Verdächtige Geheimniskrämerei
US-Präsident Bush blockiert mit einer Anordnung die Einsicht in Dokumente aus der Reagan-Zeit
Nach dem 11.9. hat sich vieles verändert. Während den Geheimdiensten und Strafverfolgern in vielen Ländern größere Überwachungsmöglichkeiten eingeräumt wurden, sind in den USA auch bereits Informationen vom Netz genommen worden, die nicht nur möglichen Terroristen dienen, beispielsweise über Firmen, die mit gefährlichen chemischen Substanzen umgehen oder diese herstellen. Vor einigen Tagen hat Präsident Bush auch einigermaßen unbemerkt in den Zeiten des Krieges, der die Aufmerksamkeit bindet, durch eine "Executive Order" den Zugang zu den Archiven der Dokumente amerikanischer Präsidenten blockiert. Das betrifft vornehmlich die Archive von Ronald Reagan und George Bush. Will Präsident Bush etwas Bestimmtes verbergen?
Mit dem Freedom for Information Act (FOIA), der 1974 verabschiedet wurde, hat der amerikanische Gesetzgeber vorbildlich für eine transparente Demokratie den Bürgern den Zugang zu öffentlichen Informationen gesichert. Vorher gegangen waren der Vietnamkrieg und vor allem der Watergate-Skandal. Als schließlich Richard Nixon weiterhin versuchte, Dokumente und Tonaufzeichnungen dem Generalstaatsanwalt, der den Watergate-Skandal untersuchte, aufgrund der Immunität vorzuenthalten, wurde 1978 der Presidential Records Act (PRA) verabschiedet. Dieses Gesetz legt fest, dass alle Dokumente des Präsidenten Eigentum der Regierung sind und nicht den Präsidenten gehören. Sie müssen daher der National Archives and Records Administration (NARA) nach Ende der Amtszeit übergeben werden. Überdies garantiert das Gesetz auch nach Ablauf von 5 Jahren der Öffentlichkeit auf der Grundlage des FOIA den Einblick in alle Dokumente. Insgesamt für 12 Jahre können nach dem Ende der Amtszeit vom Präsidenten bestimmte Dokumente, die zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Wahrung von Handelsgeheimnissen oder von vertraulichen persönlichen Mitteilungen geheim bleiben sollen, gesperrt werden, dann aber ist eine Geheimhaltung nur noch nach dem FOIA möglich.
Gleichwohl prüfen die ehemaligen Präsidenten und der jeweils im Amt befindliche Präsident vor der Freigabe die Dokumente, da die Aufzeichnungen der Kommunikation zwischen dem Präsidenten und seinen Beratern sowie die zwischen Beratern zum Schutz der Privatsphäre nicht automatisch veröffentlicht werden dürfen. In einem Erlass regelte Ronald Reagan noch schnell 1989, wie die Präsidenten diesbezüglich benachrichtigt werden müssen, um ihnen dieses Privileg zu gewähren.
Bis Ende 2000 hatte die Ronald Reagan Presidential Library im kalifornischen Simi Valley von den insgesamt über 43 Millionen archivierten Seiten aus der Zeit der Präsidentschaft Ronald Reagans (1981-89) 4.5 Millionen der Öffentlichkeit meist auf Nachfrage unter Berufung auf das FOIA zugänglich gemacht. 113.000 Seiten sind aber nach dem PRA zurückgehalten worden. Die 12 Jahre sind aber abgelaufen, weswegen die NARA Präsident Bush benachrichtigte, ob Einwände gegen die Veröffentlichung weiterer 68.000 Seiten bestünden. Da dies das erste Mal war, dass Dokumente nicht mehr auf der Grundlage des PRA zurück gehalten werden können, hatte sich das Weiße Haus eine längere Zeit ausbedungen als die vorgesehenen 30 Tage, um die rechtlichen Bedingungen überprüfen zu können. Zunächst ging die Verlängerung bis 21. Juni, dann bis zum 31. August. Nachdem auch diese Frist verstrichen ist, hatte der Ausschuss für Regierungsreformen eine Anhörung angesetzt, die jedoch wegen der Anthrax-Briefe verschoben werden musste, aber schließlich am 6. November doch stattfand.
