Update: Kernfusion als Energiequelle der Zukunft?

Zweifel an der Option Kernfusion vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag

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"Selbst wenn das Fusionsprogramm einen Reaktor hervorbrächte, würde ihn niemand haben wollen", schrieb Lawrence M. Lidsky im Herbst 1983 in der Zeitschrift Technology Review. Lidsky war der stellvertretender Direktor des Plasma-Fusions-Zentrums am MIT und Herausgeber des "Journal of Fusion Energy". Sein Beitrag "Die Pannen der Fusion", aus dem das Zitat stammt, und ein Artikel in der Washington Post sorgten damals zwar für Aufregung in der Fusions-Gemeinde. Doch diese Lobby stellte ihr international abgestimmtes Programm bis heute nicht in Frage, ohne weiter zu kommen.

In Deutschland könnte sich jedoch etwas bewegen. Am Mittwoch vergangener Woche nahm der Forschungsausschuss des Deutschen Bundestages einstimmig den Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung (TAB) ab. Der Bericht, der noch nicht im Internet erhältlich ist, stellt mehrfach die Fusionsforschung, besonders hierbei die immensen öffentlichen Fördermittel, in Frage.

Das Plasmagefäß von ASDEX Upgrade, Garching

Der Bericht stützt sich in großen Teilen auf das Gutachten "Kernfusion" des schweizerischen Ingenieurbüros Basler & Hofmann, das als "neutraler" Gutachter bestellt wurde.

Das Unternehmen ist ein Gemischtwarenladen an Fachkompetenz, als besonders kompetent auf dem Gebiet der Fusionsforschung trat es bisher nicht hervor. Breiter in das Licht der deutschen Öffentlichkeit trat Basler & Hofmann erstmals 1990 mit seiner Risikoanalyse und seinem Sicherheitskonzept für die damals geplante Transrapidstrecke Berlin-Hamburg, von Kritikern als Gefälligkeitsanalyse verspottet. Basler & Hofmann lässt sich schwerlich als "unabhängige" Instanz sehen, sondern ist seit Jahren Teil der europäischen Kernenergie-Lobby. Mitarbeiter des Ingenieurbüros sind in der Regel an Sicherheitsberichten zu europäischen AKWs beteiligt, besonders natürlich an denen in der Schweiz, als Sicherheitsexpertin und Spezialistin für Risikokalkulationen im AKW-Bereich gilt besonders Dr. Anne Eckhardt von Basler & Hofmann.

Das Gutachten des Ingenieurbüros gibt eigentlich nur einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung sowie über Prognosen und Kontroversen zur Energieerzeugung durch Kernfusion. Grundlage sind Literaturauswertungen, die Anhörung "Kernfusion" am 28. März 2001 im Forschungsausschuss des Deutschen Bundestages sowie ergänzende Expertenbefragungen.

Die Fusionslobby sieht sich in dem Gutachten bestätigt und pickt sich wie die Presseabteilung des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik die Rosinen heraus, die weitere Investitionen begründen könnten: Die Fusionsforschung könne "als Absicherung gegenüber zwei wesentlichen unerwünschten Entwicklungen der Zukunft verstanden werden, der Energieknappheit und der Klimaveränderung", zitiert das Institut das Gutachten.

"Fusionskraftwerke werden sich vor allem für die zentralisierte Lieferung von Grundlaststrom eignen. Damit können sie z.B. der Versorgung von Ballungsgebieten dienen, mit deren Zunahme weltweit gerechnet wird. Indem Kernfusion in den westlichen Industrieländern aber auch beispielsweise in China und Indien fossile Energieträger ersetzt, würde sie zu einem Energiemix beitragen, der weitgehend frei von klimaschädigenden Emissionen ist. Zudem stellt Kernfusion eine längerfristige Versorgungsoption für die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts und darüber hinaus dar. Eine Energieversorgung, die auf verschiedenen Primärenergieträgern und Techniken beruht, gilt als robust gegenüber unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Zukunft."

