Untot durch das Internet

Der deutsche Gruselroman ist nicht umzubringen

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Wo in "Tanz der Teufel" noch antike Schriftrollen die Dämonen zum Leben erwecken, reicht heute ein TCP/IP-Protokoll. Trotz diverser Verlagspleiten und Serieneinstellungen bleibt das Genre des Grusel-Heftromans vital; als hilfreich erweisen sich dabei eigens geschaffene Kleinstverlage und das Internet, seit jeher ein brillantes Instrument, wenn es um das Überleben von Kulturnischen geht, die ohne diese Möglichkeit zum Bilden von Vertriebs- und Kommunikationsstrukturen vielleicht verschwinden würden.

Rückblende: In den 50er und 60er Jahren hatten einige Verlage, darunter Pabel, Bastei, Erber, Kelter und Zauberkreis, diverse Krimi- und SF-Serien im noch heute gültigen Romanheft-Format (circa dinA5, 64 bis 66 Seiten) etabliert, die namhaftesten davon sind Perry Rhodan und Jerry Cotton. Dem Zauberkreis-Verlag blieb es vorbehalten, im Rahmen einer Krimi-Reihe 1970 den ersten Horror-Heftroman schlechthin zu veröffentlichen: Der "Silber Krimi 747" wurde von Jürgen Grasmück verfasst und trug den Untertitel "Silber Grusel Krimi Nr. 1". Der an den Rollstuhl gefesselte Grasmück hatte schon in früher Jugend begonnen, Science Fiction-Romane unter dem Namen "Jürgen Grasse" zu veröffentlichen. Jetzt nannte er sich "Dan Shocker"- und begründete damit die Tradition grausiger Pseudonyme, die zur liebenswürdigsten des "Schundromans" werden sollte. Seitdem geben sich erwachsene Menschen Namen wie "Jason Dark", "Mortimer Grave", "John Blood", "Hivar Kelasker" oder "Damion Danger". Der Held des ersten Shocker-Romans war Larry Brent, der für den PSA, eine Art parapsychologischer Geheimdienst, tätig war. Brent zählt noch heute zu den berühmtesten Figuren der Szene - seine Abenteuer werden längst vom Blitz-Verlag im Hardcover-Format wiederaufgelegt, aber auch fortgesetzt (leider nicht von Shocker selbst, der aus gesundheitlichen Gründen die Feder aus der Hand gelegt hat). Die frühen Abenteuer des Larry Brent waren beim Publikum so beliebt, dass der "Silber Grusel Krimi" 1972 mit Nummer Nr. 51 zur eigenen Serie wurde, die im 14tägigen Rhythmus erschien. Mit "Macabros" erschien ab 1973 eine weitere, sehr erfolgreiche Serie aus Grasmück's Labor im Zauberkreis Verlag. "Larry Brent" und "Macabros" waren zeitweise derart populär, dass von Europa eigene Hörspiel-Reihen produziert wurden, die, wie auch alle "Dämonenkiller"-Hörspiele, jüngst (allerdings zum Teil im Sinne des Jugendschutzes zensiert) wieder veröffentlicht wurden.

Andere Verlage, vom Erfolg des "Silber Grusel Krimis" beeindruckt, setzten nach. Ab Ende 1972 brachte der Pabel Verlag die Serie Vampir auf den Markt, die bis in die 80er hinein erschien und die Leser mit einer Mischung aus einzelnen, in sich abgeschlossenen Romanen und Sub-Serien wie "Hexenhammer", "Barnabas" und "Der Dämonenkiller" begeisterte. Besonders der Autor Hugh Walker konnte durch seine atmosphärischen Geschichten um Werwölfe und Vampire überzeugen und all jene Lügen strafen, die dem Heftroman nur ein geringes literarisches Niveau zubilligen wollten. Natürlich ist solch eine Betrachtungsweise a priori falsch. Auch ein H. P. Lovecraft veröffentlichte in Schundheften, etwa den Weird Tales (Diese amerikanischen Groschenhefte der 1920/30er werden oft irrtümlich als die Ahnen des deutschen Gruselhefts gewertet. Das ist lediglich richtig, wenn es um die Vertriebswege geht, literarisch betrachtet hat man es dort aber mit der ganz regulären Form der Kurzgeschichte bis Novelle zu tun, während der hiesige Gruselroman um die 65 Seiten lang sein muss, also wesentlich strengerem kreativem Reglement unterworfen ist)

