Verabschiedet sich Deutschland vom Informationsfreiheitsgesetz?

Dies wäre ein Verstoß gegen UN-Menschenrechte; nicht nur in Europa, auch international ist Deutschland Nachzügler in Sachen Informationsfreiheit

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Beobachter wundern sich schon seit längerem, wo wohl der Entwurf für das Gesetz zur Informationsfreiheit geblieben ist. Die Äußerungen zum Schicksal Gesetzes, das einst Teil der rot-grünen Koalitionsvereinbarung war, werden denn auch immer fatalistischer. Nun meldete in der jüngsten Ausgabe, der Entwurf sei "in der Ressortabstimmung versandet". Doch mit der Aufgabe des Gesetzes droht Deutschland auch eine Klage, da es gegen das UN-Menschenrecht auf Informationszugang verstößt. Doch nicht nur das: Seit Jahren ignorieren deutsche Regierungen auch entsprechende Empfehlungen des Europarates.

Vor allem der Widerstand aus dem Wirtschafts- und dem Finanzministerium, so die ZEIT, sei daran schuld. Das Innenministerium selbst würde wie auch die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International das Gesetz begrüßen, da es die Transparenz in der Verwaltung erhöht und als wirksames Mittel zur Korruptionsbekämpfung gilt.

In einer internen Stellungnahme gibt allerdings das SPD-geführte Bundesfinanzministerium zu bedenken, dass fiskalisches Handeln grundsätzlich ausgenommen werden müsse. Finanzminister Hans Eichel mahnte zudem, dass die Gebühren für eine Akteneinsicht anders als vom Bundesinnenministeirum geplant "in voller Höhe und kostendeckend erhoben werden". Offensichtlich sieht er in der Prävention von Korruption keinen Kostenfaktor.

Kronzeugenregelung besser als Informationsfreiheitsgesetz?

Auch die SPD scheint sich innerlich bereits vom Gesetz verabschiedet haben, da sie im Kampf gegen die Korruption auf die Kronzeugenregelung setzt. Dies halten jedoch die Grünen für rechtsstaatlich bedenklich. "Es wäre ein schmutziger Deal des Rechtsstaates mit Straftätern", zitierte die "Rheinische Post" den innenpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Cem Özdemir. Er äußerte auch Zweifel an der Effektivität der Regelung: Die Ergebnisse der bis 1999 geltenden Kronzeugenregelung hätten "nichts gebracht".

Struck hatte angekündigt, beim geplanten bundesweiten Anti-Korruptions-Register schärfere Sanktionen für Bestechlichkeit, eine begrenzte Kronzeugenregelung und Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingeführt werden sollten. Mit dem Register ist es der SPD offenbar, anders als beim Informationsfreiheitsgesetz, recht eiligt: Es soll noch vor der Bundestagswahl eingerichtet werden.

Özdemir mahnte die SPD, "etwas mehr Interesse für das in unserem Koalitionsvertrag vorgesehene Informationsfreiheitsgesetz" aufzubringen. Denn das Gesetze gäbe bei Bund, Ländern und Kommunen jedem Bürger die Möglichkeit, selbst etwas gegen Korruption zu tun. Er forderte, dass Bürger auch Einsicht in Ausschreibungsakten erhalten sollten.

Luxemburg, die Schweiz, Kroatien, Weißrussland und Jugoslawien (Montenegro, Serbien) beraten derzeit über Informationsfreiheitsgesetze. Falls diese Staaten die Verabschiedung noch 2002 über die Bühne kriegen, wäre Deutschland am Ende dieses Jahres das einzige Land in Europa ohne umfassende Informationsfreiheit). Laut David Banisar von der US-Bürgerrechtsorganisation EPIC verfügen weltweit immerhin 40 Staaten über eine entsprechende Gesetzgebung.

Immerhin könnte man nun noch auf Bundestagspräsident Wolfgang Thierse setzen, der die Verabschiedung noch für die laufende Legislaturperiode erwartet, wäre da nicht der sehr interesssante Vorstoß eines deutschen Bürgers aus dem Informationsfreiheits-verwöhnten Norwegen:

Verstößt Deutschland gegen UN-Menschenrechte?

Telepolis-Leser Walter Keim, der aus dem nordischen Trondheim als engagierter Netizen seit Monaten für Informationsfreiheit in Deutschland per Internet wirbt, bereitet zur Zeit per Internet eine Klage bei den Vereinten Nationen gegen Deutschland vor. Dabei beruft er sich auf Artikel 19,2 des "Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR)" vom 19. Dezember 1966, dem auch Deutschland 1973 beigetreten ist:

"Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben."

Dass sich das Recht auf die Informationssuche und -zugang auch auf Behörden bezieht, zeigt sich in folgendem UN-Bericht (UN Doc. E/CN.4/1999/64) von 1999. Darin heißt es eindeutig:

"[T]he Special Rapporteur expresses again his view, and emphasizes, that everyone has the right to seek, receive and impart information and that this imposes a positive obligation on States to ensure access to information, particularly with regard to information held by Government in all types of storage and retrieval systems - including film, microfiche, electronic capacities, video and photographs - subject only to such restrictions as referred to in article 19, paragraph 3, of the International Covenant on Civil and Political Rights."

