Urknall in Echtzeit?
Paradigmenwechsel in der Astronomie: NASA-Astronomen entwickeln erstmals überlichtschnelles Teleskop, mit dem später einmal viele Objekte des Universums direkt und in "Jetztzeit" zu sehen sind
Auf diesen Moment hat keiner gewartet, weil er nicht vorhersehbar war. Doch das scheinbar Unmögliche ist einem interdisziplinär arbeitenden Ingenieur- und Astronomenteam der US-Raumfahrtbehörde NASA jetzt gelungen. Es entwickelte und baute den ersten Prototyp eines überlichtschnellen Teleskops, mit dem die Vergangenheit des Kosmos zur Gegenwart wird. Bislang konnten die Forscher mit dem neuen 10-Meter-Spiegel-Teleskop zwar noch keine überlichtschnellen Photonen einsammeln, die unter strenger Auslegung der VSL-Theorie von João Magueijo im All existieren müssen. Dennoch ist ihr Optimismus groß, dass dies in wenigen Monaten das erste Mal gelingen könnte. Dann können Astronomen ohne zeitliche Verzögerung beispielsweise Sterne in 100 Millionen Lichtjahre Entfernung in Echtzeit observieren. Könnte es daher nicht möglich sein, eines fernen Tages sogar den Urknall, besser gesagt die Photosphäre des Big Bang, in Jetztzeit zu sehen?
Urplötzlich waren sie einfach da und in aller Munde. Mit einem Mal erregten sie sogar das Interesse der Wissenschaftler. Seitdem am 2. Oktober 1608 der Brillenmacher Hans Lipperhey aus Middelburg in der flämischen Provinz Seeland vor den Generalständen in Den Haag für "ein gewisses Instrument, um in die Ferne zu sehen" ein Patent beantragte, sind klassische Fernrohre, hochsensible erdgebundene Teleskope oder gar Weltraumobservatorien in der Astronomie nicht mehr wegzudenken. Sie haben uns nicht nur einen immer tieferen und zugleich faszinierenden Einblick in ein Universum ermöglicht, dessen ästhetische Dimension und Schönheit nur schwer in Worte zu fassen ist, sondern uns zugleich im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen geführt, dass das All eine Geschichte hat und Astronomen sowie Kosmologen demzufolge nichts anderes als Historiker des Universums sind.
Vergangene Gegenwart des Universums
Seitdem weisen Astronomen immerfort auf den Umstand hin, dass jeder Blick durch das Okular eine reale Zeitreise der optischen Art ist, dass jeder Hobby- oder Profi-Astronom, der sich eines "konventionellen" Teleskops bedient, Sternen, Galaxien und Quasaren nur dergestalt begegnen kann, wie sie einmal vor langer Zeit ausgesehen haben, als das Licht, das sich uns jetzt offenbart, die fremden Welten damals gerade verlassen hatte. Was diese dann ad oculos sähen, sei nichts anderes als vergangene Gegenwart des Universums.
Dies aber könnte sich nach den Worten der britischen Wissenschaftsjournalistin Sharon Ann Holgate alsbald ändern. Denn wie die promovierte Physikerin aus zuverlässiger Quelle erfahren haben will, stellt die US-Raumfahrtbehörde NASA auf einer für heute Abend (MEZ: 21.30 Uhr) anberaumten Pressekonferenz ein völlig neuartiges Teleskop vor, das, sollte es wirklich Konturen gewonnen haben, die bisherige optische Astronomie radikal revolutionieren würde. Radikal deshalb, weil mithilfe eines solches Observatoriums die Astronomen nicht nur tiefer ins All vordringen könnten als je zuvor, sondern auch die Himmelskörper und Erscheinungen des Universums erstmals in Echtzeit studieren könnten.
Unausgereifter Prototyp
Bei dem futuristisch anmutenden Fernrohr, das angeblich überlichtschnell ins All blickt, soll es sich, wie die Wissenschaftsjournalistin Sharon Ann Holgate in einer gestrigen E-Mail erläuterte, um einen Prototyp handeln, der das vorläufige Akronym VSLT (Varying Speed of Light Telescope) trägt.
