Verbrechen im Namen Allahs
Ein Blick in düstere 30 Jahre Islamische Republik
In der Regel muss ein Coup d'État innerhalb von 24 Stunden die Lage unter Kontrolle haben, ansonsten gilt er als gescheitert, wie eine Faustformel lautet. Zwei Monate nach den gestohlenen Wahlen wagt es das Regime immer noch nicht, die Oppositionsführer Mousavi und Karubi zu verhaften. Allerdings wird seit einigen Tagen in regierungsnahen Blättern und seitens der radikalen Mullahs und Kommandeure der Revolutionswächter (Sepah-e Pasdaran) verstärkt ihre Verhaftung (auch Khatamis) verlangt. Die Oppositionsführer hatten längst ihre Beschwerde gegen den Wahlbetrug mit stichhaltigen Argumenten und Beweisen an den Wächterrat geschickt.
Unterdessen hat Mehdi Karubi seinen Brief an Rafsandschani, den er ihm 10 Tage zuvor geschickt hatte, veröffentlicht. In diesem erschütternden Brief, der sich auf Aussagen ranghoher Behördenvertreter stützt, beschuldigt Karubi die Behörden, zahlreiche junge Männer und Frauen dermaßen vergewaltigt zu haben, dass sie schwere Verletzungen, insbesondere an den Geschlechtsorganen, erlitten hätten. Die jungen Leute verstecken sich seitdem völlig verstört und traumatisiert zu Hause, starren die Wand an und sind kaum ansprechbar. Solche Praktiken sind jedoch fast so alt wie die Islamische Republik selbst. Sie übertreffen die Gräueltaten des Schah-Regimes bei weitem.
Der Gottesstaat barbarischer als das Schah-Regime
Zieht man den Zeitkontext heran, wie es jeder Sozialwissenschaftler zu tun pflegt, erscheinen die Verbrechen des Schah-Regimes gegenüber denen der Mullahs als ein Nichts. Die 60er und 70er Jahre waren das Zeitalter der Diktaturen, die in Ermangelung an modernen Kommunikationsmitteln (Internet, Handys etc.) und des Bewusstseins für Menschenrechte relativ freie Hand zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung hatten.
Der im Iran tätige Menschenrechtler Emad Edin Baghi, der Gründer des „Vereins für Verteidigung der Rechte der Gefangenen“ gibt in seinem 2003 erschienenen Buch „Untersuchung der Iranischen Revolution - die Tragödie der Demokratie im Iran“ eine interessante Statistik an. Zwischen 1963 (dem Jahr der Verbannung Ayatollah Khomeinis) bis zum 11. Februar 1979 (d. h. bis zum Sieg der Revolution) seien im Iran insgesamt 3.164 Menschen Opfer des Pahlawi-Regimes geworden. Der Menschenrechtler nimmt hierbei Bezug auf die Statistik der staatlichen Märtyrer-Stiftung (Bonyad-e Schahid). Die Zahl der Opfer beim „Massaker“ am Dschaleh-Platz am 8. September 1978 gibt Baghi, wiederum in Anlehnung an die Statistik der Stiftung, mit 64 an.
Revolutionäre und die Mullahs hatten damals von Tausenden gesprochen. In den ersten zwei Jahren nach der Revolution, d. h. vom 11. Februar 1979 bis zum Beginn des Iran-Irak-Krieges am 22. September 1980 sind mehr Menschen vom neuen Regime hingerichtet oder getötet worden als in der gesamten Periode zwischen 1963 bis zum 11.Februar 1979. Emad Edin Baghi ist selbst ein Altrevolutionär und als Ex-Mitglied der Revolutionswächter ein Veteran des Iran-Irak-Krieges (1980-88).
Der zweite Pahlawi, Mohammad Reza Schah
Nach dem erfolgreich von CIA und MI6 initiierten Putsch im August 1953 begann der Schah, seine Diktatur, gestützt auf das Militär und den Geheimdienst SAVAK, zu verfestigen. Das berüchtigte Teheraner Evin-Gefängnis war das Sinnbild für menschenunwürdige Praktiken, physische und psychische Folter an politischen Gefangenen. Berichte von häufigen Vergewaltigungen und massiver, zum Tod führender Folter sind jedoch nicht bekannt.
