Unionsfraktion widersetzt sich Merkel
Die Kanzlerin sprach sich gegen Erneuerung aus; die Fraktion entschied anders. Medien attestieren Autoritätsverlust
Die Wahl eines Fraktionschefs ist normalerweise eine Randnotiz; ein ergiebiges Thema üblicherweise den Insidern vorbehalten, deren Blick weiter in die Tiefe geht, z.B. zur Machtprobe in der nächsten hierarchischen Reihe, etwa bei den Parlamentarischen Geschäftsführern der Fraktion. In den vergangenen 13 Jahren war die Wahl des Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion hauptsächlich "eine Formsache", wie die SZ schreibt.
Gestern änderte sich das. Als ob man darauf gewartet hätte, wurde die Wahl von Ralph Brinkhaus zum neuen CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden als ganz großes Ereignis behandelt. Der bisher in der Öffentlichkeit Unbekannte gewann mit 125 Stimmen gegen 112 Stimmen gegen Volker Kauder, der in der Öffentlichkeit schon wesentlich bekannter ist.
Kauder steht für eine CDU, die unter Merkel so erfolgreich ist wie früher unter Kohl. Kohl steht wiederum wie zuvor der Name Adenauer synonym für eine "Ära", die ein CDU-Kanzler prägt, die im Fall von Kohl und Merkel eine ganze Kindheit oder einen ganzen Lebensabschnitt lang dauert, wie immer wieder geschrieben wird.
Diese Ära dauert der Stimmung nach nicht mehr lang. "Merkel" steht im Augenblick für eine Macht oder eine Regierungsform, mit der viele nicht mehr einverstanden sind, an der sich Unzufriedenheit in immer neuen Wellen mit Ingrimm aufbäumt. Möglicherweise ist der bislang feste Fels schon unterspült, um im Bild zu bleiben.
Bei der Wahl vor einem Jahr hielt sich der Wunsch nach Veränderung und die Angst davor bei den Wählern so sehr die Waage, dass es sehr lange dauerte, bis eine Regierung zusammengebastelt werden konnte; zwei Krisen in den letzten Wochen, einmal über die Zurückweisung von Flüchtlingen an deutschen Grenzen und die damit verbundene Machtprobe der Kanzerin mit Seehofer, dann zuletzt die Causa Maaßen, brachten dann etwas richtig ins Kippen.
Nach der Niederlage des Merkel-Kandidaten Kauder bei der Stimmabgabe in der CDU/CSU-Fraktion war gestern Abend in vielen Berichten von einem Autoritätsverlust der Kanzlerin die Rede. "Merkel kann nicht weiterregieren, als sei nichts geschehen", kommentiert die SZ; bei Spiegelonline prangte oben eine Großaufnahme der Kanzlerin, deren Blick nach innen geht, mit der Überschrift: "Abschied von der Macht".
Der Kommentar beginnt mit dem Ausruf "Was für ein Autoritätsverfall". Das sehen auch andere Beobachter so. "Die Macht der Kanzlerin beruhte allein auf ihrer Fähigkeit, Wahlen zu gewinnen. Dafür nahm man in der Union viel in Kauf", kommentiert Frank Lübberding von der Faz, wo Altenbockum Merkel als lahme Ente schildert, deren Amtszeit zu Ende geht.
Der frühere Vizekanzler und von der SPD zur Seite gedrückte Sigmar Gabriel hält dem Konzert, in das sich auch Oppositionspolitiker der FDP, der AfD , der Grünen und der Linken mischen, dagegen, dass man bitte nicht aufschaukeln sollte: "Bitte keine Regierungskrise heraufbeschwören. Die heutige Entscheidung war eine demokratische Entscheidung der CDU/CSU Bundestagsfraktion. Nicht mehr und nicht weniger. So etwas gibt es in demokratischen Parteien. Ich halte nichts davon, das jetzt auch noch zur Regierungskrise hochzustilisieren."
Aber selbst wenn man auf dem Boden bleibt, sich von Spekulationen fernhält und keine weittragenden Schlüsse zieht, gibt es Bemerkenswertes bei der Fraktionswahl. Einmal die Beobachtung, dass sich Merkel vor der Wahl gegen Erneuerung ausgesprochen hat, weil es der "falsche Zeitpunkt" dafür sei, was ein idealtypisches Merkel-Statement ist - es hat nicht mehr gezogen.
Zudem hat es auch keine ausreichende Gefolgschaft für Merkels eindringlichen Appell gegeben, Kauder wiederzuwählen. Das könnte ein Aufbruch sein.