnung der ERT ist leider alles beim Alten. Der Sender stellt alle möglichen und unmöglichen Erfolge der Regierung als solche dar. Wo auch immer Tsipras auftritt, kann er mit einer Live-Übertragung rechnen.
Diese Live-Übertragungen werden als Eilnachrichten präsentiert, so auch am Mittwoch, als Tsipras zusammen mit seinem Verteidigungsminister und Koalitionspartner Panos Kammenos die ehemalige Kaserne Pavlos Melas in Thessaloniki der Stadtgemeinde zur öffentlichen Nutzung übergab. Darüber, dass vor der Kaserne zahlreiche Bürger protestierten und eine Dame mittleren Alters Tsipras außer Verwünschungen zurief, dass dieser mal versuchen solle, mit 400 Euro pro Monat zu leben, schwieg sich die ERT aus. Proteste wurden nicht gezeigt.
Probleme mit der Goldenen Morgenröte
Generell präsentiert die ERT in allen Nachrichtensendungen vor allem die politischen Ansichten der Regierung, oppositionelle Stimmen kommen seltener zu Wort. Wobei die Haltung der ERT gegenüber der Goldenen Morgenröte eine Ausnahme bildet.
Der Programmintendant Dionysios Tsaknis, ein altgedienter prominenter Liedermacher des linken Spektrums, sah lange keine Handhabe, um live übertragene Hasstiraden von Politikern der Goldenen Morgenröte zu unterbinden. So wurden zahlreiche Hasstiraden und mit rassistischen Äußerungen gespickte Reden von Politikern der GM ebenso übertragen, wie mit nationalistischen Motiven gespickte Feiern.
Tsaknis gab sich machtlos, und fürchtete, dass eine Blockade solcher Übertragungen ihm persönlich eine Klage einbringen würde. Schließlich kündigte die Gewerkschaft der ERT-Mitarbeiter an, die Live-Übertragungen zu bestreiken. Tsaknis setzte eine Senderinterne Vorzensur ein und tatsächlich wurde dadurch eine Rede des Generalsekretärs der Goldenen Morgenröte wegen der in ihr enthaltenen rassistischen und zur Gewalt aufrufenden Sprache aus dem Programm genommen, was die Goldene Morgenröte ihrerseits überhaupt nicht goutierte.
Projekt, eine "griechische BBC" zu schaffen
Vorher gab es Kritik an der ERT von allen Seiten, auch von Seiten der regierungsfreundlichen Presse. Das offensichtliche Scheitern des Projekts, eine "griechische BBC" zu schaffen, wurmt nicht nur die einstigen Demonstranten, sondern auch Regierungspolitiker. So sah sich der Fraktionsvorsitzende von Syriza Nikos Xidakis am Wochenende gemüßigt, neben einer Kritik an den übrigen, seiner Ansicht nach vollkommen unzureichenden privaten Medienanstalten auch die ERT aufs Korn zu nehmen.
Er bezeichnete die Sendeanstalt als tragisch und auf dem Niveau der Dritten Welt befindlich. Xidakis wurde ins Studio zitiert und dort von ERT-Journalisten ins Kreuzverhör genommen. Der frühere Kulturminister schwächte daraufhin seine Kritik ab. Er habe die ERT nur deshalb so scharf kritisiert, weil sie ihm am Herzen liegen würde, meinte er. Tsaknis hatte mit einem offenen Brief auf die Kritik reagiert. Dem Intendanten fehlte eine ausdrückliche Entschuldigung seitens des Politikers.
Vollkommen unbegründet war Xidakis Kritik indes nicht. Er erklärte bei einem Runden Tisch mit dem Thema "Protecting the fourth estate: Democracy, Accountability and the Media" des diesjährigen Delphi-Forums, dass es auch in der ERT, die er über die übrigen Medien stellte, keinen tatsächlichen Journalismus und keine Recherchen mehr gäbe. Der Politiker stammt selbst aus dem Lager der Journalisten.
Politische Disziplinarmaßnahmen
Die neue ERT ist kein Regierungssender geworden, wie sie es unter früheren Premierministern war. Sie hat sich vielmehr in eine Symbiose mit Syriza begeben und erinnert, wenn von dort Kritik kommt, die Politiker daran, dass sie selbst von ihr ebenso abhängig sind, wie sie selbst von ihnen. Es gibt auch, Telepolis persönlich bekannte Syriza-Parlamentarier, welche aufgrund persönlicher Differenzen keine Gelegenheit mehr erhalten, über die ERT zu ihren Wählern zu sprechen.
Da ist es verständlich, dass Mitarbeiter, welche nicht auf der politischen Linie der Regierung sind, kein leichtes Leben im Sender haben. So wurde ein Disziplinarverfahren gegen einen Angestellten eingeleitet, der sich außerhalb der Sendezeit mit dem EU-Vertreter in Athen, Panos Karvounis, angelegt hatte. Karvounis hatte in einer politischen Sendung ohne jeglichen Widerspruch seitens der Moderatoren gepredigt, dass es zum glückbringenden Sparkurs keine Alternative geben würde.
Er sprach Karvounis daraufhin nach dem Ende der Sendung selbst an und beklagte sich über die Ungerechtigkeit und Fruchtlosigkeit der Austeritätspolitik. Dabei kam es zu einem Wortwechsel, bei dem der Angestellte, der disziplinarischen Anklageschrift gemäß zwar nicht geflucht, aber seine Stimme erhoben habe, was der Sender nicht tolerieren möchte.
Widerspruch zur politischen Linie des Senders ist bei der ERT ebenso unerwünscht wie bei den privaten Sendern. Hier hat Xidakis Recht, die Situation ist wirklich tragisch und eher der Dritten Welt entsprechend.