In der Ära der Monarchie konnte man politische Schauprozesse an der Hand abzählen. Legendär bleibt der Prozess gegen den oppositionellen Dichter Khosro Ghole-Sorkhi im Februar 1974. Ghole-Sorkhi verwandelte die live im Fernsehen übertragene Verhandlung vor dem Militärgericht zu einem Prozess gegen das Schah-Regime. Das ist für die heutige Zeit, wo die Gefangenen in Folge der menschenunwürdigsten Folter von den „Verhörern“ verfasste Geständnisse ablesen, ein unvorstellbarer Akt.
Einige politische Gefangene, wie Ayatollah Mahmoud Taleghani (gest. 1979) und der erste Premier der Islamischen Republik, Mehdi Bazargan (gest. 1995), genossen sogar den Respekt ihrer Peiniger. Im August 1978, als der Zug der Revolution unaufhaltsam fuhr, aber das kaiserliche Regime noch keineswegs in akute Gefahr geraten war, begann das Schah-Regime, nach und nach die Führungselite der Opposition freizulassen. Zu ihnen gehörten jene, die kurz darauf die Organisation und Führung der Demonstrationen übernahmen. Etliche von ihnen, wie Ayatollah Taleghani (freigekommen im November 1978), Rafsandschani und Khamenei, bildeten mit anderen den Revolutionsrat. Alle Freigelassenen blieben bis zur letzten Stunde des alten Regimes auf freiem Fuß.
Nach den großen Demonstrationen an den beiden schiitischen Gedenktagen Tasua und Aschura im Monat Moharam 1978 (10. und 11. Dezember) mit mehr als 3 Millionen Teilnehmern schlug der Teheraner Polizeichef Moulawi Taleghani den Armee- und Polizei-Kommandeuren die Verhaftung von 300 führenden Oppositionellen und ihre Verbannung auf die Insel Kisch vor. Der Vorschlag wurde mehrheitlich angenommen. Die Kommandeure des Heeres (Generalleutnant Gholamali Badrei), der Luftwaffe (Generalleutnant Amir Hossein Rabii) und der Marine (Admiral Kamal Habibollahi) wurden beauftragt, die Vorkehrungen für den Abtransport zu treffen. Die Aktion wurde jedoch vom Schah persönlich gestoppt. Hierbei darf die Rolle der Carter-Administration nicht ganz ausgeblendet, aber auch nicht überbewertet werden (Verschwörungsdenken und falsche Wahrnehmung der Realität).
Der franzosische Philosoph Alexis de Tocqueville schreibt: „Der gefährlichste Augenblick für eine schlechte Regierung ist der, wo sie sich zu reformieren beginnt. Nur ein großes Genie vermag einen Fürsten zu retten, der es unternimmt, seinen Untertaten nach langer Unterdrückung Erleichterung zu gewähren.“ Der Schah machte den Fehler, sein Regime zu spät und zu zögerlich zu reformieren. Kurz bevor die Revolution ihren Höhepunkt erreichte, flog er mit einem Hubschrauber über die Demonstranten in Teheran. Nach der Rückkehr stieg er aus dem Helikopter, trat wütend gegen das Fahrgestell und warf seinen Männern vor, gesagt zu haben, es handle sich nur um 10 bis 15 Unzufriedene. Im Fernsehen sagte er, er hätte die „Stimme Eurer Revolution gehört“.
Die von ihm getroffenen Maßnahmen der Liberalisierung, wie Einführung der Pressefreiheit, Freilassung der politischen Gefangenen, Abschaffung des SAVAK, nützten nichts mehr, sondern ermutigten eher die Revolutionäre. Der Schah ernannte Anfang Januar 1979 Schapour Bakhtiar zum Premier und befahl der Armee, dem Premier zu gehorchen und kein Blutbad anzurichten. Bakhtiar erklärte der Armee stets, dass es sich um ein politisches und kein militärisches Problem handele. Die Kommandeure überbrachten Berichte über Waffenlager in den Moscheen und Angriffe auf Kasernen, aber der Premier gab keinen Befehl zum Einsatz. Ein Blick in die Archive der damaligen beiden großen Teheraner Zeitungen belegt das. Weil der Revolutionsführer ein hoher Geistlicher war und Freiheit und Unabhängigkeit versprach, verstärkte sich die Desertion unter den Soldaten und Offizieren.
