Unter Verdacht
Neulich auf dem Flug 327 von Detroit nach Los Angeles
Sie schenkte ihm ihr freundlichstes "Erinnern-Sie-sich-wir-hatten-kürzlich-einen-netten-Plausch"-Lächeln, doch der Mann erwiderte das Lächeln nicht. Er verzog keine Miene, blieb vollkommen ungerührt. Sein Blick war kalt. Etwas Herausforderndes lag darin. Es jagte ihr Schauer über den Rücken.
Der Mann war Ende Zwanzig und trug einen Ziegenbart, was ihn vielleicht, verstärkt durch den Umstand, dass der Mann ein Musiker ist, dazu nötigte, auf einen möglichst coolen Gesichtsausdruck größeren Wert zu legen. Das allerdings konnte Annie Jacobsen, die am 29. Juni dieses Jahres zu nächtlicher Stunde mit Mann und Kind in einem Flugzeug der Northwest Airlines unterwegs von Detroit nach Los Angeles saß und sich fürchtete, nicht wissen.
Für Annie Jacobson war das, was sie sah, in höchstem Maße bizarr, erschreckend, horrible, sehr nah an einem Alptraum: 14 obskure Männer zwischen 20 und 50 Jahre alt, genau in ihrem Flugzeug, 10.000 Meter über dem homeland; Männer, die nicht sitzen blieben, immer wieder aufstanden - trotz des Klingelzeichens, welches das Bleiben auf den Plätzen gebot -, auf die Toilette gingen, mit McDonalds-Tüten, die danach nur mehr halbvoll aussahen, sich zunickten, Zeichen mit dem Daumen gaben, miteinander in den Gängen sprachen, Sonnenbrillen auf behielten und nacheinander, kurz vor der Landung, noch einmal die Toilette aufsuchten, sich wieder zunickten und dunkle Zeichen zusandten.
Einer strich sich mit dem Zeigefinger über den Hals und formte mit dem Mund ein gehauchtes "Nein".
Beim Einchecken, das ohne größere Sicherheitschecks verlief, weil es sich nur um einen Zwischenstopp handelte, hatte die freelance-Journalistin beobachtet, dass einige der Männer dünne, flache Koffer dabei hatten. Die Männer kamen ,und das war offensichtlich, aus dem Mittleren Osten. Sie sprachen Arabisch.
Die "Antennen" von Annie Jacobsen und ihrem Mann, die sich als aware Americans empfinden, meldeten Alarm. Und sie waren nicht die einzigen, denen das seltsame Verhalten der 14 Araber im Flugzeug Angst und Schrecken ins Gesicht zeichnete, wie Jacobsen berichtet. Ein Paar weinte vor Angst, die Flugbegleiter benahmen sich ebenfalls nervös. Das Ehepaar teilte einer Stewardess seine Beobachtungen mit, woraufhin diese erwiderte, dass die Sache schon innerhalb der Mannschaft besprochen worden sei. Man tauschte Flüstereien und kleine Zettel mit Nachrichten aus. Das Cockpit habe dem Ziel-Flughafen Bescheid gegeben. Zu Angst bestünde kein Anlass, auf mehreren Plätzen würden Federal Air Marshals (FAM) sitzen.
Bei der Landung in Los Angeles wurden die Passagiere mit einem größeren Aufgebot an FBI- und LosAngeles Police Department (LAPD)-Agenten sowie einer Reihe Federal Air Marshals und Sicherheitsdienstleuten empfangen. Die 14 Männer aus dem Mittleren Osten wurden umgehend abgeführt und verhört.
Später stellte sich heraus, dass es sich bei den Arabern um eine syrische Musikgruppe handelte, die auf dem Weg zu einem Konzert in einem Casino in der Wüste waren.
Doch damit war die Geschichte für Annie Jacobsen noch nicht zu Ende. Für sie gab es noch Fragen, die der Aufklärung harrten, weswegen sie ihren Bericht über den Flug 327 auf WomensWallStreet.com veröffentlichte. Das öffentliche Interesse war geweckt: "And then a powerful thing happened.The mainstream media started calling." Jacobsen gab Fernsehinterviews und legte einen zweiten Teil ihrer Geschichte "Terror in the Skies, Again?" nach.
Für sie gibt es genug Indizien, die darauf hinweisen, dass die Männer aus dem Nahen Osten auf dem Flug 327 einen Probelauf für einen Anschlag durchgespielt hätten. In der Manier eines Daniel Pipes (vgl. Neue Aufgabe für den "führenden Islamophobiker") durchforstet sie alle Möglichkeiten, die ihren Verdacht bestärken, dass die Männer aus dem Mittleren Osten doch nicht einfach nur Musiker einer syrischen Band waren.
Besonderes Augenmerk richtet die aware American dabei logischerweise auf die Sicherheitskontrollen in den Flughäfen, welche ihrer Meinung nach durch politische Korrektheit stark behindert werden – nach Jacobsens Informationen werden Leute mit nahöstlicher Herkunft mit besonderer Rücksichtnahme behandelt, sie zitiert das Beispiel einer Fluggesellschaft, deren Sprachgebrauch es nicht erlaubt, von Middle East men zu sprechen.
Political correctness ist zu einer großen Straßensperre für die Sicherheit im Flugverkehr geworden...Es ist die Political Correctness, die uns allmählich dazu bringen könnte, dass wir uns wundern und fragen: "Wie konnte 9/11 noch einmal passieren?"
Natürlich vergisst Jacobsen nicht hinzuzufügen, dass sie keine "Rassistin" sei; sie würde viel reisen und sei kürzlich in Indien gewesen, wo sie in einem muslimischen Dorf ohne jegliche Schwierigkeiten gearbeitet habe.
Für Jacobsen ist der Schluss aus ihrer Geschichte:
Was ich bei diesem Flug durchgemacht habe, hat mich dazu veranlasst zu fragen, ob die USA realistischerweise die zivilen Freiheiten jedes Individuums, selbst von Nicht-Bürgern, aufrecht erhalten und (gleichzeitig) ihre Bürger vor terroristischen Bedrohungen schützen können.
Jacobsens Geschichte wird mittlerweile auch im Netz, in den Foren und natürlich in der "Blogosphäre" ausgiebig diskutiert. Zum Teil ähnlich hysterisch, wie es der Bericht selbst ist, meint ein amerikanischer Pilot, der die Geschichte und deren Auswüchse im amerikanischen Internetmagazin Salon kommentiert.
Tatsächlich ist nichts passiert. Weswegen man die Geschichte nicht jeden Tag von neuem mit den "thrillenden" Details im Fernsehen erzählen müsste, als ob man das Ende nicht schon kennen würde, ärgert sich der Exillibanese und amerikanische Professor für politische Wissenschaften AbuKhalil.
Einen einigermaßen rationalen Aspekt hat die Geschichte nach Meinung einiger Experten allerdings schon. Auch Jacobsen beruft sich auf die Meldung der britischen Zeitung "Observer" vom 8.Februar diesen Jahres, wonach Terroristen zu einer neuen Taktik bei Anschlägen im Flugzeug umschwenken würden: man nehme nicht mehr eine "ganze Bombe" mit ins Flugzeug. Stattdessen würden mehrere Leute mehrere Teile der Bombe an Bord bringen (in einer McDonalds-Tüte z.B.) und die Bombe erst dort (auf der Toilette z.B.) zusammenbasteln.