Walker, der sich nach wie vor der Phantastik widmet, veröffentlicht seine Horror-Stories heute in Buchform beim Blitz-Verlag. Auch in anderen Bereichen der populären Phantastik ist der gebürtige Österreicher Hubert Strassl zuhause. Sein aktuelles Projekt ist die Reaktivierung der Pabel-Fantasy-Serie Mythor. Während der Weltbild-Verlag die von ihm überarbeitete 1973er Original-Serie wiederveröffentlicht, hat Moewig ein von Walker verfasstes neues Mythor"-Buch, ein Prequel zur eigentlichen Geschichte, herausgebracht. Schon 1966/67 hatte Walker mit Freunden das wahrscheinlich erste Fantasy-Rollenspiel der Welt ersonnen: Magira. Walker:

Beim Science Fiction Con in Wien 1966 gründeten wir Follow, die Fellowship Of The Lords Of The Lands Of Wonder. Das war eine enthusiastische Gruppe von hauptsächlich Wiener Fantasy-Fans, die in Edi Lukschandls Wohnung zu Follow-Sitzungen zusammenkam, über Fantasy diskutierte und am Spiel und den Regeln tüftelte. Follow war von Anfang an nicht wie ein Club organisiert, sondern wie Gruppen von Völkern der archaisch-phantastischen Welt, die wir uns ausgedacht hatten. Jeder Lord nahm Interessenten in sein Volk auf, die verschiedene Ränge durchliefen und, wenn sie sich um die gemeinsame Phantasiewelt verdient gemacht hatten, selbst Lords wurden und ein eigenes Volk auf der Welt begründen durften. Dieses System hat mit geringen Modifikationen bis heute Bestand. Die erste Ausgabe von Lands of Wonder mit einem Vorwort von L. Sprague de Camp erschien im Frühjahr 1967

...und ist damit wohl das erste erhaltene Zeugnis einer ernst zu nehmenden Rollenspiel-Kultur. Hier irrt die Kulturhistorie offenbar in der Annahme, die Geschichte des Rollenspiels begänne 1973 mit Dungeons & Dragons.

Der Dämonenkiller, der von Nr. 1 bis 17 im Rahmen von "Vampir" erschien, wurde nach seiner Auskoppelung zur legendärsten Grusel-Serie der 70er überhaupt. Die Serie, hauptamtlich vom "Perry Rhodan"-Exposeschreiber Ernst Vlcek ("Paul Wolf") und dessen Co-Autor Kurt Luif ("Neal Davenport") konzipiert, kam im Gegensatz zu vielen anderen in geradezu epischer Breite daher, die Handlung ist für eine Gruselserie sehr komplex. Die Dämonen werden hier nicht als handelsübliche Geisterbahnfiguren dargestellt, sondern als ganz eigene Kulturgemeinschaft mit speziellen Ansichten und Bedürfnissen, naturgemäß mit denen der Menschheit nicht vereinbar. Leider fand der Dämonenkiller ein besonders unglückliches Ende. Damals die meistgelesenste Gruselserie in Deutschland hatte der DK mehrfach Probleme mit den Zensurbehörden. Die Hefte 7, 104, 115 und 121 wurden indiziert, und so mußte der DK auf Druck der Bundesprüfstelle vom Markt verschwinden. Liest man die beanstandeten Hefte heute durch, wirkt die staatliche Exekution dieser in jedem Sinne fantastischen Serie lächerlich und unverschämt. Nach einer uninteressanten, vom Verlag aus Angst vor neuerlicher Jugendschutz-Attacke übel zensierten Neuauflage in den 1980ern haben Dorian Hunter und die Hexe Coco heute ihre Heimat beim Zaubermond Verla gefunden, der gleich drei Buchreihen veröffentlicht: "Edition DK" (offizielle Fortsetzung), "Dorian Hunter" (Wiederveröffentlichung der alten Hefte der Erstauflage) und "Coco Zamis" (die Jugendabenteuer von Dorians Gefährtin, die in den 70ern parallel zu den Romanheften als DK-Taschenbücher erschienen sind).

