Ungleichheiten auf der Welt sind grotesk
UN-Bericht kritisiert wachsende Kluft; Kanada bietet die höchste Lebensqualität
Markante Vergleiche zieht der Human Development Report 1999 der UN heran, um die Aufmerksamkeit der Menschen auf die wachsende Kluft zwischen den reichen und armen Ländern und Menschen zu lenken. Allein die drei reichsten Familien der Erde, Bill Gates (Microsoft), die Familie Walton (Wal-Mart) und der Sultan von Brunei, besitzen mit 135 Milliarden Dollar ein Vermögen, das größer sei als das jährliche Einkommen von 600 Millionen Menschen in den ärmsten Entwicklungsländern: "Die globalen Ungleichheiten im Einkommen und im Lebensstandard haben", so der Bericht, der eine veränderte "Globalisierung mit einem menschlichen Gesicht" fordert, "groteske Ausmaße angenommen."
Während der letzten vier Jahre haben die 200 reichsten Menschen ihr Vermögen auf mehr als die unglaubliche Summe von 1000 Milliarden Dollar verdoppeln können, während die Zahl der Menschen, die täglich weniger als einen Dollar zum Leben haben, mit 1,3 Milliarden gleich geblieben sei.
Die Globalisierung, laut Bericht gekennzeichnet durch "schrumpfenden Raum, schrumpfende Zeit und sich auflösenden Grenzen", ist, entgegen der Versprechungen und der in ihr liegenden Möglichkeiten, bislang zumindest keine Maschine zur Schaffung einer gerechteren Welt geworden, sondern sie hat die Ungleichheit weiter verstärkt. Vor 30 Jahren noch lag die Wohlstandsverteilung des reichsten Fünftels der Menschen gegenüber dem ärmsten Fünftel bei 30 zu 1, im Jahr 1990 ist sie bereits auf 60 zu 1 angewachsen und steht heute bei 74 zu 1. Noch deutlicher wird die Kluft, wenn man den Verbrauch ansieht. Während das reichste Fünftel der Menschheit für 86 Prozent des Verbrauchs verantwortlich ist, bringt es das ärmste Fünftel gerade einmal auf ein Prozent. Und wer glaubt, daß das Internet im Zuge der Globalisierung die Chancen der armen Menschen und Länder verbessern wird, der sieht sich zumindest damit konfrontiert, daß der weitaus größte Teil der Menschheit noch nicht einmal einen Zugang zum Telefon hat. 75 Prozent der Telefonanschlüsse befinden sich in den westlichen Ländern, die lediglich 17 Prozent der Weltbevölkerung darstellen.
Globalisation is in fast forward, and the world's ability to understand and react to it is in slow motion
Ted Turner
Theoretisch könnten technischen Innovationen wie das Internet neue Möglichkeiten für wirtschaftliches Wachstum eröffnen, aber noch ist die Ungleichheit hier natürlich größer als irgendwo sonst. 88 Prozent der Internetnutzer leben in den westlichen Ländern: "Die buchstäblich gut Vernetzten haben einen überwältigenden Vorteil gegenüber den unvernetzten Armen, der Stimmen und Probleme aus der globalen Diskussion ausgeschlossen sind."
Von der ökonomischen Globalisierung und der Vernetzung profitieren nicht nur die reichen Länder und die transnationalen Unternehmen, sondern, wie der Bericht anmerkt, auch das global agierende organisierte Verbrechen, das nun ebenfalls weltweite Märkte für Drogen, Waffen und Prostitution bedienen kann. Angeblich sollen die sechs größten transnationalen Verbrechensorganisationen jährlich 1500 Milliarden Dollar umsetzen: "Sie richten jetzt strategische Allianzen ein, die über ein globales Netzwerk verbunden sind, und ziehen ihren Nutzen aus den Möglichkeiten der Globalisierung."
Der Hauptautor des UN-Berichts, Richard Jolly, kritisiert, daß die Welt sich kopfüber in eine größere Integration stürze, diese aber vornehmlich von marktwirtschaftlicher Profitabilität und ökonomischer Effizienz vorangetrieben werde. Um die negativen Auswirkungen der Globalisierung zu bekämpfen, wird unter anderem vorgeschlagen, ein internationales Forum aus Vertretern von Unternehmen, Gewerkschaften, Umwelt- und Hilfsorganisationen einzurichten, um ein Gegengewicht zur G7 zu bilden, einen Verhaltenskodex für Multis zu formulieren und ein internationales Rechtszentrum aufzubauen, das die armen Länder beim Abschließen von internationalen Handelsabkommen unterstützt. "Globale Märkte, globale Techniken, globale Ideen und globale Solidarität können das Leben der Menschen überall bereichern. Die Herausforderung besteht darin sicherzustellen, daß die Vorteile gerecht verteilt werden und daß die zunehmende wechselseitige Abhängigkeit den Menschen, nicht nur dem Profit, zugute kommt."
Seit sechs Jahren veröffentlicht die UN mit dem Human Development Report auch eine Rangliste der Staaten, die aufgrund von Daten über das Einkommen, die Ausbildungssituation, die Alphabetisierung, die medizinische Versorgung oder die Lebenserwartung gebildet wird. An der Spitze steht dabei Kanada, gefolgt von Norwegen und den USA. Deutschland rangiert an vierzehnter Stelle hinter den anderen Topländern Japan, Belgien, Schweden, Australien, Holland, Island, Großbritannien, Frankreich, Schweiz und Finnland. Frankreich ist vom zweiten Platz im Jahr 1998 auf den 11. Platz zurückgefallen, Deutschland hat sich vom 19 Platz ein wenig nach oben vorgearbeitet. Die Länder, in denen das Leben am schlechtesten ist, befinden sich, wie bereits im Vorjahr, alle in Afrika.
Je nach Kriterien verändert sich die Rangliste jedoch. So gibt es in den USA, in denen 20 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze leben, in Großbritannien und Irland mehr Armut als in den anderen Industrieländern. Im Index für "gender empowerment", bei dem festgestellt wird, wieviel Frauen verdienen, wie ihre berufliche Stellung ist und wieviele in der Politik vertreten sind, steht Norwegen an erster Stelle, gefolgt von Schweden, Dänemark, Kanada und Deutschland.