Unnötiger Welthunger
Weltweit hungern rund eine Milliarde Menschen. Dabei ließe sich die Versorgung mit Lebensmitteln für die ganze Menschheit nachhaltig sichern
Effiziente Bewässerung, sparsame Düngung und Müllvermeidung sind nur einige Stellschrauben, an denen gedreht werden muss. Eine Studie der Universitäten Bonn und Minnesota präsentiert verschiedene Lösungsansätze.
In der in Science veröffentlichten Studie erläutern Wissenschaftler, wie zusätzlich 850 Millionen Menschen ernährt werden könnten, insbesondere in Afrika, Asien und Osteuropa. So ließe sich mit effizienteren Bewässerungstechnik in vielen Ländern bei höheren Erträgen Wasser einsparen. Anhand einer Weltkarte zeigen sie Wege zur Steigerung der Ernteerträge auf, die auf die klimatischen Besonderheiten und die regional kultivierten Feldfrüchte Bezug nehmen.
Fast überall ließen sich die Ernteerträge durch verbesserte Anbaumethoden steigern. Auch in Deutschland gibt es ungenutzte Potenziale. Hier kommen nur 40 Prozent der erzeugten Kalorien direkt vom Acker. Auf mehr als der Hälfte der verfügbaren Flächen werden Energie- und Futterpflanzen angebaut. Zum Vergleich: In Ostafrika dienen Ackerpflanzen zu 100 Prozent der menschlichen Ernährung.
Auch in den USA, China, Westeuropa und Brasilien wird zu viel Ackerland für die Produktion von Tierfutter und Bioenergie verwendet. Dabei könne man diese aus Wäldern oder Abfallprodukten gewinnen, so Stefan Siebert, Agrarwissenschaftler an der Universität Bonn in einem Interview mit der FAZ.
Auch bei der Stickstoffdüngung zeigt die Studie Einsparmöglichkeiten auf. Der Einsatz von Stickstoff in der industriellen Landwirtschaft belastet die Umwelt schwer, Mehr als die Hälfte davon gelangen ungenutzt in die Umwelt, in die Luft und ins Grundwasser. Weizen, Reis und Mais kämen auch mit 14 bis 29 Prozent weniger Stickstoff aus, ohne die Ernteerträge zu reduzieren.
Zuviel Regenwald wird dem Soja geopfert
Vor allem das Abholzen der Regenwälder trägt zur Verknappung der Nahrungsmittel bei. Die 34 Millionen Tonnen Soja, die allein die EU jährlich als Tierfutter größtenteils aus Südamerika importiert, benötigen eine Anbaufläche von 15 Millionen Hektar. Deutschland führt jährlich etwa fünf Millionen Tonnen Soja ein, für deren Anbau 2,8 Millionen Hektar Land benötigt werden. Ein Drittel der Regenwälder werden in Brasilien abgeholzt, gefolgt von Indonesien.
Die Folge ist ein Verlust der Artenvielfalt. Der Klimawandel beschleunigt sich, Wüsten breiten sich weiter aus. Fruchtbarer Ackerboden für den Anbau von Nahrungspflanzen geht verloren. Um neue Anbauflächen zu gewinnen, werden indigene Völker gewalttätig aus ihrer Heimat vertrieben und ihrer Nahrungsgrundlagen beraubt. Zum Beispiel in Paraguay: Hier wird auf dem Land der Ava Guarani Regenwald für Rinderweiden und Soja abgeholzt.
Nahrungskonkurrenz durch Energiepflanzen
Um Konsumbedürfnisse in den Industrieländern zu befriedigen, muss der ärmere Teil der Welt hungern. Immer weniger Nutzpflanzen wachsen direkt für den menschlichen Verzehr. Die Flächen für Nahrungspflanzen konkurrieren mit den Flächen für Energiepflanzen wie Mais und Raps, oft mit Hilfe staatlicher Subventionen. So werden in Brasilien und Südostasien Zuckerrohr und Palmöl zu Biosprit verarbeitet.
Ackerland für Getreide oder andere Nahrungspflanzen wird immer knapper. Das treibt die Preise für Lebensmittel in die Höhe.
Glaubt man der Bonner Studie, könnten sogar vier Milliarden Menschen zusätzlich ernährt werden, würde das Ackerland direkt für die Ernährung der Menschen genutzt, anstatt für den Anbau von Viehfutter oder Energiepflanzen.
Zu hoher Wasserverbrauch für Fleischproduktion
70 Prozent des verfügbaren Wassers verbraucht die Landwirtschaft weltweit, Tendenz steigend. Immer mehr Wasser wird der Natur entnommen, was häufig dazu führt, dass ganze Ökosysteme austrocknen. In vielen trockenen Weltregionen lohnt sich daher der Einsatz von effizienteren Bewässerungssystemen.
