Ungarn: Fiedesz-Gesetz für eine homophobe Pädagogik

Viktor Orbán. Bild: Elekes Andor/CC BY-SA-4.0

Regierung stellt sich gegen LGBTQI; Oppositionsparteien formieren sich neu und die EU droht mit Kürzungen von Geldern

Die EU-Kommission droht Ungarn erneut mit der Kürzung von EU-Zahlungen. Anlass ist diesmal ein Gesetz, das die "Darstellung von Homosexualität sowie Geschlechtsumwandlungen in Büchern, Filmen oder Anzeigen unter Jugendschutz stellt", wie es der FAZ-Südosteuropa-Korrespondent Michael Martens zurückhaltend formuliert.

Eine "Abweichung von der Identität des Geburtsgeschlechts" sowie Darstellungen von Geschlechtsumwandlungen oder Homosexualität dürfen in Ungarn demnach künftig weder "gefördert" noch gezeigt werden, sofern die entsprechenden Inhalte Minderjährigen zugänglich sein könnten.

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Das Gesetz war am Dienstag mehrheitlich vom Parlament verabschiedet worden. Es entfachte empörte Reaktionen im Land und international. Der Grund dafür tritt in anderen Darstellungen klarer hervor. So nähert sich der Österreich-Korrespondent der taz, Ralf Leonhard, der politischen Brisanz prägnant in einem Satz:

"Im Aufklärungsunterricht in den Schulen darf künftig nicht mehr erwähnt werden, dass es etwas anderes als heterosexuelle Partnerschaften geben kann."

Es geht um Erziehung. Konkret läuft das Gesetz darauf hinaus, dass im Fernsehen vor 22 Uhr keine Filme mehr gesendet werden dürfen, "in denen z. B. Schwulsein positiv thematisiert wird", wie Leonhard präzisiert. Außerdem würden Bücher, Filme und andere Medieninhalte zur Sexualität, die sich an Kinder und Jugendliche wenden, verboten, wenn die dargestellte Sexualität von der heterosexuellen abweiche oder wenn es um Möglichkeit einer Geschlechtsumwandlung geht. Laut Reuters beinhaltet dies auch das Verbot des Zeigens generell pornografischer Inhalte an die Adresse von Unter-18-Jährigen.

Gerade das Letztere klingt wie eine Selbstverständlichkeit, wenn es um Kinderschutz geht. Das Gesetz - das auch Werbung betrifft - ist allerdings um eine Gewichtung zentriert, die eine politische Absicht verfolgt, die zum Gegenteil führt: Eine andere Sexualität als die heterosexuelle soll pädagogisch deutlich als Abweichung behandelt werden - mit Konsequenzen, die man aus einer Vielzahl von Lebensberichten und Erfahrungen kennt: Stigmatisierung, Diffamierung, Hass und Gewalt, aggressives Verhalten, das das schon in der Schule beginnt.

Dass hier politisch beabsichtigt ist, einen ideologischen Kontrast zwischen "normaler, gesunder Sexualität" und einer "abweichenden, kranken" auszubauen, zeigt sich auch am Kontext des Gesetzes: "Die Paragrafen wurden wenige Tage vor der Abstimmung in ein Gesetz gegen Kindesmissbrauch verpackt" (taz). Das Gesetzespaket ziele "eigentlich auf eine stärkere Bestrafung von Pädophilie".

Die zusätzlichen Paragrafen verhindern u.a., dass Homosexuelle im Unterricht sprechen dürfen, so das ZDF: In Ungarn würden Sozialpsychologen den Sexualkunde-Unterricht leiten - "nicht die Biologielehrer. Diese Psychologen kommen von freien Trägern. In diesem Zusammenhang sprechen zuweilen auch Homosexuelle über sich. Diese freien Träger sollen nun aus den Schulen verbannt werden". Laut Reuters gibt es von der Regierung eine Liste, die bestimmt, wer künftig Sexualerziehung an den Schulen erteilen darf.

"Flott vermischt"

Pädophilie, Information und Aufklärung über Homosexualität und Transsexualität sowie die Darstellung von Homosexualität in Kunst und Werbung wurden im Gesetz "mal eben flott vermischt", kommentiert die SZ. Der Regierung Orbán gehe es darum, dass differenzierte Argumente gar nicht erst politisch wirksam werden.

Mit dem Gesetz wolle er "unsere Kinder schützen", sagt Orbán, und natürlich ist es perfide Absicht, dass ein Ja zu verschärften Strafen für Kindesmissbrauch damit auch ein Ja zum Ende der Sexualaufklärung für Jugendliche einschließt.

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Für zivilgesellschaftliche Gruppen, die zum Protest gegen das Gesetz aufriefen, geht es auch um Meinungsfreiheit. Das ungarische Gesetz wird von ihnen mit der russischen Gesetzgebung verglichen. Man warnt davor, dass dieser Schritt die psychische Gesundheit von LGBTQI-Jugendlichen gefährde und verhindere, dass sie Zugang zu Informationen und affirmativer Unterstützung bekommen.

Die Opposition

Mit Ausnahme der rechten Jobbik-Partei, die für das Gesetz stimmte, und einem fraktionslosen Linken, der dagegen stimmte, boykottierten Oppositionsparteien die Abstimmung des Gesetzes der Fidesz-Partei. Die Abgeordneten der linken und liberalen Parteien verließen vor der Abstimmung den Sitzungssaal.

Nach jüngsten Informationen der SZ sollen sich die Opposition-Parteien - einschließlich der Jobbik-Partei, die angeblich auf einen moderateren Kurs eingeschwenkt sein soll - zu einem Bündnis zusammengetan haben, um bei der Wahl im nächsten Jahr zusammen gegen Orbán anzutreten.

Die Umfragen zeigen, dass es gelingen kann: Die vereinte Opposition und Fidesz liegen Kopf an Kopf. Sechs Oppositionsparteien treten 2022 als Team an - mit einer gemeinsamen Liste, gemeinsamen Direktkandidaten und einem gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. Das Spektrum reicht von links-progressiv über grün-liberal bis rechtsnational. Im Sommer sollen in allen 106 Wahlkreisen in Urwahlen die Direktkandidaten gekürt werden, im Herbst stellen sich auch die Spitzenkandidaten der einzelnen Gruppierungen einer Urwahl.

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Gewählt wird aber erst im Frühjahr 2022, in der Vergangenheit haben sich solche Bündnisse als nicht besonders stabil herausgestellt.