Unabhängigkeitserklärung, nur wie?
Der Ton wird immer schärfer, Spanien droht dem katalanischen Regierungschef mit einem "Maßnahmenpaket"
Ganz Katalonien, ganz Spanien und Europa warten gespannt auf den Auftritt von Carles Puigdemont im katalanischen Parlament am frühen Abend. Vor der Rede des katalanischen Ministerpräsidenten steigt die Spannung. Das Parlament ist abgesperrt, Hubschrauber kreisen über der Stadt, mehr als 1000 Journalisten aus aller Welt sind akkreditiert. Übertragungswagen wurden um das Parlament herum in Stellung gebracht. Über den Inhalt der Rede sickert nichts nach außen. Viele in Katalonien hoffen und viele in Spanien befürchten, dass Puigdemont die Unabhängigkeit erklärt.
Darauf hoffen die großen zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Linksparteien CUP und ERC. Welche Formel eingesetzt wird, ist auch deren Chefs nicht klar. Klar ist, dass Puigdemont bis zur letzten Minute auf ein Dialogangebot aus Madrid wartet. Zu seiner Rede wollte sich auch Jordi Sánchez nach einem Gespräch mit dem Präsidenten am Dienstag nichts sagen. Puigdemont habe aber sein Vorgehen nicht mit ihm abgestimmt, sagte der Chef der großen Katalanischen Nationalversammlung (ANC). Sánchez hat alle Menschen dazu aufgerufen, zum Parlament zu gehen um Puigdemont zu "unterstützen".
Eine große Masse soll den Präsidenten und die Parlamentarier vor einer möglichen Festnahme schützen. "Wir stehen an seiner Seite", sagte der ANC-Präsident. Sánchez hat klargestellt, dass die katalanische Regierung keine "Verrücktheiten" begehen werde und Puigdemont weiter zu jedem Dialog und Vermittlung bereit sein. "Wer Dialogwege sehen will, wird sie auch finden."
Spanien setzt dagegen weiter auf Repression und verweigert jeden Dialog sowie nationale wie internationale Vermittlung. Der Sprecher der regierenden Volkspartei (PP) im Parlament erklärte, nach der mögliche Unabhängigkeitserklärung habe man ein "Maßnahmenpaket" parat. Die Aussetzung der Autonomie nach Paragraph 155 hat Rafael Hernando nicht dementiert. Genauso wenig dementierte er Presseberichte, dass Puigdemont wegen "Aufruhr" festgenommen und angeklagt werden soll, wie Sánchez oder der Chef der Regionalpolizei und viele andere. Mit diesem Vorwurf sehen sich schon etliche hohe Beamte der Regionalregierung konfrontiert. Angesichts der "Herausforderung" aus Katalonien müsse man "komplexer reagieren und benötigt man ausgefeiltere Maßnahmen als nur ein Artikel der Verfassung". Er kündigte auch ein "Vorgehen der Justiz" an.
Allseits wird, auch im Europarat, darauf gehofft, dass Spanien endlich auf einen Dialog einschwenkt. Für den Andrej Hunko von der Linkspartei ist klar, dass Katalonien nicht an einer Eskalation interessiert ist und Puigdemont stets "Raum für den Dialog" lassen wird, erklärte er gegenüber Telepolis. Es sei wichtig, sich an einen Tisch zu setzen. das werde nur mit internationaler Vermittlung möglich sein: "Es ist schwer erträglich, dass der mächtigste Mann des Europarates, Thorben Jagland, auf die Frage des spanischen Abgeordneten Pablo Bustinduy (Podemos) nach internationaler Mediation, diese ausschließt, die Europäische Menschenrechtkonvention mit keinem Wort erwähnt und ausschließlich auf die spanische Verfassung verweist."
Im Fall der Ukraine habe Jagland genau eine umgekehrte Position eingenommen und erklärt, dass die Verfassung "angesichts des politischen Prozesses, der sich auf dem Maidan vollzog", nicht so wichtig sei. "Diese doppelten Standards müssen endlich aufhören." Hunko begrüßt, dass sich der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muizniek, an Spanien gewandt hat. Muizniek fordert eine unabhängige und effektive Untersuchung der unverhältnismäßigen und unnötigen Polizeigewalt in Katalonien.
Hunko wird am Donnerstag die Aktualitätendebatte im Europarat eröffnen. Dieser könne dazu beitragen, die schwierige Situation "zu entschärfen und den richtigen Rahmen für Verhandlungen zu finden, damit die Situation dort nicht weiter eskaliert". Die EU-Kommission habe sich disqualifiziert, da sich der EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker praktisch hinter den spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy gestellt habe. Es sei aber ermutigend, dass es gegen den entsprechenden Vorschlag der Linken, der vom Präsidium der Parlamentarischen Versammlung unterstützt wurde, keinen politischen Widerstand gab.
Der Linken-Politiker wird in Straßburg über die Vorgänge in Katalonien berichten. Hunko war Teilnehmer der Beobachterdelegation und wurde Zeuge davon, dass die spanischen Sicherheitskräfte auch mit verbotenen Gummigeschossen gegen Teilnehmer am Referendum vorgegangen sind.
Dass der Sprecher der regierenden PP am Montag praktisch eine Morddrohung gegen den katalanischen Regierungschef ausgesprochen hat, findet Hunko "ungeheuerlich". Pablo Casado warnte Puigedemont, er könne "so enden" wie nach dem Bürgerkrieg Lluís Companys, der vor 83 Jahren eine eigenständige Republik Katalonien ausgerufen hatte. Nach seiner Flucht nach Frankreich wurde Companys von der Gestapo verhaftet, an Spanien übergeben, schwer gefoltert und erschossen. "Ich finde es ungeheuerlich, dass diese offene Bezugnahme auf die faschistische Tradition durch die Schwesterpartei der CDU ohne deutsche oder europäische Reaktionen von Regierungsseite bleibt."