Vanadium: Schlagzeilen zwischen Fliegenpilz-Akku und drohendem Rohstoffengpass
Redox-Flow-Batterien auf Vanadiumbasis gelten nach wie vor als zukunftsträchtige Energiespeichertechnologie
Sonne, Wind und andere erneuerbare Energiequellen liefern nur zeitweise Strom, daher ist eine adäquate Speicherung der Schlüssel ihrer praktischen Nutzbarmachung. Einen gangbaren Weg dahin könnten Redox-Flow-Batterien bzw. Redox-Flussbatterien (RFBs) weisen. Sie speichern elektrische Energie durch Redoxreaktionen gelöster Redoxpaare an Elektroden.
Das Prinzip dieser Akkumulatoren war schon 1949 beschrieben und patentiert worden. Der Erfinder hatte bereits damals eine Anwendung als Puffer für Energieerzeuger mit unregelmäßig schwankender Leistungsabgabe im Blick, etwa Windräder und Gezeitenkraftwerke. Doch erst mit der ersten Ölkrise in den 1970er Jahren begann die NASA mit der Entwicklung von kostengünstigen elektrochemischen Energiespeichern. Im Rahmen der Forschung wurden preiswerte Metalle anhand ihrer Redoxeigenschaften auf ihre Eignung als Energiespeicher für erneuerbare Energien untersucht.
RFBs speichern Energie in großen Chemikalienbehältern; die Reaktionspartner sind dabei in einem Lösungsmittel gelöst. Bis heute wurde eine ganze Reihe von chemischen Varianten auf ihre Eignung zum Einsatz in RFBs getestet. In den 1980er Jahren begann die Entwicklung von RFBs auf Vanadium-Basis, die heute als die am besten erforschte Spielart dieser Energiespeicher gilt: Sie könnten sich möglicherweise als Alternative zu Lithiumbatterien und Pumpspeichern mausern. Von keinem anderen Typ wurde eine solche Vielfalt an Elektroden, Elektrolytformulierungen und Membranen untersucht. Damit diese Technologie jedoch mit herkömmlichen Lithium-Ionen-Batterien konkurrieren kann, muss die Speicherkapazität von Durchflussbatterien erhöht und ihre Langzeitstabilität verbessert werden.
Vanadium: Ein chemisches Element übernimmt die Energiespeicherung
In einem herkömmlichen Lithium-Akkumulator bewegen sich Lithiumionen frei zwischen beiden Elektroden hin und her. Redox-Flow-Batterien hingegen speichern Energie über die Wechselwirkung von geeigneten Redoxpaaren, die gelöst vorliegen und in zwei voneinander getrennten Kreisläufen zirkulieren. Das Übergangsmetall Vanadium ist in Form seiner Ionen gegenwärtig erste Wahl bei der Batteriechemie, unter anderem deshalb, weil es sich auf chemischem Wege relativ einfach zwischen verschiedenen Oxidationsstufen hin-und herschalten lässt.
In Vanadium-RFBs zirkulieren schwefelsaure Vanadiumsalz-Lösungen kontinuierlich durch ihre jeweiligen Halbzellen. Die bei dort stattfindenden Redoxreaktionen entstehenden Protonen und Elektronen bewegen sich durch eine Membran, die die Halbzellen und die aneinander vorbeiströmenden Elektrolytlösungen voneinander abgrenzt. Die Reaktion der gelösten Stoffe in der galvanischen Zelle wandelt chemische Energie in elektrische Energie. Je nach Bedarf wird sie im Elektrolyten gespeichert (Ladevorgang) oder ins Netz eingespeist (Entladung).
Da sich die Flussrichtung des Elektrolyten beim Laden und Entladen nicht umkehren muss, kann die Vanadium-RFB bei einer Änderung des Betriebsmodus schnell reagieren. Das Umschalten zwischen Laden und Entladen kann zudem unter Volllast erfolgen. Außerdem erleichtert der Einsatz des gleichen chemischen Elements in beiden Teilzellen Herstellung und Gebrauch. Die Konstrukteure versprechen sich im Vergleich mit anderen RFBs eine vernachlässigbare Diffusion der Metallionen durch die Membran und letztendlich höhere Wirkungsgrade und Energiedichten.