Das Ende des "Dämonenkillers" 1986 markiert auch das Ende der großen Zeit des Gruselromans. Der Zauberkreis-Verlag war im Jahr vorher von Pabel aufgekauft worden. Als der verantwortliche Redakteur bei einem tragischen Unfall zu Tode kam, wurden sämtliche Grusel-Serien von Pabel und Zaubermond, von denen sich einige, aber nicht alle in den roten Zahlen befanden, von heute auf morgen eingestellt. Nach diesem verheerenden Kahlschlag lag es nun an Bastei, als letztem großen Genre-Verlag, die Tradition weiterzuführen.

Bastei veröffentlichte seit Juli 1973 den "Gespenster-Krimi", ebenfalls eine Serie mit Einzelabenteuern und Subserien wie John Sinclair, Tony Ballard, Damona King oder Wolfgang Hohlbein's Der Hexer. Zwar wurde auch der "Gespenster-Krimi" 1985 eingestellt, zwischenzeitlich hatten aber frühe Protagonisten wie Sinclair und Tony Ballard längst ihre eigenen, höchst erfolgreichen Serien bekommen. Auch "Damona King" und "Der Hexer" wurden ausgekoppelt. Uabhängig vom "Gespenster-Krimi" war es Bastei seit 1974 gelungen, "Professor Zamorra" als eigenständige Serie zu etablieren, die zwar im ungewöhnlichen 14-Tages-Rhythmus erschien, sich aber bis heute gehalten hat und demnächst die 700er-Nummer erreichen wird. Andere Serien wie Vampira, Mark Hellman oder Dämonen-Land konnten nicht die Breitenwirkung der beiden Flagschiffe Sinclair und Zamorra erreichen und wurden folglich von Bastei, sehr zum Leidwesen der Fans, eingestellt. Als aktuelle Genre-Beiträge erscheinen bei Bastei Maddrax (Endzeit-Fantasy im "Mad Max"-Stil) und der Grusel-Schocker, ein an den "Gespenster-Krimi" gemahnendes Heft, das jedoch im nächsten März ebenfalls aus den Kioskregalen verschwinden wird. Seinen Platz soll die neue Serie "Torn" einnehmen, deren erste Nummer am 13. März 2001 erscheint. Erstaunlich wirkt, dass sich Bastei seit Jahrzehnten als DER Verlag für Gruselhefte halten kann, obwohl kaum Werbung außerhalb der eigenen Produktion geschaltet wird - was immer wieder zu hitzigen Debatten in den Foren führt, wenn mal wieder die Einstellung einer Serie ansteht.

Soweit der Versuch eines historischen Abrisses, der naturgemäß nicht vollständig sein kann - die Zahl der veröffentlichten Romane geht in die Zigtausende. Kenner werden das Fehlen von "Dr. Morton", "Monstrula", "Gordon Black" und unzähligen anderen Reihen beanstanden; sie alle zu behandeln, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Die interessantere Frage ist, wo das Genre heute steht. Kurz gesagt:

Mit einem Bein im Internet, mit dem anderen im Hardcover

Die Kleinstverlage Zaubermond und Blitz veröffentlichen neben aktueller Phantastik die klassischen Serien in schmucker Hardcover-Edition, die Lizenzen wurden von den jeweiligen Verlagen erworben, die, so Zaubermond-Chef Born, meist großen Wert auf eine angemessene Bearbeitung der Klassiker legen. Ein ganz anderes Modell haben die Hary Productions entwickelt. W. A. Hary, früher Autor bei den Kelter-Serien Geister-Krimi, Geister-Killer und Geister-Thriller, vertreibt über diese Homepage die Fortsetzungen seiner "Geisterjäger Mark Tate"-Storys. Die Firma bietet zwar auch (ziemlich teure) Hefte für die unentwegten Sammler an, interessant ist aber auch die Veröffentlichung der Episoden als Diskette oder E-Mail-Anhang, und die Übernahme der Sammelband-Funktion durch die CD-ROM. Mittlerweile wurde sogar ein Hörbuch produziert. "Geisterjäger Mark Tate" wird heute als erfolgreichste digitale Romanserie der Welt gehandelt.

