Verbaler Antikapitalismus im Sonderangebot

Mit Antikapitalismus kann man in diesen Tagen vieles bemänteln - auch einen handfesten deutsch-französischen Streit um den Einfluss in der EU

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Peter Sodann, der Zählkandidat der Linken für die Bundespräsidentenwahl, musste viel Kritik anhören, als er in einem Interview erklärte, dass er als Bundespräsident den Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann verhaften hätte, auch wenn er dann wegen Amtsanmaßung gefeuert würde. Von der Partei, die ihn aufstellte, bekam Sodann Rückenstärkung. Der Schauspieler und Kabarettist war mit seinen Äußerungen, die er nachher gar nicht so Ernst gemeint haben will, sehr nahe an der gegenwärtigen Stimmung. Verbale Kapitalismuskritik ist in diesen Tagen angesagt. Und Bankchef Ackermann ist dabei die erste Adresse.

Mögen es auch die Wenigsten äußern, so werden viele Politiker in diesen Tagen wie Sodann denken. Denn Ackermann hat sich in diesen Tagen mit seinen kritischen Bemerkungen zum Bankenrettungsplan, an dessen Ausarbeitung er selbst mit beteiligt war, keine Freunde gemacht. Selbst sein Vorschlag zur Güte, in diesem Jahr der Krise auf einen Bonus seiner Bank zu verzichten, wurde als arrogant kritisiert. Zwar nicht in der Ackermann-Bank aber in der bundeseigenen Bank für Kreditwirtschaft (KfW) fand heute eine Polizeirazzia statt. Grund ist die umstrittene Überweisung von über 300 Millionen an die schon insolvente US-Investmanbank Lehmann Brothers.

Eine solche Transaktion hat in normalen Zeiten keinen Polizeieinsatz zur Folge, höchstens eine Misstrauenserklärung der Aktionäre. Aber was ist schon normal in diesen Zeiten der Krise? Ackermann zumindest dürfte über die Vorgänge bei der KfW mehr beunruhigt sein, als über Sodanns Erklärungen.

Peitsche für die Schweiz

Auch die Schweiz ist mittlerweile in den Focus des neuen deutschen Verbal-Antikapitalismus geraten. Finanzminister Peer Steinbrück, der bisher nicht gerade als Populist verschrien war, äußerte sich auf der Konferenz der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Paris wenig diplomatisch gegenüber unserem südlichen Nachbarn.

Er nannte das Land eine Steueroase, die auf die Schwarze Liste der OECD gestellt werden soll. Dann fügte er noch am Rande einer verbalen Kriegserklärung hinzu: „Statt Zuckerbrot müssen wir auch zur Peitsche greifen." Die Schweiz, die schon aus historischen Gründen auf solche Töne aus Deutschland allergisch reagiert, bestellte den deutschen Botschafter ein. Da dürfte der immer als Populist gescholtene Oskar Lafontaine neidisch sein. Er hatte es zumindest in seiner kurzen Zeit als Bundesfinanzminister nicht geschafft, einen solchen diplomatischen Eklat zu erzeugen.

Streit um EU-Wirtschaftspolitik

Nicht nur im Fall Sodann und Steinbrück ist die Linke in diesen Tagen nicht unbedingt die Speerspitze der Kapitalismuskritik Eine von der Parteilinken und Gewerkschaftern favorisierte Beschlussvorlage zur Bankenverstaatlichung wurde erst einmal vertagt. Man wolle den parteiinternen Diskussionsprozess nicht vorgreifen, hieß die diplomatische Begründung für den Versuch, sich mit zuviel sozialistischer Lyrik nicht mögliche Bündnisse mit der SPD zu verbauen.

Da scheint der französische Präsident weniger Skrupel zu haben. Im Europäischen Parlament warb er mit Nachdruck für eine europäische Wirtschaftspolitik und dabei scheute er sich auch nicht, Staatsfonds zur Rettung europäischer Unternehmen in die Diskussion zu werfen.

Er wollte also im Grunde die Maßnahmen aus dem Bankensektor auch auf die übrige Industrie ausdehnen. Dabei geht es aber Sarkozy, wie den Meisten, die in diesen Tagen über Verstaatlichung reden, nicht um Klassenkampf und Sozialismus. Es geht ihm vielmehr darum, die Krise zu nutzen, um eine alte Idee zu revitalisieren: eine europäische Wirtschaftsregierung. Dafür haben in Frankreich schon seit den 90er Jahren Politiker der unterschiedlichen Parteien geworfen und trafen dabei auf den Widerstand deutscher Politiker. Prompt hat auch in diesen Tagen die Bundesregierung in Gestalt von Wirtschaftsminister Glos Sarkozys Pläne besonders vehement zurück gewiesen.

Die FAZ brachte die Differenzen es auf den Punkt: „Die französische Forderung nach einer europäischen Wirtschaftsordnung prallte früh auf deutsches Misstrauen. Paris wolle die gerade aus der Taufe gehobene Europäische Zentralbank bevormunden und einem politischen Diktat - vermutlich auf Französisch – unterwerfen. ...“ An anderer Stelle wird ein Sarkozy-Berater mit dem Satz zitiert: „Europa könne sich nicht zeitlebens darauf konzentrieren, die Deutschen von ihrer traumatischen Erfahrung mit der Geldentwertung in den 20er Jahren zu heilen“. Etwas weniger therapeutisch aber wahrscheinlich näher an der Realität ist der FAZ-Autor mit seiner Einschätzung: „Nicolaus Sarkozy, der amtierende EU-Präsident, will die allgemeine Verunsicherung über die internationale Finanzkrise nutzen, um die deutsche Blockade in Europa zu brechen“.

Man müsste natürlich hinzufügen, dass die deutsche Politik diesen Versuchen hinhaltenden Widerstand entgegensetzt hat und die eigenen Interessen in Europa wahren will. Die sieht Deutschland vor allem in der Politik der Europäischen Zentralbank gewahrt, für die schließlich die Deutsche Bundesbank Modell stand. Dagegen will Frankreich die Europäische Wirtschaftsregierung setzen, die die Eurozone von der Fixierung auf die Geldstabilität befreien und dafür Aktionen zur Ankurbelung der Wirtschaft fördern soll. Insofern kommt die französische Forderung keynesianischen Forderungen nahe, die ebenfalls den Staat als strukturierendes Element gegen die ominösen Marktkräfte ins Feld führen.

So wird der Kampf zwischen Deutschland und Frankreich durchaus unter dem Banner des Kampfes für oder gegen mehr Einfluss des Staates auf die Wirtschaft geführt. Es ist nicht verwunderlich, dass in Zeiten der Bankenkrise, wo selbst überzeugteste Neoliberale nach dem Staat riefen, die französischen Vorstellungen an Plausibilität gewinnen. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat sich schon hinter Sarkozys Wirtschaftsforderungen gestellt.

Doch schon formieren sich die Gegenkräfte. Unter dem Motto Haltet den Staat gibt ein FAZ-Kommentator zu bedenken: „Die Politik hat verantwortungsbewusst gehandelt, als sie mit erheblichen Staatseingriffen das Finanzsystem stabilisierte.... Doch über die notwendige Stabilisierung des Finanzsystems hinaus zeigte die Politik einen beunruhigenden Tatendrang. Das wäre Industriepolitik zu Lasten anderer Länder. Es wird höchste Zeit, dass die Politiker sich wieder mäßigen“. So wird versucht, nicht nur Sarkozy deutlich zu machen, dass die Zeit für Wirtschaftsschelte langsam abläuft.