Und ewig strahlt das Plutonium
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30 Jahre nach Tschernobyl kann von einem Ende der Folgen noch lange nicht die Rede sein
Vor genau 30 Jahren ereignete sich im ukrainischen Tschernobyl, nördlich von Kiew und unweit der weißrussischen Grenze, der bis dahin folgenschwerste Unfall in der Geschichte der zivilen Atomenergienutzung. Der damals erst seit drei Jahren im Betrieb befindliche Reaktor 4 des dortigen Atomkraftwerks sollte zur jährlichen Revision herunter gefahren werden und geriet dabei völlig außer Kontrolle.
Eine Mischung aus Bedienungsfehlern der Mannschaft und einem problematischen Design des Reaktors vom Typ RBMK, so 2002 die Nuclear Energy Agency der OECD in einer Übersichtsdarstellung, führte dazu, dass es schließlich zu einer sehr raschen Entwicklung von Wasserdampf kam und der dadurch entstehende Druck den Reaktorbehälter sowie das Dach des Gebäudes wegsprengte.
Die Explosion und die danach einsetzenden Brände schleuderten radioaktives Material hoch in die Atmosphäre, wodurch die leichteren Bestandteile in den folgenden Wochen zum Teil über mehrere 1.000 Kilometer transportiert werden konnten. Schwere Partikel, darunter auch Splitter der Brennstäbe mit den darin enthaltenen Spaltprodukten wie Plutonium gingen in einem Umkreis von einigen Dutzenden Kilometern in der Ukraine und im Südosten Weißrusslands runter.
Weite Verbreitung fanden hingegen die flüchtigeren Substanz wie die radioaktiven Edelgase, die vollständig entwichen, oder Jod und Cäsium, von dem nach Angaben des Bundesamt für Strahlenschutz vom März 2016 rund 50 Prozent des radioaktiven Inventars an die Umwelt abgegeben wurde.
Die Wolke
In einem 1998 von der EU-Kommission in Zusammenarbeit mit den Regierungen der Ukraine, Russlands und Weißrusslands veröffentlichen Atlas des Niederschlags von Cäsium wird die Ausbreitung detailliert beschrieben.
Demnach wurde eine erste Wolke nach Norden getragen. Regen sorgte dafür, dass die radioaktiven Stoffe hauptsächlich über Finnland und Schweden ausgewaschen wurden. Die internationale Öffentlichkeit wurde erst durch die dortigen Messungen auf den Unfall aufmerksam, den die sowjetischen Behörden, die Ukraine war bis 1991 Teil der Sowjetunion, zunächst zu verheimlichen versucht hatten.
Anfang Mai 1986 drehte der Wind auf Ost und der weiter aufsteigende radioaktive Rauch wurde nun nach Westeuropa getragen, wo er vor allem über Österreich, der Tschechoslowakei, dem nördlichen damaligen Jugoslawien und Teilen Deutschlands mit dem Regen niederging. Besonders der Süden Bayerns und die Bodenseeregion waren betroffen, aber auch einige Regionen im Norden Sachsen-Anhalts und im Westen Brandenburgs und Mecklenburgs.
Das Bundesamt für Strahlenschutz schreibt in dem oben verlinkten Bericht, dass vereinzelt im Bayerischen Wald sowie südlich der Donau eine Strahlenbelastung von bis zu 100.000 Becquerel Cäsium-137 pro Quadratmeter festgestellt wurde. Ein Becquerel bedeutet einen Atomzerfall pro Sekunde. Das radioaktive Isotop Cäsium-137 hat eine Halbwertzeit von 30,2 Jahren, das heißt, die Belastung ist inzwischen halbiert und wird zur Mitte des Jahrhunderts auf ein Viertel reduziert sein.
Wie eine Untersuchung des Bayerischen Landesamtes für Umwelt 20 Jahre nach dem Unfall zeigt, ist das Cäsium-137 nach wie vor in den Böden mit der entsprechenden abklingenden Radioaktivität vorhanden. Die Radioaktivität des ebenfalls durch die Tschernobyler Reaktorkatastrophe verbreiteten Cäsium-134 ist hingegen wegen seiner Halbwertzeit von rund zwei Jahren inzwischen weitestgehend abgeklungen.
Radioaktive Substanzen wie Cäsium-137 werden vor allem gefährlich, wenn sie über die Nahrungskette in den Körper gelangen und sich dort anreichern. Dann kann die beim Zerfall der instabilen Atomkerne entstehende Strahlung unmittelbar auf Körperzellen einwirken und diese schädigen. Deshalb wurde in Westdeutschland, wo erhebliche Teile der Bevölkerung bereits durch die Auseinandersetzung um den Bau von Atomkraftwerken seit Mitte der 1970er Jahre sensibilisiert waren, das Thema kontaminierte Lebensmittel besonders hervorgehoben.
Belastung der Böden, Auswirkungen auf Nahrungsmittel
Hierzulande wie auch in anderen Ländern wurden große Mengen von Gemüse und anderen Nahrungsmitteln vor allem durch den Regen kontaminiert. In Westdeutschland machten sich unabhängige Physiker und andere technisch Versierte daran, die Belastung selbst zu messen, weil viele den abwiegelnden offiziellen Verlautbarungen nicht mehr trauten. Aufgrund des öffentlichen Drucks wurden schließlich im großen Maßstab Lebensmittel vernichtet.
Eine Anfrage der Bundestagsfraktion Grüne/Bündnis 90 ergab kürzlich, dass bis zum heutigen Tag 231 Millionen Euro an Entschädigung für entsorgte Lebensmittel gezahlt wurde. Weitere umgerechnet 31 Millionen Euro wurden 1986 ausgegeben, um Molkepulver zu dekontaminieren. Das daraus extrahierte Cäsium wurde schließlich ins Endlager Morsleben gebracht.
Feldgemüse und das Gras auf den Weiden, das von den Kühen aufgenommen worden war und zur kontaminierten und daher unverkäuflichen Milch geführt hatte, waren direkt aus der Luft durch den Regen mit den radioaktiven Stoffen in Kontakt gekommen. Laut Bundesamt für Strahlenschutz wird hingegen das in den Ackerböden durchaus auch heute noch vorhandene Cäsium meist von Tonmineralien gebunden und daher von Pflanzen kaum aufgenommen. Es gelangt also nur in unwesentlichen Mengen in die Nahrungskette.
Anders sieht es dagegen in den Waldböden aus. In den Waldökosystemen ist das radioaktive Isotop offensichtlich mobiler und in den dortigen Nährstoffkreisläufen reichlich vorhanden. Daher können Pilze und auch Wild, vor allem Wildschweine, in Süddeutschland noch immer örtlich erheblich radioaktiv kontaminiert sein. Entsprechend bekommen bis zum heutigen Tag Jäger für belastetes Schwarzwild eine Entschädigung. Diese Zahlungen haben in den letzten Jahren sogar erheblich zugelegt. 2015 flossen fast eine Million Euro.
Die Karte der Cäsium-Belastung in Europa zeigt, dass diese in den ukrainischen, russischen und weißrussischen Regionen um den Havaristen besonders hoch ist. Hinzu kommt, dass dort auch anderes nukleares Material niederging, unter anderem auch das besonders langlebige Plutonium (Halbwertzeiten je nach Isotop 14,4, 6.560, 24.000 und 375.000 Jahre).