In keinem Land der Welt lässt eine Regierung zu, dass der Oppositionsführer (Ayatollah Khomeini) auf dem Höhepunkt der Revolution ins Land zurückkehrt. Der letzte dieser Art war der philippinische Oppositionsführer Benigno Aquino im August 1983. Aquino hat es nicht einmal bis zur Mitte der Treppe am Flugzeug geschafft, als er im Kugelhagel durchlöchert wurde. Am 1. Februar 1979 kehrte Ayatollah Khomeini zurück. Zuvor hatte der Schah am 16. Januar das Land verlassen: „Wenn das Volk uns nicht mehr will, ist es besser, zu gehen“, sagte Irans Kaiserin kurz vor dem Abflug.
In der Ära des Schah-Regimes fanden nur eine Handvoll politischer Gefangene unter Folter den Tod, darunter zwei Kleriker, Ayatollah Mohammad Reza Saeedi (1972) und Ayatollah Hossein Ghafari (1975). Der Rest kam wohlbehalten aus dem Gefängnis frei, und soweit sie wegen „Meinungsverschiedenheiten“ nicht eliminiert wurden (Ayatollah Hassan Lahuti 1981), leben sie heute noch im gesegneten Alter in gutem gesundheitlichen Zustand. Die meisten Verantwortlichen des Schah-Regimes, Zivilisten und Militärs, überlebten die Revolution nicht, soweit sie nicht rechtzeitig aus dem Land flohen.
Verbrechen im Namen des Islam
„Wir werden nicht die Fehler des Schah-Regime machen“, sagte Ali-Akbar Haschemi-Rafsandschani auf dem Höhepunkt seiner Macht in den 80er Jahren. Nach der Ausschaltung der religiös-liberalen Altrevolutionäre um Premier Bazargan und Präsident Bani-Sadr, begleitet von blutigen bewaffneten Auseinandersetzungen mit den oppositionellen Volksmodschahedin, begann das schwärzeste Jahrzehnt der neuzeitlichen Geschichte Irans.
Keine einzige oppositionelle Partei und Organisation, auch nicht die kommunistische Tudeh-Partei, die das Regime eigentlich akzeptiert und gegen den „Imperialismus“ unterstützt hatte, sind verschont geblieben. Die Mullahs haben die Gesellschaft gespalten und die Menschen bis zum Wahnsinn getrieben. Eine Fernsehsendung zeigte einen Tisch im Hof des Evin-Gefängnisses, an dem ein marxistischer politischer Gefangener mit seiner Mutter saß. Der Sohn, der von seiner baldigen Exekution wusste, flehte die Mutter um Vergebung in den letzten Stunden seines Lebens an. Die Mutter lehnte es ab und sagte: „Du hast dich gegen Imam Khomeini aufgelehnt, du verdienst den Tod.“
Zwei führende Geistliche, Ayatollah Mohammadi Ghilani und Hojatolislam Mullah Hassani haben ihre Söhne, die dann hingerichtet wurden, selbst an das Revolutionskomitee verraten. Mullah Hassani schreibt in seinen Memoiren, er habe dem Komitee den Aufenthaltsort seines marxistischen Sohnes Raschid verraten und gesagt: „Wenn er Widerstand leisten oder fliehen sollte, erschießt ihn!“ Raschid wurde verhaftet und einige Tage später hingerichtet. Er habe seine Pflicht getan und sei nicht traurig gewesen, als er von Raschids Hinrichtung erfuhr. Aber Raschid hätte den Tod nicht verdient, schließlich hätte er keinen Menschen umgebracht. „Man hat uns nicht einmal seinen Leichnam übergeben“, so Mullah Hassani. Denunzierungen von Kindern durch ihre Eltern und von Eltern durch ihre Kinder grassierten mit oft tödlichen Folgen. In den eigenen vier Wänden war man zum Teil vor den eigenen Verwandten nicht mehr sicher.
