Ungarn bereitet sich auf den Krieg vor
Irakische Oppositionelle werden vom Pentagon unter hohen Sicherheitsmaßnahmen Ungarns auf dem Stützpunkt Taszar trainiert
Es ist eigenartig, wenn ein Land, das Tausende von Kilometern von einer Konfliktzone entfernt ist und keinen direkten Kontakt zu einer möglichen feindlichen Streitkraft oder irgendwelche Verbindungen mit dieser besitzt, sich zum Krieg rüstet. Aber in Ungarn ist auch hier wieder einmal die Wahrheit stärker als die Fiktion.
In vielen Aspekten ist Ungarn ein Barometer für den Krieg gegen den Irak von Bush. Das lässt sich deutlich an der zunehmenden Polizeipräsenz wegen befürchteter Terroranschläge sehen. Die ganze Angst kreist um einen von den USA benutzten Militärstützpunkt im Süden Ungarns: Taszar (In the Line of Fire). Er wurde den US-amerikanischen Streitkräften ursprünglich für den Krieg im Kosovo überlassen, die Amerikaner aber blieben auch weiterhin da (ähnlich wie die Sowjets am Ende des Zweiten Weltkriegs) und verwenden den Stützpunkt nun als Übungsplatz und für die Logistik des kommenden Kriegs im Irak.
Die Menschen, die in dieser Gegend leben, haben jedoch den Eindruck, als wäre der Krieg bereits da. Hubschrauber fliegen über ihren Köpfen hinweg, um nach möglichen Gefahren Ausschau zu halten. Überall gibt es Geheimdienstmitarbeiter, um die Straßen, Schulen,, Kneipen etc. nach irgend etwas Verdächtigem oder Bedrohlichem zu überwachen. Bewaffnete Patrouillengänge werden auch um das Gelände herum durchgeführt. Gleichzeitig wurden Einheiten des Katastrophenschutzes in Alarmbereitschaft wegen möglicher Terrorangriffe versetzt. Sie haben bereits Kontakt mit den Gas-, Wasser- und Stromversorgern aufgenommen und einen Notfallplan ausgearbeitet.
Dolmetscher- oder Militärausbildung für irakische Oppositionelle?
Der Grund für diese hohe Alarmbereitschaft ist das amerikanische Trainingsprogramm in Taszar. Man geht davon aus, dass das angebliche Trainingszentrum für "Dolmetscher" Ende Januar fertig sein wird. Zu dieser Zeit soll auch die erste Gruppe von Irakern eintreffen.
Das Training von irakischen Oppositionskräften in Ungarn bedeutet mehr Arbeit für den ungarischen Geheimdienst. Nach dem Staatssekretär Andras Toth wird das gesamte Personal und die ganze technische Kapazität des Geheimdienstes landesweit eingesetzt, um die "Verpflichtungen" der ungarischen Regierung zu erfüllen. Wegen der zusätzlichen Aufgaben musste die Geheimpolizei Ressourcen von anderen Aufgaben abziehen.
Alle fünf Abteilungen des Geheimdienstes mussten neue Aufgaben wegen des amerikanischen Trainingsprogramms in Taszar übernehmen. Die Abteilung für Gegenaufklärung hat beispielsweise dafür zu sorgen, dass jeder überprüft wird, der dem Stützpunkt nahe kommt und eine Sicherheitsbedrohung darstellen könnte. Auch Antiterror-Einheiten, Spezialtruppen und Bombenentschärfungsspezialisten wurden in das Gebiet versetzt.
Der Nationale Sicherheitsdienst (NSS) steht in kontinuierlicher Verbindung mit der CIA. Es wurde auch bereits eine Koordinierungsstelle, die mit dem NSS in Taszar zusammen arbeitet, in der benachbarten Stadt Kaposvar eröffnet. Überdies hat ein Technikerteam irgendwo im Westen Ungarns ein Zentrum eingerichtet, in dem sich angeblich spezielle Überwachungsgeräte befinden.