Der Interessierte findet im Netz eine umfassende Infrastruktur, die durch unzählige Internet-Antiquare wie EarlyChamp oder Harrys World begründet wird; es lohnt sich, die Suche nach einzelnen Heften bei solchen Händlern zu beginnen, da das gesuchte Exemplar hier oft etwas günstiger zu haben ist als beim größten Händler, der Romantruhe, der dafür so gut wie jedes Heft führt, das jemals erschienen ist. Verblüffend genug lässt sich feststellen, dass letztendlich jedes beliebige Produkt aus dieser extrem unübersichtlichen Szene heute noch erworben werden kann - ob man dabei die Pages der kleinen Antiquare auf Schnäppchenjagd durchstöbert, oder sich zeitsparend gleich an die Romantruhe wendet, bleibt letzten Endes dem eigenen Geschmack und Geldbeutel überlassen. Auffällig ist in jedem Fall der offensichtliche Konsens in der Szene, auch bei raren Exemplaren nicht mit übertriebenen Wucherpreisen zu operieren. So kann man einen Dämonenkiller- oder Macabros-Band aus den 1970ern heute für circa drei Mark erwerben, wenn's nicht grad die Nummer 1 sein soll (zum Vergleich: eine aktuelle Bastei-Veröffentlichung kostet DM 2,50).

Grusel-Fans sind daneben auch extrem aktive Web-User, die mit akribischer Genauigkeit Pseudonym-Tabellen, Titel-Listen, Cover-Gallerien und Rezensionen auf ungezählten Fan-Sites veröffentlichen. Bei den allgemeinen Seiten zum Thema verdient das Online-Magazin Flash, das regelmäßig jeden zweiten Freitag erscheint und auf sehr engagierte und professionelle Weise Informationen zum gesamten phantastischen Heftmarkt bereithält, besonderes Augenmerk. Dort wird jede Neuerscheinung sofort besprochen, dem Leser steht außerdem ein großes Archiv zum Thema inklusive Suchmaschine zur Verfügung.

Zu jeder großen Serie finden sich aber auch spezielle Fan-Seiten, deren Studium meist Stunden beansprucht. Stellvertretend seien hier Dan Shocker's Ruhmeshalle oder Toms Dämonenkiller genannt, letzterer bietet nicht nur umfassende Information zur Serie, sondern auch von Fans verfasste neue Episoden der Saga. Dem Leser die Möglichkeit zur kreativen Betätigung zu bieten, ist eine unverzichtbare Tradition im Grusel-Roman. Schon in den 70er Jahren wurden auf den sogenannten LKS (Leser-Kontakt-Seiten) neben den obligatorischen Fanbriefen auch Kurzgeschichten, makabere Cartoons und Gedichte veröffentlicht. Bastei etwa veröffentlicht im Rahmen der zweiten "Sinclair"-Auflage noch heute regelmäßig von Lesern verfasste Stories, gleiches geschieht auf der Homepage des Verlags, die übrigens zu jeder Serie auch diverse Foren anbietet, die oft genug als Möglichkeit der Verständigung zwischen Verlag/Autoren einerseits und Lesern andererseits genutzt werden.

In anderen Bereichen, z. B. Film und Fernsehserie, stößt der produktive Fan auf weit größeren Widerstand, wenn er als "Fan Fiction" eigene Werke mit eigentlich geschützten Figuren im Internet zur Verfügung stellt. Die lange Tradition des Kontakts zwischen Autor, Verleger und Fan, die das komplexe Netzwerk eines kulturellen Phänomens offenlegt, könnte hier als Vorbild für eine angemessene Praxis im Umgang mit Fan Fiction dienen. Populärkultur entsteht nicht nur über die Schöpfung eines Szenarios oder einer Figur durch einen Autor, auch nicht durch ihre Veröffentlichung durch einen Verlag, sondern nur im Zusammenwirken mit der Phantasie und der Leidenschaft der Leser oder "Konsumenten".