"Veni Vidi Vici": Wenn Elon Musk auch noch eine geladene Waffe hätte ...
Die österreichische Komödie erzählt von maßlosen Superreichen und einem Patriarchen neuerer Schule. Für das Kino ist das ein Glücksfall.
Katzen kratzen, Hunde beißen, Menschen töten.
Ruth Klüger
"Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren" – also sprach Donald Trump, noch bevor er 2016 erstmals zum US-Präsidenten gewählt wurde.
Diese Sätze nimmt jetzt eine schwarze Komödie und Gesellschaftssatire aus Österreich ganz wörtlich: Im Mittelpunkt von Julia Niemanns und Daniel Hoesls "Veni Vidi Vici" steht ein Superreicher, der gern am Morgen mit dem Jagdgewehr auf Passanten Jagd macht.
Warum? Weil er es ungestraft kann.
Um dieses Gefühlssetting geht es in der Satire. Der Film führt einen Typus vor, der unsere Demokratie gefährdet und nach persönlichen Launen und Begierden manipuliert, und der uns nur allzu bekannt vorkommt: An Elon Musk, Jeff Bezos und eben Donald Trump und ihre europäischen Handlanger darf man nicht nur denken, man soll es.
Mord ist sein Hobby
Amon Maynard ist ein Patriarch neuer Schule: Er kennt die ungeschriebenen Regeln der Achtsamkeitsgesellschaft, und er weiß, wie man sich korrekt benimmt, ohne irgendwo Anstoß zu erregen. Keinem Tier würde Amon etwas zuleide tun. Menschen allerdings schon.
Denn die Work-Life-Balance ist schließlich wichtig. Und für diese, also zur Entspannung, geht dieser amoralische Superreiche am Morgen in Joggingklamotten auf die Jagd. Eine Jagd nach Menschen.
Seine Beute in einem Spiel auf Leben und Tod sind beliebige Personen: Radfahrer, Passanten, am liebsten Obdachlose und Sans Papiers. Der Butler begleitet ihn und fungiert als Tatortreiniger. Denn der Chef macht sich die Hände natürlich nicht selbst schmutzig. Dann fährt der Butler seinen Chef zur Arbeit.
Amon, dessen Vornahme vielleicht doch nicht ganz zufällig an Amon Göth erinnert, der als Schlachter des Krakauer Gettos und KZ-Kommandant von Plaszow im Spielberg-Film "Schindlers Liste" zu schillerndem posthumem Schurken-Ruhm gekommen ist, ist sich sicher, all dies straffrei machen zu können. So wie alles andere, was er möchte. Warum? Weil er es kann.
Demokratie und Exzess
Das "Realitätsprinzip" (Jacques Lacan) mit seiner Möglichkeit der Enttäuschung ist nicht für alle gleich. Es ist für einen solchen Menschen ein anderes.
Um dieses Gefühlssetting geht es in diesem Film, um die Welt von Multimilliardären, die gerade unsere Demokratie unterhöhlen und nach ihren Gelüsten umgestalten – weil ihnen nichts entgegengesetzt wird oder werden kann.
Der Film verurteilt das nicht, er schildert die Psyche und die institutionellen Mechanismen, die ihr Raum geben und ihre Exzesse ermöglichen.
Amons Frau Viktoria ist mit ihrem entwaffnenden Lächeln für die PR und die öffentlich-mediale Außenwirkung zuständig und das Bilderbuchglück in der Öffentlichkeit. Auch ihr Beruf als Anwältin der Erniedrigten und Beleidigten hilft dabei, wie die zwei kleinen, nicht-weißen Adoptiv-Kinder "mit Migrationsbiografie", die das Bild der glücklich-diversen Familie perfektionieren.
Das Ehepaar liest die rechtslibertäre Philosophin Ayn Rand und hört gern Mozart. Ihre älteste Tochter, die 13-jährige Paula, ist ganz das Kind ihrer Eltern. Sie erzählt die Ereignisse im Film aus dem Off und bringt uns die "schweren Entscheidungen" näher, die ihr Vater treffen muss.
Grausamkeit ist Lustgewinn
Man lernt schnell, auch im Publikum: Alle wissen, was sie tun. Grausamkeit ist Lustgewinn aus dem Leiden der anderen. Mehr oder weniger sind wir alle verführbar, Mitmenschen zu quälen.