Zur Zeit sind nur etwa 50 Amerikaner auf dem Stützpunkt, die alles herrichten. Noch aber herrscht Verwirrung darüber, wer genau kommen und was hier gemacht wird. Ursprünglich war das amerikanische Trainingsprogramm für bis zu 5000 "Dolmetscher" gedacht, die man nach der Eroberung des Irak benötigen würde. Jetzt behaupten die ungarischen Behörden, dass es sich nicht um Dolmetscher, sondern um "Verbindungsoffiziere" handeln würde. Erwartet würden nur 3000 Auszubildende. Zudem würden sie in Gruppen von jeweils 1000 trainiert. Die erste Gruppe käme Anfang Februar.
In einem Fernsehinterview behauptete kürzlich Toth, dass er nicht wüsste, woher die Idee gekommen sei, dass Dolmetscher in Taszar ausgebildet würden. Leider hat offenbar der auf ihn ausgeübte Druck sein Gedächtnis in Mitleidenschaft gezogen. Ferenc Juhasz, der Verteidigungsminister, hatte selbst Anfang Dezember öffentlich angekündigt, dass die Amerikaner 5000 Dolmetscher in Taszar ausbilden wollen.
Die starken Sicherheitsvorkehrungen sind für die Regierung nur Routinemaßnahmen
Wer auch immer bei wem und zu welchem Zweck in Taszar ausgebildet werden soll, so ist das Ergebnis doch dasselbe: Die Menschen in der Umgebung leben nun wie in einer militärischen Besatzungszone, auch wenn Toth nicht glaubt, dass es für Taszar bei einem Krieg mit dem Irak eine Gefahr geben könnte. Der hohe Alarmzustand ist für ihn einfach eine "präventive" Maßnahme. Das würde allerdings auch zur Frage führen, warum ausgerechnet in einem Gebiet derart große Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, das angeblich nicht von Terroranschlägen bedroht wird. Es ist schließlich ein Unterschied, ob man präventive Maßnahmen ergreift oder ein ganzes Gebiet zur Sicherheitszone macht.
Wenn die ungarischen Behörden behaupten, dass sie keine Bedenken wegen Taszar hätten und dass die Sicherheitsmaßnahmen nur Routinevorkehrungen seien, so scheint die Mehrheit der Ungarn hier anderer Meinung zu sein. Eine SMS-Umfrage, die von einem staatlichen Fernsehsender durchgeführt wurde, zeigte, dass 90 Prozent derjenigen, die darauf geantwortet haben, in Taszar eine Gefahr sehen, falls es einen Krieg mit dem Irak gibt.
Auch wenn ein solches statistisches Ergebnis in keiner Weise offiziell oder wissenschaftlich ist, so spiegelt es doch den Medienrummel um das Thema des Kriegs mit dem Irak wider. Nach einigen Berichten sind in den letzten Wochen fünf Mal so viele Iraker als sonst nach Ungarn gekommen. Diese Migrantenwelle wird teilweise als Reaktion auf den drohenden Krieg erklärt, da die wehrfähigen Männer versuchen, nicht vom Militär eingezogen zu werden. Bedrohlicherweise wurde hinzugefügt, dass sich unter diesen Migranten auch Agenten von Saddam befinden, die losschlagen würden, sobald sie den Befehl dazu erhalten.
Von der Regierung wird nicht geleugnet, dass die Zahl der Migranten in der letzten Zeit erheblich zugenommen hat. Sie erklären dies damit, dass es bei allen Konflikten mehr Flüchtlinge gibt, wie man dies auch bei den Kriegen im Kosovo und in Afghanistan gesehen habe. Man habe aber keine Hinweise darauf, dass sich unter den Flüchtlingen auch Agenten von Saddam befinden. Ungarn kann allerdings kein Ruhmesblatt im Hinblick auf "Flüchtlingshilfe" vorweisen: Während der Eroberung Afghanistans durch die Amerikaner wurden alle afghanischen Flüchtlinge unter hohen Sicherheitsvorkehrungen in ein Lager gesteckt. Die Regierung hat bereits angekündigt, dass sie im Umgang mit Flüchtlingen "strengere Maßnahmen" ergreifen wird.