In den 80er Jahren lief die „Reue- und Geständnismaschinerie“ des Regimes an. Ihr fielen 1982 Großayatollah Kazem Schariatmadari, der einen höheren theologischen Rang besaß als Khomeini und besonders in Azerbajan über Anhänger verfügte, und Sadeq Ghotbzadeh, der Mann, den Khomeini als seinen Sohn bezeichnet hatte, zum Opfer. Was später der Führer der Tudeh-Partei, Nuradin Kianuri, seine Frau Maryam Firouz und andere über ihre Haft berichtet haben, übersteigt das menschliche Vorstellungsvermögen. Kianuri schreibt in einem erschütternden Brief an den damaligen Präsidenten Khamenei im Februar 1989: „Meine Frau wurde vor meinen Augen mit verbundenen Augen und Mund so oft an den nackten Füßen ausgepeitscht, dass sie heute noch, sieben Jahre danach, nachts vor Schmerzen kaum schlafen kann. Ich erinnere Sie daran, dass Maryam zu dem Zeitpunkt eine alte 70jährige Frau war.“
Kianuri berichtet von Gefängnishelden des Schahregimes, die eisern Widerstand geleistet hatten und in den Gefängnissen des Gottesstaates wie Schokolade geschmolzen seien. „Von mir war außer Haut und Knochen nichts mehr übriggeblieben. Ich war damals 68 Jahre alt.“ In den Gefängnissen zwang man die Inhaftierten sogar, ihre eigenen Exkremente zu schlucken.
Ein authentischer Videoclip zeigt die Verbrechen der 80er Jahre. In diesem Film wird der damalige stellvertretende Außenminister Mohammad Dschawad Laridschani bei seinem Besuch in Bonn nach dem Massaker an den politischen Gefangenen im Jahre 1988 gefragt, bei dem auf direkten Befehl Khomeinis innerhalb von drei Monaten 3.000-5.000 bereits verurteilte Gefangene hingerichtet wurden. Laridschani wird zynisch und sagt, dass er sich keine Sorgen mache, da das iranische Bevölkerungswachstum hoch sei. Laridschani leitet heute unter anderem die Menschenrechtsabteilung der Judikative.
Ein anderer authentischer Clip mit Opfern und ihren Psychiatern, der nicht für schwache Nerven bestimmt ist, enthüllt nur einige Dimensionen des Verbrechens im Namen Allahs. Großayatollah Montazei hatte bereits 1988 Khomeini einen Brief geschrieben, in dem er von unvorstellbaren Verbrechen in den Gefängnissen, darunter Vergewaltigungen der Frauen vor der Hinrichtung berichtete. Das Schah-Regime erscheine dagegen als rehabilitiert, so Montazeri.
Die Verbrechen der 90er Jahre waren nicht weniger menschenverachtend. Die Kettenmorde, der Versuch, einen Bus voll mit iranischen kritischen Schriftstellern in eine Schlucht zu stürzen und andere zahlreiche Untaten sind nur einige Beispiele. Der oben zitierte Baghi enthüllt in seinem Buch weitere Verbrechen des iranischen Geheimdienstes. Im Juni 1994 explodierte eine Bombe in den heiligen schiitischen Schreinen in Maschhad, wobei 26 Menschen starben. Für Baghi besteht kein Zweifel, dass es sich dabei um einen Akt des Geheimdienstes handelte, um der stärksten Oppositionsgruppe im Ausland, den Volksmudschahedin, die Tat anzulasten. Der Geheimdienst wollte einen jungen inhaftierten Mudschahedin-Anhänger, Mehdi Nahvi, unter Folter zum Geständnis zwingen. Nahvi war klug genug, um zu wissen, dass er mit einem Geständnis sein eigenes Todesurteil unterschrieben hätte. Er leistete Widerstand. Daraufhin wurde er mit dem Wagen des Vizeministers Saeed Emami in das dicht belebte und befahrene Teheraner Stadtviertel „Tehranpars“ gefahren. Dort gaben ihm Agenten eine Pistole mit leerem Magazin in die Hand und überzeugten ihn davon, dass man ihn fliehen lassen wolle. Als Nahvi ausstieg und weglief, forderten ihn die Beamten laut zum Stehenbleiben auf. Das Szenario, bei dem Nahvi vor aller Augen im Kugelhagel stirbt, wird im iranischen Fernsehen sehr professionell und überzeugend an den Mann gebracht.
Weiter dürfen die zahlreichen Mordanschläge gegen Dissidenten im Ausland in den 80ern und 90ern nicht vergessen werden. Lediglich infolge des weltweit aufsehenerregenden Mykonos-Attentats (1992) und des Mykonos-Urteils (1997) konnten die Iraner im Ausland etwas weniger sorgenvoll leben. Die Mullahs haben es seitdem nicht mehr gewagt, tödliche Anschläge im Ausland zu verüben. Der prominente Journalist Akbar Ghandschi berichtet, dass seinerzeit Khatamis Chefunterhändler in Nuklearangelegenheiten, Hassan Rowhani, zu ihm gesagt habe, Jacques Chirac hätte ihm gesagt, sie hätten mit ein paar AK-47- und G3-Gewehren alle iranischen Dissidenten in Frankreich getötet. Was würden sie mit der Welt anstellen, wenn sie Atombomben hätten?