Vor allem für die Produktion von Fleisch wird zu viel Wasser verbraucht: Um eine Kalorie aus Rindfleisch zu erhalten, werden zehn Getreide-Kalorien benötigt. Zum Vergleich: Im Brot werden die Getreidekalorien 1 : 1 umgesetzt. Somit stecken in jedem Kilo Rindfleisch 6,5 kg Getreide, 36 kg Raufutter und 155 Liter Wasser. 15.300 Liter Wasser werden für ein einziges Kilo Fleisch bereits beim Anbau der Futtermittel verbraucht.
In einer Veröffentlichung der Rentenbank von 2013 wurden intensive und extensive Rinderzuchtsysteme in Deutschland, Argentinien und Brasilien auf die Emissionen von Treibhausgasen, Flächenverbrauch, Futterbedarf und -effizienz sowie Gewinn je Fläche untersucht. Einen bedeutenden Anteil an der Effizienz von Flächen- oder Futterverbrauch hat der Grasanteil in extensiven Weidesystemen.
Weil Weidetiere Gras fressen, sind sie keine Nahrungskonkurrenten für den Menschen. Außerdem düngen sie mit ihrem Kot die Böden. Gerade in den ärmeren Ländern erhöhen Weidetiere die Ernährungssicherheit ihrer Besitzer. Doch sie nützen auch dem Klima, denn durch flächendeckende Beweidung bleiben Graslandschaften erhalten, deren weit verzweigte Wurzelsysteme große Mengen an Kohlenstoff speichern.
Weniger Fleisch essen ist auch insgesamt für die Ernährung gesünder. Glaubt man einer Modellanalyse der Universitäten Hohenheim und Göttingen (s. Publikation der Rentenbank), würde mit verringertem Fleischkonsum weniger andere kalorienreiche Lebensmittel verzehrt werden, was insgesamt eine kalorienärmere Ernährung zur Folge hätte. Das steht auch im Einklang mit der Bonner Studie, die eine geringere Tierdichte fordert. Denn so könnte mehr Getreide für die menschliche Ernährung angebaut werden, anstatt für Nutztiere.
Lebensmittel landen auf dem Müll
Ein besserer Umgang mit Lebensmitteln und ihre gerechtere Verteilung ist ein wichtiger Hebel im Kampf gegen den Hunger. So landen in den wohlhabenden Ländern fünfzig Prozent aller Feldfrüchte im Müll, bevor sie überhaupt in die Hände des Verbrauchers gelangen. Was nicht bedeutet, dass Privatpersonen ihre gekauften Lebensmittel immer optimal verwerten.
Wissenschaftler der Universität Stuttgart berechneten, dass allein in Deutschland jährlich elf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden - mehr als die Hälfte davon stammen aus privaten Haushalten.
Doch auch in ärmeren Ländern verderben Lebensmittel während der Transportwege oder auf Grund mangelhafter Lagerung. Oft werden die Produkte auch einfach von Schädlingen aufgefressen oder schlecht verarbeitet.
Ökolandbau macht satt
Eine Studie an der Universität Göttingen (s. o. Publikation der Rentenbank) kommt zu dem Schluss, dass der Ökolandbau in einigen Regionen der Welt als nachhaltige Form der Landbewirtschaftung die Ernährungssituation vor Ort durch stabilere Erträge verbessern kann. Derzeit sind die meisten der in Schwellen- und Entwicklungsländern produzierten Ökoprodukte für den Export nach Europa und in die USA bestimmt.
Besonders in Afrika und Asien nehmen die Ökoflächen stetig zu - wenn auch innerhalb der Regionen unterschiedlich stark - jedoch insbesondere dort, wo der Staat regulierend eingreift. Die Experten wiesen nach, dass dieser sich keineswegs nachteilig auf die Menge der erzeugten Nahrungsmittel auswirkt. Betrachte man die Flächenentwicklung des Ökolandbaus weltweit, so lägen hier noch ungenutzte Potenziale. Von Nachteil sei allerdings die kostenintensive Zertifizierung, um die Produkte auch als Öko-Ware vermarkten zu können. Außerdem setzt praktizierter Ökolandbau Einiges an Fachwissen voraus.
Glaubt man dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) nimmt der Ökolandbau weltweit zu. So wurden 2012 insgesamt rund 37,5 Mio. Hektar ökologisch bewirtschaftet. Die größten Flächen liegen mit 12 Mio. Hektar in Australien, Argentinien (3,6 Mio. Hektar) und in den USA ( 2,2 Mio. Hektar).
Auch in Afrika wachsen die Flächen für Ökolandbau. So beschäftigt die seit 35 Jahren bestehende SEKEM-Initiative rund 2.000 Menschen auf insgesamt 800 Betrieben in Ägypten und im Sudan. Auf 2500 Hektar Land werden u. a. Gemüse, Getreide, Obst, Gewürze, Öl- und Heilpflanzen, Baumwolle angebaut. Die Produkte werden zu fast 70 Prozent im eigenen Land vermarktet, der Rest geht ins Ausland. Die Menschen, die hier arbeiten, werden nicht nur satt, auch ihre sonstigen Lebensbedingungen haben sich insgesamt deutlich verbessert.
Weiterführende Literatur: UNEP-Bericht zur nachhaltigen Landnutzung weltweit (Januar 2014)