Ungarns Medien unter strategischer Beeinflussung?
Die Medien haben zweifellos gute Arbeit beim Schüren der Kriegsflammen geleitet. Es wäre daher keine große Überraschung, wenn die zuvor erwähnte SMS-Umfrage selbst eine Erfindung, Teil einer US-Propaganda-Offensive wäre. Seit kurzem erwecken die ungarischen Mainstream-Medien den Eindruck, dass der Irak den Krieg als unvermeidlich erscheinen lasse und bereits alle Vorbereitungen dafür getroffen habe. So wird Saddam Hussein und nicht George W. Bush die Verantwortung zugeschoben, den Konflikt zu schüren.
Man sollte nicht unterschätzen, wie stark die amerikanischen "PsyOps" (psychological operatives) bereits die ungarischen Medien infiltriert haben. Auch wenn das berüchtigte "Office of Strategic Influence" (OSI) nicht mehr auf der Tagesordnung steht (Aus für die Propaganda-Abteilung des Pentagon), so gibt es die Programme dennoch. Ein Berater von FAIR hat Ende November des letzten Jahrs darauf hingewiesen, dass Donald Rumsfeld während einer Pressekonferenz angedeutet habe, dass zwar die umstrittene Abteilung nicht mehr dem Namen nach existiere, aber dass die Aufgaben dennoch ausgeführt würden. Dieses Schatten-OSI macht grundsätzlich, was das Original auch betreiben sollte: die Grenzen zwischen Tatsacheninformationen und Nachrichten auf der einen Seite mit Werbung, Propaganda und psychologischer Kriegsführung auf der anderen Seite zu verschmelzen.
Allerdings hat der Kriegsrummel, den Medien und die Regierung veranstalten, schon vor dem Bekanntwerden von OSI begonnen. Das erweckt den Eindruck, dass das US-Militär schon vor der Zeit von Bush den "Infowar" zu einem zentralen Gebiet seiner Aktivitäten zu machen. Beispielsweise wurden während der Diskussion um abgereichertes Uran (depleted uranium = DU) im Jahr 2001 von den ungarischen Medien und der Regierung falsche Informationen verbreitet, um die NATO zu verteidigen. So traten "Experten" Kritikern entgegen, indem sie darauf hinweisen, wie schwierig es sei, DU-Teile zu "schlucken", obgleich es natürlich darum ging, dass DU als feines Aerosol eingeatmet wird. Oder es gab die infame Behauptung des ungarischen Fernsehsenders, dass sie Serben selbst für die hohe DU-Kontamination verantwortlich seien, da sie radioaktives Material im Land herumfahren, um die NATO in Misskredit zu bringen.
Es gibt zahlreiche solcher lächerlichen und unbegründeten Behauptungen, seit der Countdown für den Krieg im Irak begonnen hat. Kurz nach der Verhaftung einiger Verdächtiger in London, in deren Wohnung Spuren des Gifts Rizin gefunden worden waren, behauptete etwa der ungarische Radiosender Kossuth Radio am 9.1.2003, dass das Gift wahrscheinlich aus Algerien oder dem Irak stamme. Auch wenn die Medien auf der ganzen Welt die Botschaft verkünden, dass "der Krieg nicht unvermeidlich, aber wahrscheinlich" sei, scheint es klar zu sein, dass er im Februar beginnen dürfte. Experten sprachen bereits im Oktober des letzten Jahrs über das "Fenster für einen Krieg" von Bush.
Aus dieser Perspektive zeigt das amerikansische Trainingsprogramm in Taszar, das erstmals Anfang Dezember bekannt gegeben wurde, wie die ungarische Regierung eng an den Plänen der USA beteiligt war, einen Staat zu stürzen. Die Menschen in Ungarn, die dachten, dass das Ende des Kalten Kriegs zu einer Zeit des Friedens und des Wohlstands führen wird, ist das ein raues Erwachen, besonders natürlich für diejenigen, die in und um Taszar leben.