Die Revolution frisst ihre eigenenen Kinder
Gegen Ende der 90er Jahre wurden altgediente Revolutionäre und Funktionäre, die sich zu Reformern entwickelt hatten, wie Abbas Abdi, einer der Studentenführer bei der Besetzung der US-Botschaft in Teheran (Nov. 1979), der Teheraner Bürgermeister Gholamali Karbasdschi, sowie Khatamis Innenminister Abdullah Nuri und andere, „Gäste“ des Evin-Gefängnisses. Die meisten haben „Geständnisse“ abgelegt, die schon damals niemand ernst nahm.
In den 70er Jahren hat der iranische Soziologe Ali Schariati (gest. 1978) zutreffend eine von Mullahs geführte Regierung beschrieben:
Der Geistliche besetzt die politischen und administrativen Posten. Mit anderen Worten heißt die religiöse Herrschaft „Herrschaft der Geistlichen über das Volk“. Eine der natürlichsten Folgen derartiger Herrschaft ist die Diktatur, weil der Geistliche sich selbst als Stellvertreter Gottes und Vollstrecker seiner Gebote auf Erden sieht. So hat das Volk kein Recht auf Meinungsäußerung, Kritik und Widerstand. Der Geistliche betrachtet sich allein aufgrund seines geistlichen Charakters, nicht aber aufgrund der Wahl durch das Volk als Führer. Er ist somit gegenüber dem Volk ein unverantwortlicher Führer, und das ist die Mutter der Diktatur. Weil der Geistliche sich als Schatten und Vertreter Gottes betrachtet, besitzt er die Gewalt über Leben, Ehre und Eigentum. Er schreckt nicht nur vor keiner Tyrannei und Aggression zurück, sondern glaubt, damit Gott zufrieden zu stellen. Obendrein erkennt er dem Widersacher und den Anhängern anderer Religionen kein Recht auf Leben zu. Er betrachtet sie als die vom Gott Verdammten, vom rechten Weg Abgekommenen, Unreine und Feinde der Religion, und so bejaht er jegliche Tyrannei gegen sie als Gottes Gerechtigkeit.
Ali Schariati: Gesammelte Werke, Band 22: Religion gegen Religion. S. 197, Jahresangabe unbekannt
Die Folterer des Regimes betrachten ihre Untat nicht als eine schlimme Sache, sondern, weil von religiöser Autorität legitimiert, als „Sawab“, eine gute Tat, die im Jenseits belohnt wird.
Die meisten Verbrechen des Gottesstaates ereigneten sich in den Jahren der Präsidentschaften von Khamenei (1981-89) und Rafsandschani (1989-97). Während letzterer einiges wieder gut zu machen versucht, scheint Khamenei den einmal eingeschlagenen Weg zu Ende gehen zu wollen.
Nach den Wahlen vom vergangenen Juni versuchen viele reformerisch gesinnte Autoren, sofern sie noch auf freiem Fuß sind, an die Schah-Ära zu erinnern und die gegenwärtigen Gräueltaten des Regimes daran zu messen, um zu sagen, dass auch der Schah es mit ähnlichen Verbrechen nicht geschafft habe. Für die meisten jener 70% der Iraner, die nach der Revolution geboren sind, müsste also das Schah-Regime genauso barbarisch erscheinen. Vielleicht wollen die Autoren mit diesem Vergleich den Hass gegen das herrschende Regime stärken. Denn die meisten von ihnen sind alt genug, um die Wahrheit zu wissen.
Der Autor dieses Beitrages beabsichtigt keine Beschönigung der Schah-Diktatur. Vielmehr geht es in diesem Essay um einen kurzen Beitrag zu einer fairen Aufarbeitung der neuzeitlichen iranischen Geschichte. Die Ära der islamischen Republik ist nicht nur die „Tragödie der Demokratie im Iran“, sondern Tragödie und Abgrund menschlicher Größe im Namen Allahs.