Der Bericht erscheint jedoch auf Konsens ausgerichtet. Einerseits will sich das TAB noch nicht völlig von der Option "Kernfusion" verabschieden und bietet solch unverbindliche Zukunftslyrik. Andererseits zieht der Bericht sehr praktische Schlüsse für die politische Entscheidungsfindung. Das Büro für Technikfolgenabschätzung weist darauf hin, dass es spekulativ sei zu hoffen, dass in 50 Jahren die Kernfusionstechnologie ausgereift sein wird. Es sei auch kein zwangsläufiger Bedarf für Kernfusionskraftwerke zur Energieversorgung ableitbar. Der Mittelbedarf für die Kernfusionsforschung sei mit 60 bis 80 Milliarden Euro beachtlich. Die sehr hohen Investitionskosten würden die Wettbewerbsfähigkeit in Frage stellen, aber auch Umweltprobleme seien zu bedenken, insbesondere durch das radioaktive Tritium, welches kaum zu beherrschen sei. Denkbar seien nicht zuletzt angesichts terroristischer und kriegerischer Bedrohungen katastrophale Unfallgefahren.

Dem Bundestag liegt mit dem Sachstandsbericht des TAB erstmals eine formal tatsächlich unabhängige wissenschaftliche Untersuchung zur Kernfusion vor. Dies ist deshalb hervorzuheben, weil bisherige Papiere für die Politikberatung nur im engen Kreis der Fusionslobby erarbeitet wurden. Das Büro für Technikfolgenabschätzung fordert, dass verstärkt unabhängiger Sachverstand aufgebaut werden muss. Damit soll künftig verhindert werden, dass nur der subjektive Sachverstand der Kernfusionsgemeinde zur Entscheidungsfindung der politischen Gremien beiträgt.

Der forschungspolitische Sprecher der Bündnisgrünen im Parlament, Hans-Josef Fell, kommentiert diese Entscheidung: "Nun gilt es, die Konsequenzen zu ziehen und die Kernfusionsforschung so lange auf die Grundlagenforschung zu beschränken, bis die grundlegenden Probleme erforscht und weitere Fragen der Technikfolgenabschätzung beantwortet sind." So sieht es dies auch das Ausschussmitglied der PDS-Fraktion, Eva Bulling-Schröter. Sie weist darauf hin, dass bisher nur aus Bündnis90 / Die Grünen und PDS relevante Teile beider Fraktionen und Parteien konsequent der "Fusionitis" skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden. In allen anderen Fraktionen des Bundestages waren die Skeptiker bisher sowieso eine "kleine radikale Minderheit".

Kryostat, Magnetspulen und Plasmagefäß von Wendelstein 7-X, Greifswald

Diese Aussage ist in soweit einzuschränken, als in der PDS aus Standortgründen eine Lobby aus Mecklenburg-Vorpommern für den Greifswalder Fusionsforschungsreaktor wirbt. "Ich stelle mit Freude fest, dass die PDS-Minister in Mecklenburg-Vorpommern das Projekt mit anschieben, während die PDS-Bundestagsfraktion versucht, sich als Blockierer vor die Kernfusion zu werfen," skizzierte dies erfreut die FDP-Forschungsexpertin Flach noch im vergangenen Herbst. Nun hat sie sich offensichtlich als Ausschussmitglied auf die Seite der "Blockierer" begeben, denn die Entscheidung erfolgte einstimmig.

Aus Bayern kommend, kann jedoch PDS-Frau Bulling-Schröter erahnen, dass diese Ausschussentscheidung mit den Stimmen der SPD, CDU/CSU und FDP nicht die Gnade des Kanzlerkandidaten Stoiber und der CSU finden wird. Die SPD und ihr Finanzminister Eichel suchten jede nur passende Begründung, Haushaltslöcher stopfen zu können. Für die CSU aber sei ihr Lieblingsprojekt Fusionsreaktorforschung in Garching eine "heilige Kuh", und Siemens-Westinghouse, mache Druck, dass das so weiterläuft mit den Subventionen wie bisher, so die PDS-Politikerin zu Telepolis.

Der grüne Forschungspolitiker Fell, ebenfalls aus Bayern, warnt aus eben diesen Gründen: "Der vorzeitige Bau des Fusionsforschungsreaktors (ITER) dürfte sich hingegen als immense Geldverschwendung erweisen. Europa sollte daher dem Beispiel der USA folgen und aus ITER aussteigen." Fell entging offenbar aber, dass die Bush-Regierung gerade alle atomaren Optionen erneut in Erwägung zieht und ihr Energieminister Spencer Abraham fordert, den Stopp aus dem Jahr 1999 unter Clinton und Gore für die Mitarbeit am International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) wieder aufzuheben.