Venezuela: Ein Massaker, über das die westliche Welt nicht redet
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- Alte Rezepte und Verdrängung von Massakern
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Vor 30 Jahren ereignete sich der berüchtigte Caracazo, der zum Aufstieg der bolivarianischen Bewegung führte
Hunderte Tote gab es auf den Straßen von Caracas. Viele konnten nicht identifiziert werden. Auch die Zahl der Schwerverletzten ist unbekannt. Nein, das sind keine Nachrichten aus dem Venezuela unserer Tage. Es waren Meldungen vom 27. Februar 1989. Das Massaker in der venezolanischen Hauptstadt ging als "Caracazo" in die Geschichte ein.
Zuvor hatten Tausende, vor allem aus den Armenvierteln rund um Caracas, gegen massive wirtschaftliche Einschränkungen protestiert, die der gerade wieder gewählte Sozialdemokrat Carlos Andres Perez entgegen seiner Wahlversprechen verkündet hatte. Die Armen, die sowieso nichts mehr zu verlieren hatten, verließen ihre Barrios und protestierten im Zentrum von Venezuela. Dabei gingen auch viele Scheiben von Nobelläden zu Bruch. Die Polizei reagierte mit Massenrepression.
Dass heute man davon so wenig hört, ist nicht verwunderlich. Das Massaker an zum großen Teil nur mit Steinen bewaffneten Barriobewohnern von Caracas führte nicht dazu, dass die USA und die venezolanischen Nachbarländer die für die Menschenrechtsverletzungen verantwortliche Regierung für illegitim erklärten und vor einen Internationalen Gerichtshof zerren wollten.
Im Gegenteil: Die US-Regierung betonte damals, dass es umso notwendiger sei, mit der Regierung von Venezuela zusammenzuarbeiten. Nicht über Wirtschaftssanktionen und anderen Druck, sondern über Schuldenstreichungen wurden als Folge des Caracazo diskutiert.
Ohne Caracazo wäre Chavez wohl kaum an die Regierung gekommen
Zum 25ten Jahrestag des Massakers wurde von Seiten der venezolanischen Regierung versucht, einige der unbekannten Opfer zu identifizieren. Auch in den Jahren zuvor spielte das Blutbad in Caracas eine zunehmend wichtigere Rolle für die Chavez-Regierung. Das ist nicht verwunderlich.
Denn ohne den "Caracazo" wären Chavez und die bolivarianische Bewegung wohl kaum im Land so stark geworden, dass sie in den letzten zwei Jahrzehnten nicht nur die Geschichte Venezuelas, sondern ganz Südamerikas mitbestimmen konnte. Chavez wurde 1992 durch einen fehlgeschlagenen Putschversuch bekannt, wo er es schaffte, trotz der Niederlage des Coups als politischer Sieger aus der Situation hervorzugehen.
In einem Spiegel-Bericht von 1992 werden die Anfänge der bolivarianischen Bewegung gut beschrieben. Während die für den Militärputsch Verantwortlichen in Haft waren, wuchs die Unterstützung in der Bevölkerung.
In Kneipen und Geschäften hängen verbotene Flugblätter des "Movimiento Revolucionario Bolivariano" (Revolutionäre Bolivar-Bewegung), wie sich die Rebellen unter Berufung auf den Nationalhelden nennen. Als die Regierung vor kurzem die Ausstrahlung eines Fernseh-Interviews mit dem Rebellenchef verbot, kam es in Caracas zu Tumulten. "Chavez hat die Parteienherrschaft, die einzige Diktatur, die dieses Volk kennt, angegriffen. Jeder kann sich mit ihm identifizieren", sagt der angesehene Journalist Jose Vicente Rangel, der den Oberstleutnant heimlich im Gefängnis befragt hatte.
Der Spiegel, 19.10.1992
In dem Artikel wird auch eine Frage gestellt, die heute sehr aktuell erscheint:
"Wann ging Venezuela vor die Hunde?" lautet der Titel eines Bestsellers. Kein Land Lateinamerikas ist so rasch so tief gesunken wie der potentiell reiche Ölstaat.
Der Spiegel, 19.10.1992
Diese Passage ist deshalb interessant, weil heute gerne kolportiert wird, die bolivarianische Bewegung habe eine funktionierende bürgerliche Demokratie mit einigermaßen ausgeglichener Wirtschaft in den Ruin getrieben. Dabei wird eben auf die historische Amnesie gesetzt.
Das Massaker an Protestierenden gehört wohl nach diesen Vorstellungen zu einer funktionierenden bürgerlichen Demokratie ebenso dazu wie die Verarmung großer Bevölkerungsteile zu einer funktionierenden kapitalistischen Wirtschaft. Das stimmt ja auch.
Schließlich gibt es auch in Berlin demnächst Gedenkfeiern zum Märzmassaker von 1919.