Vanadium-Anreicherung im Fliegenpilz: Neue Batteriekomponenten aus der Natur?
Mit Beginn des neuen Millenniums hielten auf dem Gebiet der RFBs neue Entwicklungen Einzug: Erste Systeme wurden kommerzialisiert, neue Batterie-Zusammensetzungen wurden erforscht oder befinden sich in Entwicklung. Eine weitere Tendenz ist die Nutzung nichtwässriger Lösungsmittel wie Dimethylsulfoxid oder Propylencarbonat, die an Bedeutung gewinnen könnten. Diese Lösungsmittel sind elektrochemisch stabiler als ihre wässrigen Pendants und können selbst Redoxpaare stabilisieren, die in wässrigen Lösungen instabil sind. In nichtwässrigen Medien lassen sich höhere Zellspannungen erreichen, und je höher die Spannung, desto mehr Energie kann die Durchflussbatterie speichern. Da sich Metallionen in solchen Lösungsmitteln in der Regel jedoch schlecht lösen, muss hier über den Umweg der Bildung von löslichen Metallkomplexen nachgeholfen werden. Das zugrunde liegende Reaktionsschema der Batterie ändert sich dabei meist nur geringfügig.
Eine geeignete, Vanadium bindende Substanz muss dabei mehrere Charakteristika aufweisen. Sie sollte vor allem eine hohe Affinität für das Metallion haben. Und sie sollte sehr stabil sein - die Batterien müssen tausende Ladezyklen verkraften und jahrelang haltbar sein. Diese Verbindungen müssen auch in Lösungsmitteln gut löslich sein, die hohen Spannungen widerstehen können, ohne sich dabei zu zersetzen.
Ein auf den ersten Blick exotisch anmutender, prinzipiell erfolgversprechender Kandidat dafür ist spätestens seit den 1980er Jahren bekannt: Pilze der Gattung Amanita, zu der auch mehrere giftige Vertreter wie der Fliegenpilz zählen, reichern relativ große Mengen an Vanadium in einer Koordinationsverbindung namens Amavadin an - bis zu 200 Milligramm pro Kilogramm Trockenpilz. Warum sie das tun, ist bis heute unbekannt.
Diese Vanadium(IV)-Verbindung ist gleich aus zweifacher Hinsicht ungewöhnlich: Zum einen fehlt die für andere Vanadiumverbindungen aus der Natur sonst typische Oxidogruppe, zum anderen liegt das Übergangsmetall im Amavadin achtfach koordiniert vor. Was man über die Funktion des Amavadins weiß: Der Komplex ist nicht für die Giftigkeit der Pilze zuständig. Heute vermutet man, dass es sich viel mehr um das Relikt eines Enzyms handelt. Das wird gestützt durch die Bedeutung der katalytischen Funktion von Vanadium im allgemeinen und von Amavadin und abgeleiteten Verbindungen im besonderen.
Vanadium ist darüber hinaus in der Biosphäre weit verbreitet. Seit mehr als 100 Jahren ist sein Vorkommen in lebenden Organismen bekannt. Neben dem Fliegenpilz sind auch andere Lebewesen in der Lage, Vanadium zu akkumulieren, wie etwa die Seescheide Ascidia sydneiensis oder der Strudelwurm Pseudopotamilla occelata.
Amavadin hat die höchste jemals bezüglich Vanadium gemessene Bindungsstabilität - "optimiert durch Millionen von während der natürlichen Auslese durchlaufenen Generationen". Das komplex gebundene Vanadium(IV) lässt sich darüber hinaus reversibel zu Vanadium(V) oxidieren. Chemiker von der University of Massachusetts Dartmouth fragten sich deshalb, ob sich dieser Umstand auch in RFBs ausnutzen ließe. Denn prinzipiell kann damit die bisherige Chemie im Katholyten (linke Halbzelle im illustrierten Vanadium-RFB-Schema) ersetzt werden.
