"Unsere Corona-Fehler"

Seite 2: Journalisten: Verweigerung der Selbstreflexion

Zwar kommen vier Redakteure der Zeit zu Wort. Doch von den zahlreichen Fehlern ihrer Corona-Berichterstattung wird fast nichts angesprochen.

Jakob Simmank hat festgestellt, dass China doch kein Vorbild ist. Martin Machowecz unterschätzte die zweite Welle im Osten: "Diejenigen, die harte Maßnahmen anrieten, hatten – in einer Phase, in der es weder Impfungen noch großflächig Tests gab – richtiggelegen."

Elisabeth Raether revidiert ihre Prognose, Corona werde alles ändern, und lebt nun "okay mit der Erkenntnis, dass der Wunsch der Menschen, es sich gut gehen zu lassen, nicht verschwindet". Und Andreas Sentker räumt ein, die sozialen Folgen unterschätzt zu haben:

"Pest, Cholera, Spanische Grippe – ich hätte es nicht vergessen dürfen: Pandemien sind ungerecht. Sie treffen vor allem sozial Benachteiligte."

Sozial ungleich getroffen hat aber weniger die Pandemie als die Pandemiebekämpfung – und da kam der Journalismus ins Spiel.

Unter dem zwei Zeitungsseiten langen Beitrag steht:

Die Zeit hat auch Journalistinnen und Journalisten anderer Medien gefragt, wie sie heute zu bestimmten Äußerungen stehen – etwa der, dass gewisse Virologen größeren Schaden angerichtet hätten als Querdenker. Bis auf Ranga Yogeshwar wollten sie sich dazu aber nicht äußern."

Die Zeit, Ausgabe Nr. 5, 26. Januar 2023

Wir wissen zwar nicht, wie viele Politiker und Wissenschaftler von der Zeit nach einem Statement gefragt wurden, von denen dann 20 veröffentlicht wurden. Aber dass sich ausgerechnet fast alle Journalisten der Selbstreflexion verweigern, sieht nach einer weiteren sehr großen "Hürde der Aufklärung" aus.

Und die Zeit zeigt nebenbei, wie unmöglich es ihr bis heute ist, sachgerecht über Kritik an der Corona-Politik zu schreiben. Denn was sie hier "Querdenker" nennt, sind im Original "Corona-Leugner" – für die Zeit offenbar Synonyme. Die Passage, auf die damit angespielt wurde, lautete wörtlich wie folgt und verlangt allein schon nach Entschuldigung:

Einen größeren Schaden als Corona-Leugner haben im vergangenen Jahr wohl Experten angerichtet, die immer wieder gegen wissenschaftlich begründete Maßnahmen argumentiert haben, zum Beispiel Jonas Schmidt-Chanasit und Hendrik Streeck.

Priorität müsse es haben, die Risikogruppen zu schützen, hörte man oft aus diesem Lager. Dabei ist längst klar, dass das bei hohen Fallzahlen nicht funktioniert. Wann platzt Ihnen der Kragen?

Rafaela von Bredow und Veronika Hackenbroch, Spiegel-Interview mit Prof. Christian Drosten

Der vor allem aus dem Fernsehen bekannte Ranga Yogeshwar gibt tatsächlich Fehler zu. Das eine könnte man fehlende Recherche nennen:

[Es] hätte mich eines noch stutziger machen müssen: Wie wenig wir bei den Corona-Toten darüber wussten, wie viele Menschen wirklich an (nicht nur mit) Covid gestorben waren. Im Nachhinein frage ich mich: War die Statistik so unklar, weil Kliniken im einen Fall mehr abrechnen konnten als im anderen? Hätte ich dem energisch nachgehen müssen?

Ranga Yogeshwar, Wissenschaftsjournalist

Zum anderen war Yogeshwar Testimonial für die Impfkampagne der Bundesregierung. Nun tendiere er dazu, die "Beteiligung als Fehler zu betrachten", "weil ich mehr kritische Distanz zu einem Medizinsystem hätte wahren sollen, das sich in der Pandemie an einigen Stellen als antiquiert und überfordert erwiesen hat".