Und die Rache folgt sogleich
Die polnische Rechte, vor allem die katholische Regierungspartei LPR, hatte die Demonstration für die Rechte Homosexueller nicht verhindern können und fahren nun schwere Geschütze auf
Am letzten Samstag marschierten 3.000 Lesben und Schwule durch die Straßen von Warschau, um für die Rechte der Homosexuellen in Polen zu demonstrieren. Aus ganz Europa waren Sympathisanten in die polnische Hauptstadt angereist, um ihre Unterstützung für die polnischen Homosexuellen kundzutun. So kamen aus Deutschland mit Volker Beck, Claudia Roth und Renate Künast prominente Politiker der Grünen, aber auch Unterstützer wie Thomas Hermanns und Georg Uecker, die sich in der Aktion Warschauer Pakt 2006 mit anderen Unterstützern zusammenschlossen (Schwule kämpfen in Warschau um Anerkennung). Die polnische Rechte, vor allem die national-katholische Regierungspartei LPR (Liga Polnischer Familien), versuchte bis zum Schluss, die "Gleichheitsparade" zu verhindern – ohne Erfolg. Doch nun folgt die Rache der LPR, die für eine Oppositionspolitikerin ein parlamentarisches Nachspiel haben wird und für die Organisatoren der "Gleichheitsparade" einer Rufmordkampagne ähnelt .
Vergeblich versuchte die LPR, die "Gleichheitsparade" auf den Warschauer Straßen mit allen Mitteln zu verhindern. Die Partei hoffte auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts, sie kündigte eine Gegendemonstration der parteinahen "Allpolnischen Jugend" an, die dann doch abgesagt wurde, und Roman Giertych, Bildungsminister in der aktuellen Regierung, beschimpfte die Demonstration als „Propaganda der Homosexualität“, nachdem feststand, dass sie stattfindet.
Roman Giertych und seine Parteifreunde haben noch nie einen Hehl aus ihrer Homophobie gemacht. Sie ist sogar ausgeprägter und aggressiver, als die des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, der in Deutschland als das Synonym für die polnische Homophobie gilt. Für die LPR sind Homosexuelle gleichzusetzen mit Pädophilen und Nekrophilen, die wegen ihrer sexuellen Neigung eine Gefahr für die polnische Gesellschaft darstellen.
Die LPR, die von dem berühmt-berüchtigten "Radio Maryja" seit ihrer Parteigründung im Jahr 2001 unterstützt wird ("In den Krieg gegen Gazeta Wyborcza"), macht auch keinen Hehl daraus, dass sie Homosexualität als eine heilbare Krankheit ansieht. Im März dieses Jahres veranstaltete die Partei ein Seminar, an dem Ärzte und Psychologen teilnahmen, in der diese reaktionäre These vertreten wurde. Als Beweis für diese Behauptung wurde auf der Veranstaltung ein Amerikaner vorgestellt, der in seiner Jugend angeblich homosexuell war, sich deshalb in Therapie begab und heute ein stolzer Familienvater ist.
Bei dieser Einstellung ist die Vehemenz, mit der die erzkatholische LPR versuchte, die "Gleichheitsparade" zu verhindern, nicht verwunderlich. Es hat sie wahrscheinlich auch sehr geschmerzt, die Homosexuellen durch Warschau demonstrieren zu sehen. Vor allem auch deshalb, weil die "Parada Rownosci" nicht nur eine Demonstration für die Rechte von Lesben und Schwulen war, sondern sich auch zu einer Protestkundgebung gegen die national-konservative Regierungskoalition entwickelte – viele Warschauer schlossen sich den Homosexuellen an, um für freiheitliche und demokratische Werte zu demonstrieren. Nach Angaben polnischer Medien nahmen an der Abschlussveranstaltung bis zu 14.000 Menschen teil, obwohl zu Beginn der Parade nur 3.000 Demonstranten mitmarschierten.