Besagtes Kürzel steht für die von dem theoretischen Physiker João Magueijo postulierte Varying-speed-of-light-theory, die der Portugiese erstmals in dem Fachaufsatz A time varying speed of light as a solution to cosmological puzzles (Andreas Albrecht/João Magueijo in: Physical Review D, Bd. 59, Heft 4, Paper Nr. 043516; 15. Februar 1999) der Fachwelt vorstellte. Einer breiten Öffentlichkeit wurde die VSL-Theorie durch Magueijos 2003 erschienenes Buch Schneller als die Lichtgeschwindigkeit. Der Entwurf einer neuen Kosmologie (München 2003) bekannt.
In fraglichem VSL-Konzept nimmt Magueijo Bezug auf die Lichtgeschwindigkeit (c = 300.000 Kilometer in der Sekunde im Vakuum), die seit Einstein die konstanteste Größe in der Physik schlechthin und in den Naturwissenschaften die wohl standfesteste Säule ist. Aber ausgerechnet an dieser Säule bohrt Magueijos VSL-Konzept. Ausgehend von der Frage, ob die gängigen kosmologischen Theorien, denen zufolge die Lichtgeschwindigkeit zu allen Zeiten denselben Wert hatte, womöglich auf einer Fehlannahme beruhen, zieht der Forscher vereinfacht gesagt eine radikale Konsequenz: Das Licht muss in frühster Vergangenheit einmal viel schneller gewesen sein als heute.
Experimente mit dem Licht
Unterstützung erfährt diese recht mutige Theorie durch mehrere Experimente. Eines hiervon führten Wissenschaftler vom NEC Research Institute in Princeton (New Jersey) bereits vor mehr als fünf Jahren durch. Seinerzeit ließen diese angeblich einen Lichtpuls 300-mal schneller als die Lichtgeschwindigkeit fliegen. Während der Versuchsreihe erweckte das Licht in der Tat den Eindruck, als hätte es die mit Cäsium-Gas gefüllte Kammer früher verlassen, als es in dieselbige eingetreten ist (siehe L.J. Wang, A. Kuzmich and A. Dogariu 2000, Nature, 406, 277).
In der anderen Testreihe kam der Kölner Physiker Günter Nimtz 1998 zu einem immer noch höchst kontroversen Resultat. Im Zuge seines Experiments kristallisierte sich heraus, dass sich Informationen schneller als das Licht im Vakuum übertragen lassen, was gemessen an Einsteins Spezieller Relativitätstheorie eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit sein sollte. Dennoch bewegten sich die Mikrowellen, die Nimtz durch einen engen Hohlleiter schickte, schneller als das Licht. Der Vergleich mit einem Referenzsignal schien seine Folgerung zu untermauern, zumal Nimtz auf dieselbe Weise auch Informationen übertragen konnte. Schließlich war das, was aus dem Lautsprecher im Labor verzerrt ertönte, unverkennbar Mozarts Melodie - übertragen durch tunnelnde Mikrowellen.
NASA hüllt sich in Schweigen
Möglicherweise inspiriert von diesen höchst innovativen Theorien, hat die NASA schon vor drei Jahren Nägel mit Köpfen gemacht und Richard Ellis, seines Zeichens Professor für Astronomie und Direktor des Caltech Optical Observatories beauftragt, alle Kräfte und alles Know-how zu bündeln, um auf der Basis der VSL-Theorie ein neues Fernrohr-Prinzip zu kreieren.