Artikel 19,3 schließt jedoch keineswegs den Informationszugang aus, sondern räumt ein, dass dieser eingeschränkt werden kann aus Gründen der "Achtung der Rechte oder des Rufs anderer" sowie des "Schutzes der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Volksgesundheit oder öffentlichen Sittlichkeit."

Nachdem Keim vom Bundesinnenministerium erfahren hatte, dass es mit der Verabschiedung in dieser Legislaturperiode vermutlich nicht mehr klappt, reichte er am 21. Dezember 2001 eine Petition im deutschen Bundestag ein. Jetzt, vier Monate später, hat er noch immer keine Antwort erhalten.

Den Gang nach Karlsruhe vor das Bundesverfassungsgericht hielt Keim zunächst für aussichtslos, da die deutsche Verfassung in Artikel 5 zwar die Meinungsfreiheit schützt, doch das Recht auf Information ist auf "allgemein zugängliche Quellen" beschränkt. Doch angesichts dessen, dass die Regierung nun das Informationsfreiheitsgesetz auf Eis gelegt hat, will er nun doch noch in diesem Sommer eine Klage einreichen. Das Landgericht Rheinland-Pfalz hat in dieser Frage sogar bereits entschieden: Demnach darf das Gericht keinen Zugang zu Dokumenten gewähren, da dies nur dem Parlament zustände. Keim ernüchtert:

"Es scheint, dass Gerichte nach Gesetzen verlangen, während deutsche Parlamente nicht einmal die Frage kommentieren, ob das Menschenrecht der Informationsfreiheit verletzt wird."

Keim wandte sich auch an die Europäische Kommission, die sich in einem Schreiben an ihm für die Informationsfreiheit in den Mitgliedstaaten - zu Recht - nicht verantwortlich zeigte. Sie wies jedoch auf eine bislang von Deutschland ignorierte Empfehlung Rec(2002)2 des Europarates hin, die vom Ministerkommitee angenommen wurde. Auch Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention enthält Informationsfreiheit nicht.

Aber der Europarat hat 1981 seinen Mitgliedsstaaten die Informationsfreiheit empfohlen. Fast alle Staaten in Europa (außer Deutschland) sind dieser Empfehlung (81) 19 des Europarates zur Informationsfreiheit gefolgt. Keim fand heraus, dass Deutschland nicht nur die Empfehlung zum Thema Informationsfreiheit ignorierte, sondern den Text auch entgegen aller Vereinbarungen nicht einmal ins Deutsche übersetzte. Ein entsprechender Hinweis an Außenminister Joschka Fischer blieb unbeantwortet.

Eine neue Empfehlung Recommendation Rec(2002)2 beschloss der Europarat am 21. Februar 2002. Die Organisation ARTICLE 19 ist der globalen Kampagne für freie Meinungsäußerung verpflichtet und hat im Juli 2001 bei einer Untersuchung des Informationsfreiheitsrechts in Asien herausgefunden, dass die Informationsfreiheit weitgehend als Menschenrecht anerkannt wird:

"The rapid proliferation of freedom of information laws among IGOs, and in countries in all regions of the world, is a dramatic global trend and one of the most important democratic developments of recent times. Freedom of information, including a right of access to information held by public bodies is now widely recognised as a fundamental human right, most commonly as an aspect of the right to freedom of expression."

Informationsfreiheit bewährtes Instrument bei Korruptionsbekämpfung

Auch die Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD) dringt nun darauf, den Entwurf eines Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) schnell in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen und noch vor der Sommerpause zu verabschieden. Der DVD-Vorsitzende Thilo Weichert erinnerte daran, dass sich beispielsweise in Thailand ein Informationsfreiheitsgesetz bei der Bekämpfung einer korrupten und obrigkeitsstaatlichen Verwaltung seit fünf Jahren bewährt hat. In anderen westlichen Staaten gibt es dieses bürgerrechtliche Korrektiv schon seit Jahrhunderten. Warum also sollte die Regierung das Rad mit einem Anti-Korruptions-Register neu erfinden?

Weichert kritisierte den Umstand, "dass um einen Entwurf, der die amtliche Geheimniskrämerei abschaffen will, so lange Geheimniskrämerei geübt wurde" als "gewaltigen Geburtsfehler". Er erinnert aber auch an Mängel im Entwurf: So mindere der generelle Vorrang "abweichender Vorschriften" die Wirkungsweise des Gesetzes. Auch die Ausnahmevorschriften vom Informationszugang wie etwa die "Belange der inneren und äußeren Sicherheit", die "gesetzlich geregelten Geheimhaltungspflichten" oder Beeinträchtigung "fiskalischer Interessen" seien "viel zu weit gefasst" und gäben der Verwaltung immer einen Vorwand, sich bürgerlicher Kontrolle zu entziehen.

Angesichts der "absolut unsinnigen Einwände" des Bundesfinanz- und des Wirtschaftsministeriums, wonach ganze Verwaltungen mit dem IFG lahm gelegt würden, könne nur die Parole gelten: "Raus aus der Verwaltung mit dem Entwurf und rein in die Gesetzgebung". Im öffentlichen Gesetzgebungsverfahren müssten und würden die Hasenfüßigkeiten der Verwaltung vor dem mündigen Bürger dann herausgestrichen werden.