Doch nun folgt die Rache der LPR, die dabei kräftig von den Medien des Propagandaimperiums von Redemptoristenpfarrer Tadeusz Rydzyk unterstützt wird, dem Gründer von "Radio Maryja" und Lenker des TV-Senders "Trwam" und der Tageszeitung "Nasz Dziennik". Bereits am Sonntag, nur einen Tag nach der Parade, erschien in der Internetausgabe von "Nasz Dziennik" ein langer Bericht über die "Gleichheitsparade", mit dem vielsagendem Titel „Parade der Deviation“. Darin wurde ausführlich über die angebliche Distanzierung der Warschauer Bürger von der Parade berichtet, die sich bis auf wenige Ausnahmen kopfschüttelnd und angewidert in ihren Häusern und Wohnungen vor den Teilnehmern des Demonstrationszuges versteckt haben sollen. Auch die Berichterstattung über die Spruchbänder der Demonstranten nahm in dem Artikel einen großen Platz ein. Als eine Diffamierung der Familie und als ein Angriff auf die polnischen Werte, wurden die Forderungen der Lesben und Schwulen dargestellt. Auch vor dem Vorwurf der Blasphemie scheute sich der Reporter nicht. Das Spruchband mit der Aufschrift „Haltet stärker an der Toleranz fest“, eine Abwandlung des Mottos, unter dem der Polenbesuch von Papst Benedikt XVI stattfand („Haltet stärker an der Religion fest“), war für den Journalisten ein Angriff auf die religiösen Gefühle der Polen.
“Westliche terroristische Gruppen“ sollen an der Demonstration teilgenommen haben
Den Vorwurf, die religiösen und nationalen Gefühle der Nation verletzt zu haben, muss sich seit Sonntag nun auch die polnische Oppositionspolitikerin und SLD-Parlamentsabgeordnete Joanna Seryszyn gefallen lassen. Auf der Abschlusskundgebung sagte sie: „Möge diese Parade das Antlitz der Erde, dieser Erde, verändern.“ Ein Satz, der sich auf ein berühmtes Zitat von Johannes Paul II bezieht, den der polnische Papst 1979 bei seiner ersten Pilgerreise in seine Heimat sagte. Diese Pilgerreise gilt bis heute als der Beginn vom Ende des kommunistischen Regimes in Polen. Die LPR griff dieses Zitat sofort auf und warf der Politikerin in "Nasz Dziennik" eine bewusste Provokation vor. Eine Beleidigung des verstorbenen polnischen Papstes, des „größten Polen aller Zeiten“, wie es im Land östlich der Oder heißt, und des polnischen Nationalstolzes sei die Aussage von Joanna Seryszyn, „da dieser Satz von immens großer Bedeutung für jeden Polen ist“, sagte Wojciech Wierzejski von der LPR der katholischen Zeitung und kündigte Konsequenzen für die Politikerin an. „Vor den Ethikausschuss des polnischen Parlaments werde sie sich verantworten müssen.“ Eine Drohung, die Wierzejski tags darauf wiederholte.
Doch auch die Organisatoren der "Gleichheitsparade" müssen sich auf heftige Zeiten einstellen. Am Dienstag luden die LPR und die parteinahe "Allpolnische Jugend" zu einer Pressekonferenz ein, auf der Fotos vorgelegt wurden, die beweisen sollen, dass an der Parade auch „westliche terroristische Gruppen“ teilnahmen. Schwarzmaskierte Männer sieht man auf den Fotos, die mit Schlagstöcken und Tränengas bewaffnet sind. „Die Bewaffnung sei für Autonome aus Westeuropa typisch“, sagte Krzysztof Bosak, Parlamentsabgeordneter der LPR auf der Pressekonferenz. Laut Bosak soll es auch Fotos geben, die zeigen, „wie westliche Terroristen friedliche Warschauer Bürger angreifen“. Auf einem der Bilder soll auch ein Deutscher abgebildet sein, der mit einem Schlagstock auf einen unbewaffneten Warschauer einschlägt. Bosak erklärte auf der Pressekonferenz, die Organisatoren der "Gleichheitsparade“ hätten schon im voraus von der Anreise der Autonomen gewusst. „Da sie diese Anreise aber nicht verhinderten, beweist deren gewalttätigen Charakter und ihre schlechten Absichten“, sagte der Abgeordnete. Nun sollen die Fotos der Warschauer Stadtverwaltung vorgelegt werden, um im nächsten Jahr die polnische Hauptstadt vor einer angeblichen Orgie der Gewalt zu bewahren.
Diese heftige Diffamierung der Teilnehmer der "Gleichheitsparade" und deren Organisatoren ist nicht nur eine Rache der Konservativen für diese Demonstration, sondern auch schon der Versuch, die Parade im nächsten Jahr nicht noch einmal stattfinden zu lassen. Denn dies ist nicht nur eine Rufschädigung, sondern auch schon eine vorweggenommene Einflussnahme auf die Richter, die im nächsten Jahr darüber entscheiden werden, ob die Gleichheitsparade stattfinden wird. Doch vielleicht sollte man den selbsternannten Bewahrern des Polentums ein Zitat des grandiosen polnischen Journalisten und Autors Ryszard Kapuscinski entgegenhalten: „Patriot sein – das bedeutet die Würde des Nächsten zu achten.“