Geplant - getan. Wie die Chef-Pressesprecherin der NASA Renee Wynn gegenüber Telepolis in einem Telefon-Interview bestätigte, haben Ellis und sein Team inzwischen tatsächlich die ersten Lorbeeren geerntet und einen ersten VSL-Prototyp entwickelt, der alle Voraussetzungen für eine baldige erfolgreiche Observation erfüllt. Auf der heutigen Pressekonferenz werden daher Ellis, João Magueijo und drei weitere Forscher und Ingenieure den geladenen Journalisten über die neue Apparatur und deren Funktionsweise Rede und Antwort stehen. "Wir sind mit den Forschern so verblieben, dass wir im Vorfeld keine genauen Informationen über das Forschungsprojekt und das neue VSLT-Teleskop weiterleiten. Wir bitten um Verständnis", so Patricia L. Dunnington. "Unser bisheriges Stillschweigen hat forschungspolitische Hintergründe. Nur so viel kann ich verraten: Es ist eine echte Sensation."
Forscher war redseliger
Trotz des Embargos zeigte sich aber ein Mitglied des VSLT-Teams, das namentlich nicht erwähnt werden möchte, bei einem weiteren Telefonat weitaus gesprächiger. Seinen Ausführungen zufolge handelt es sich bei dem neuen Fernrohr um ein stark modifiziertes 10-Meter-Spiegelteleskop, das derzeit in Pasadena/Kalifornien an einem geheimen Ort weilt.
Abstrakt gesagt können wir mit diesem dank mehrerer Filtersysteme und optischer phasenverschobener Mini-Spiegel einige jener überlichtschnellen Photonen einfangen, die laut VSL-Theorie einmal im All existiert haben respektive dort immer vorhanden sein müssen.
Bereits wenige Partikel reichen aus, so die ungenannte Quelle, um das Ganze dann via Computersimulation mittels eines aufwändigen Programms hochzurechnen und zu einem Gesamtbild zu verdichten. Auf diese Weise könne man Sterne oder Galaxien dergestalt simulieren, wie sie "derzeit" aussehen - allerdings nur im Bereich des optischen Spektrums.
Entscheidend dabei ist aber, dass sie auf altes Datenmaterial von bereits observierten Objekten zurückgreifen können. Nur ein Stern oder eine Galaxie, von der wir bereits Bildmaterial haben, lässt sich mittels dieser Methode und Technik in Echtzeit hochrechnen und ergo observieren.
Noch nicht lokalisierte Objekte seien aufgrund des fehlenden Basismaterials mit dieser Methode logischerweise vorerst nicht direkt zu sehen. Sobald das Verfahren aber ausgereift sei, bestünde zumindest theoretisch die Chance, auch unbekannte Himmelskörper aufzuspüren.
Bei der Beobachtung ferner Objekte trübte die naturgegebene zeitliche astronomische Retardation stets den Blick auf das Wahre. Immer nur zu wissen, wie eine Galaxie mal vor Millionen oder gar Milliarden Jahre ausgesehen hat, kann ganz schön frustrierend sein. Dies hat gottlob demnächst ein Ende.
Was auch immer davon zu halten ist - einige Frage bleiben offen: Wie wollen die Forscher das Bild einer 500 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie in Echtzeit beobachten, wenn sich die Geschwindigkeit der VSL-Photonen "nur" auf die dreifache oder hundertfache Lichtgeschwindigkeit beläuft? Und wo finden sich die hypothetischen VSL-Photonen überhaupt? Wäre es via VSLT eventuell sogar möglich, den Urknall zu sehen, zumindest die so genannte kosmische Photosphäre, also jenen Grenzbereich zum Big Bang, der 400.000 Jahre nach dem Urknall generiert wurde, als der Kosmos jene Mikrowellen-Hintergrundstrahlung erstmals emittierte, die heute von allen Seiten kommend auf uns permanent niederprasselt? Welch neues (Sub-) Universum würde sich den Forschern erschließen, analysierten sie diesen Prozess einmal in Echtzeit?
Angesichts dieser noch offenen Fragen bleibt zu hoffen, dass auf der heutigen Pressekonferenz, die um 21.30 Uhr (MEZ) live im NASA-TV zu sehen ist, die angekündigte "Sensation" auch wirklich ihren Namen verdient.