Geld ist kein Selbstzweck. Sondern die Macht des Geldes ist die Möglichkeit, sich freizukaufen von Schuld und Rücksicht.
Daniel Hoesl und Julia Niemann – die zum zweiten Mal in Co-Regie arbeiten – machen aus seiner Faszination für die Welt der oberen Zehntausend kein Hehl und scheuen auch vor Grenzüberschreitungen nicht zurück. Was manche im Publikum als Zumutung empfinden werden, ist für das Kino ein Glücksfall.
Zynismus und Menschenverachtung darf man dem Film nicht vorwerfen. Wer das tut, verwechselt das Thema mit der Haltung der Filmkünstler. Hier ist alles gewissermaßen in Anführungsstrichen gefilmt.
Die Regisseure knüpfen in dieser Arbeit an Strömungen im aktuellen europäischen Autorenkino an, wie die Filme ihres Landsmanns Ulrich Seidl, der diesen Film produziert hat. Ebenso an den Schweden Ruben Östlund und dessen bürgerliche Selbstzerfleischungssatiren "The Square" und "Triangle of Sadness". Und an den griechischen Solitär Yorgos Lanthimos.
Der beste "Safe Space" ist immer noch das Bankkonto
"Most Dangerous Game" hieß 1932 ein Film der späteren "King Kong"-Macher Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack, der berühmt wurde, aber dann doch im Schatten des Riesenaffen vergessen. Das "Spiel" ist die Menschenjagd eines Reichen.
Dieser Pulp-Stoff und die in ihm liegenden Motive leviathanischer Allmacht, Cäsarenwahns und des König-Midas-Syndroms werden in diesem Film zeitgemäß und sozusagen "achtsam" variiert. Der beste "Safe Space" ist immer noch das Bankkonto eines Multimilliardärs und die Macht, die es ihm verleiht.
Wer müsste bei solchen mythischen Geschichten nicht auch an Donald Trump denken. Wie König Midas lebt er buchstäblich in einer goldenen Welt. In jeder Hinsicht ein Glücksritter ist er aber geblieben, der immer oben schwimmt und von dem die Welt heute nicht weiß, was seine Pläne, die jetzt eben die ganze Welt betreffen, sein werden.
Auch der Titel "Veni Vidi Vici" geht auf einen Machtmenschen zurück, der Grenzen nicht anerkennen wollte und sie für sich selbst neu definiert hat, auf den berühmten Ausspruch von Julius Caesar zurück: Ich kam, sah und siegte. Es ist dies das Siegergefühl eines Menschen, der glaubt, dass die Welt ihm gehört und er unbesiegbar ist.
Die echten Superreichen morden am Schreibtisch
Der einzige Einwand, den man gegen diese Geschichte womöglich erheben könnte, ist der, dass sein Bild des mordenden und über reale Leichen gehenden, real blutbesudelten Superreichen am Ende doch gar nicht so schwarz-bitterbös, sondern allzu idealistisch ist.
Denn die wahren Schurken sind nicht die, die zur Waffe greifen, es sind die Schreibtischtäter, die mit einer Unterschrift, einem Anruf oder einer Banküberweisung nicht über einzelne Leichen gehen, die dann auch nicht weggeschafft werden müssen. Sondern sie gehen über Leichenberge. Darunter tun sie es gar nicht.
Anklage unserer aller Dekadenz
In der Geschichte von König Midas wusch sich dieser am Ende in einem Fluss rein und verwandelte sich zurück in einen Menschen, der auch soziale Verantwortung trägt. Auch dieser Film endet an einem Fluss. Hier fällt der letzte Schuss des Films.
Dieser Film ist ein Spiegelbild der Privilegien der Wohlstandsgesellschaft und der faktischen Unberührbarkeit der Reichen und Mächtigen dieser Welt. Es ist bildschön und stilvoll gefilmt.
Weitwinkelaufnahmen halten auf Distanz und formulieren eine sarkastische Anklage unserer aller Dekadenz, eine Anklage des alltäglichen Whitewashing durch Achtsamkeits- und Diversitätsrhetorik; aber sie spielen auch wie ihre Figuren mit der Lust am Verbotenen – auch der klammheimlichen des Publikums.
Insofern ist diese herausragende Komödie aus Österreich ein Film, der uns alle in die Verantwortung nimmt.