Die Forscher hatten vor zwei Jahren nach eigener Aussage "auf die natürliche Auslese als Werkzeug" zurückgegriffen bzw. auf etwas länger zurückliegende Literatur und über die Synthese einer Amavadin sehr ähnlichen, "bioinspirierten" Verbindung mit guten Ausbeuten berichtet.
Chemiker, die am Massachusetts Institute of Technology Vanadium-RFBs entwickeln, zeigten sich bereits beeindruckt von der Ergiebigkeit der Synthesemethode und dem molekularen Design der Verbindung. Sie ist jedoch noch nicht löslich genug für den Einsatz in einer RFB. Die Forscher in Dartmouth arbeiten deshalb schon an der Optimierung der Löslichkeit des Materials.
Vanadium - das neue Lithium?
Der Boom bei regenerativen Energien hat einen Run auf die beim Anzapfen nötigen Metalle ausgelöst - darunter auch Vanadium. Das Übergangsmetall kommt mit einer historisch gewachsenen Bürde daher, die das Hochfahren einer RFB-Speicherindustrie ausbremsen könnte: der Konkurrenz der Stahlbranche, die 90 Prozent der Weltproduktion aufnimmt. Erst im November 2018 war der Vanadiumpreis durch die Decke gegangen.
Zusätze des Metalls steigern die Verschleißfestigkeit von Stählen: Ein Kilogramm Vanadium auf eine Tonne Stahl verdoppelt dessen Festigkeit. Nach in Kraft getretenen neuen chinesischen Bauvorschriften wurde Vanadium über Nacht sehr gefragt. Die neuen Vorschriften, die auf das starke Erdbeben von 2008 zurückzuführen sind, das Teile Sichuans und anliegender Provinzen verwüstete, sollen laut Wall Street Journal die Verwendung von weniger belastbarem Stahl in chinesischen Bauprojekten schrittweise beenden.
Beobachter rechnen deshalb mit einem Anstieg des chinesischen Bedarfs von 10.000 Tonnen Vanadium im Jahr, was rund zwölf Prozent der Weltjahresproduktion entspricht. Gleichzeitig fahren die Chinesen ihre eigene Aufbereitung der aus Hochofenprozessen stammenden Vanadiumschlacken und den Import von als schwierig geltenden Trägern des Elements wie etwa Steinkohle zurück - ein Schritt, der die Prozessabläufe im Land umweltfreundlicher und effizienter gestalten soll.
Solange es bei der Aufbereitung dieser wichtigen Vanadiumquellen keine technischen Fortschritte gibt, muss der gestiegene Bedarf aus Erzen gedeckt werden, wie etwa aus den vanadiumreichen Titanomagnetiten des Maracás Menchen-Vanadium-Tagebaus im brasilianischen Bundesstaat Bahia, der 2014 die Förderung aufgenommen hatte.
Rohstoffanalysten rechnen unterdessen mit einer Wiederbelebung des Vanadiumbergbaus weltweit. Denn Versorgungsknappheit und daraus resultierende Preisvolatilität zählen zu den größten Hemmnissen für eine potenzielle elektrische Zukunft von Vanadium, die dann auch mit anderen Anwendungen des Metalls in der Automobil-und Luftfahrtindustrie sowie der Rüstung konkurriert.
Die EU-Kommission hat Vanadium derweil auf die Liste kritischer Rohstoffe gesetzt, die Materialien vereint, die besonders wichtig für die Entwicklung von High-Tech-Produkten und Innovationen sind. Ein künftiger technologischer Fortschritt wird in starkem Maße vom ungehinderten Zugang zu diesen Rohstoffen abhängig gemacht. Sie werden als kritisch eingestuft, weil sie auf europäischem Boden entweder nicht vorkommen oder - wie im Falle von Vanadium - aus wirtschaftlichen Gründen kaum abgebaut werden, etwa weil Erkundung und Erschließung anderswo auf der Welt bisher billiger waren.
Der jährliche globale Mehrbedarf an Vanadium, der aufgrund der Entwicklungen bei den erneuerbaren Energien erwartet wird, soll 2035 bei 32.000 Tonnen liegen. Das entspräche rund einem Drittel der heutigen Weltproduktion - das Segment der Elektroautos ist in dieser Schätzung allerdings noch gar nicht inbegriffen.