Ungeimpft in Quarantäne – Lohnraub durch die Hintertür
Die Abschaffung der Lohnfortzahlung für Ungeimpfte in Quarantäne ist ein massiver Angriff auf erkämpfte Rechte Lohnabhängiger und müsste mit breitem Protest beantwortet werden
Wer wegen einer Corona-Quarantäne nicht zur Arbeit kommen konnte, hatte bisher ein Recht auf Lohnfortzahlung. Doch das ändert sich jetzt. Das "grün-schwarz" regierte Baden-Württemberg spielt dabei den Vorreiter und schafft die Lohnfortzahlung für Ungeimpfte ab. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, also des Bundeslandes, das der aktuelle CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet regiert, will nachziehen. "Wer sich also die Freiheit herausnimmt, sich nicht impfen zu lassen, obwohl medizinisch nichts dagegen spricht, steht für die Folgen seiner Entscheidung selbst ein - nicht der Arbeitgeber, nicht die Solidargemeinschaft", sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU).
Eine Gegenstimme kommt vom Deutschen Gewerkschaftsbund in Baden-Württemberg. "Der Entzug des Einkommens ist eine unverhältnismäßig harte Maßnahme. Anstatt die Daumenschrauben immer weiter anzuziehen, sollten alle Verantwortlichen intensiv Überzeugungsarbeit leisten: Impfen ist das Gebot der Stunde, um sich vor einer möglicherweise tödlichen Covid-19-Infektion zu schützen", monierte der DGB-Vorsitzende von Baden-Württemberg, Martin Kunzmann. Auch der DGB-Bundesvorstand kritisierte den geplanten Wegfall der Lohnfortzahlung als "Impfpflicht durch die Hintertür". Doch tatsächlich handelt es sich einen Lohnraub durch Hintertür und einen massiven Angriff auf erkämpfte Rechte von Lohnabhängigen in der Bundesrepublik Deutschland.
Langer Kampf um Lohnfortzahlung
Als Unverschämtheit bezeichnet der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, Wolfgang Albers diesen Vorstoß. Er erinnerte daran, dass die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch einen langen, erbittert geführten Streik 1956/1957 in der BRD erkämpft worden ist. Im Zuge der sozialdemokratischen Reformpolitik wurde die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 1970 zum Gesetz, woran noch im letzten Jahr in einem Beitrag im Deutschlandfunk erinnert wurde.
Doch die Kapitalseite hat schon immer versucht, das erkämpfte Recht zurückzudrehen und zu verwässern. Damit fand sie bei der Politik auch Gehör, vor allem in den 1990er-Jahren. So plädierten Verbandspräsidenten des Unternehmerlagers dafür, Karenztage einzuführen: In den ersten drei Tagen der Arbeitsunfähigkeit sollten die Beschäftigten kein Entgelt erhalten. Bei den Gewerkschaften stießen sie damit auf heftigen Widerstand. Aber in der letzten Phase der "schwarz-gelben" Koalitionsregierung unter dem CDU-Kanzler Helmut Kohl errangen sie einen Erfolg. 1996 wurde das Gesetz geändert: Kranke bekamen nicht mehr 100 Prozent ihres Nettolohns weiter, sondern nur noch 80 Prozent.
1998, in dem Jahr, als die rotgrüne Regierung das Kabinett aus Union und FDP ablöste, wurde die Gesetzesänderung wieder gekippt. Seitdem gilt: voller Lohn bei Krankheit. Nun kommt der nächste Angriff auf das erkämpfte Recht über den Hygiene- und Gesundheitsdiskurs. Darauf hat Wolfgang Albers einem Radiointerview noch einmal daran erinnert. Der Mediziner sagte auch, dass der beste Schutz darin besteht, sich selbst impfen zu lassen. Dann ist auch der ungeimpfte Kollege am Arbeitsplatz kein Gesundheitsrisiko.
Türöffner für Angriff auf Arbeiterrechte
Albers sieht in dem Vorstoß auch eine Türöffnerfunktion: Bald könnte diskutiert werden, ob Raucher, Übergewichtige und so weiter nicht auch eine Mitverantwortung für mögliche Krankheiten haben und deshalb sanktioniert werden sollen. So gesehen müsste der Angriff auf die Lohnfortzahlung mit einer bundesweiten gewerkschaftlichen Mobilisierung beantwortet werden. In Baden-Württemberg müsste notfalls mit Arbeitsniederlegungen für eine sofortige Aufhebung dieser Entrechtung gekämpft werden.
Dass der DGB sich auf kritische Presseerklärungen beschränkt ist nicht überraschend. Es zeigt auch den Zustand der Gewerkschaftsbewegung. Der Angriff auf die Lohnfortzahlung ist Klassenkampf von oben in Zeiten von Corona. In den letzten Monaten haben sozialpolitische Initiativen wie "Wer hat, der gibt" genau vor solchen Angriffen gewarnt. Die teilweise irrationale Bewegung der Corona-Maßnahmenkritiker hat sich nie besonders für soziale Belange interessiert. Daher wäre es die Aufgabe einer unabhängigen linken Bewegung gemeinsam mit Gewerkschaften wahrnehmbaren Protest gegen den Lohnraub durch die Hintertür zu organisieren.
Dabei könnte man sich mal wieder ein Beispiel an Frankreich nehmen. Dort protestierten im Sommer nicht nur irrationale und rechtsoffene Gruppen, sondern auch verschiedene Gewerkschaften und linke Gruppen, als die Regierung dort den Impfpass zur Pflicht machte. Dabei ging es nicht um die Ablehnung von Impfungen insgesamt, sondern um die Zurückweisung eines Klassenkampfs von oben. Das müsste auch in Deutschland die Grundlage einer bedingungslosen Verteidigung der Lohnfortzahlung sein.
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