Vielleicht um daraus entstehenden Schwierigkeiten auszuweichen, ist Bush aber dem Ausschuss zuvor gekommen und hat am 1. November eine Anordnung unterzeichnet, die es ihm und den früheren Präsidenten bzw. Vizepräsidenten erlaubt, weiterhin bestimmte Dokumente für die Veröffentlichung zu sperren. Insbesondere ermöglicht die Anordnung dem im Amt befindlichen Präsidenten auch dann Dokumente eines früheren Präsidenten oder Vizepräsidenten zurückzuhalten, wenn dieser selbst nichts gegen eine Veröffentlichung einzuwenden hat. Vom Weißen Haus wurde die Anordnung wesentlich damit begründet, dass sie lediglich ein rechtlich sicheres Verfahren für die Veröffentlichung gewährleisten soll, das den Präsidenten die Wahrung ihre Verfassungsrechte garantiert. Präsident Bush versicherte, dass damit die Historiker ihrer Arbeit nachgehen können, während gleichzeitig Staatsgeheimnisse geschützt werden. Ari Fleischer, der Pressesprecher des Weißen Hauses, machte wahrscheinlich deutlicher, um was es geht, als er sagte, dass ehemalige Präsidenten oder ihre Vertreter sich nicht mehr der Konsequenzen für die nationale Sicherheit klar sein könnten.
War jedoch nach dem PRA die "vertrauliche Kommunikation" zwischen Präsident und seinen Beratern ein Grund, die Veröffentlichung zu verhindern, so spricht die Bush-Anordnung neben Dokumenten, deren Inhalte aus militärischen und diplomatischen Gründen oder solchen der nationalen Sicherheit geheim bleiben sollen, sehr viel allgemeiner von: "Presidential communications, legal advice, legal work, or the deliberative processes of the President and the President's advisors." Zudem müsse für die Einsicht in bestimmte Dokumente eine "besondere Notwendigkeit dargelegt" werden.
Die Anordnung hat bei Politikern, Historikern, Politologen und Journalisten natürlich zu Kritik geführt. Die Los Angeles Times etwa spricht von einem "Rückfall in das dunkle Mittelalter der Demokratie". Demokratische Abgeordnete forderten Bush bereits auf, den Erlass zurückzunehmen. Auch der ehemalige Präsident Bill Clinton lehnt den Erlass ab und fordert, dass die Öffentlichkeit freien Zugang zu den Dokumenten seiner Amtszeit haben soll. Die Stimmen mehren sich, gerade auch nach dem neuen Erlass der die Einrichtung von Militärgerichten für Prozesse gegen ausländische Terroristen vorsieht, dass George W. Bush zu eigenmächtig handelt und den Kongress außer Acht lässt bzw. diesen nicht ausreichend informiert. Allgemein geht die Kritik davon aus, dass die neuen Einschränkungen nichts direkt mit der nationalen Sicherheit oder der Bedrohung durch Terroristen zu tun haben. Die Möglichkeit, dass Präsidenten über die Frist von 12 Jahren hinaus den Zugang zu Dokumenten sperren können, betrifft schließlich nicht wirkliche Geheimdokumente, die nach wie vor auch über FOIA nicht einsehbar sind.
Und natürlich entstehen gerade dann Spekulationen über mögliche Geheimnisse, wenn etwas geheim gehalten werden soll. Möglicherweise könnten Dokumente aus der Reagan-Zeit etwas über Angehörige der gegenwärtigen Regierung enthalten. So waren der jetzige Außenminister Colin Powell, der Vizepräsident Dick Cheney oder der Personalchef des Weißen Hauses Andrew Card bereits unter Reagan tätig. Damals kam es beispielsweise zur Iran-Contra-Affäre, bei dem Gelder aus Waffenlieferungen an den Iran den Contras zugeschoben wurden, um deren Kampf gegen die sandinistische Regierung in Nicaragua zu unterstützen und angeblich ein zweites Kuba zu verhindern.
Auch mit Afghanistan könnte der Wunsch nach Geheimhaltung zu tun haben. Zwar hatte die Unterstützung der afghanischen "Freiheitskämpfer" schon unter Präsident Carter begonnen, doch unter Präsident Reagan und seinem Vizepräsidenten Bush, der früher Chef des CIA war, begann der Geld- und Waffenstrom nach Afghanistan. CIA und der pakistanische Geheimdienst organisierten hier die größte verdeckte Operation im Kampf gegen den "Kommunismus", bei dem zahlreiche Kämpfer aus den arabischen Ländern ausgebildet und ins Land gebracht wurden. Darunter war natürlich, wie mittlerweile allbekannt, Usama bin Ladin. Und nach dem Abzug der Russen setzte man noch bis vor wenigen Jahren auf die Taliban. In dieser Geschichte mögen einige Einzelheiten dem Sohn des damaligen Vizepräsidenten, der heute Präsident ist und just den Krieg gegen die seiner Zeit unterstützten "Freiheitskämpfer" führt, zumindest unangenehm sein. Wieweit Bush sen. in die Iran-Contra-Affäre verwickelt war, ist wie so vieles unbekannt geblieben.