Verdammt bestialische Ottonormalität

"Die Suche nach der Bestie" im Heavy Metal endet bei netten Jungs, Mädels - und Eltern!

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Früher war alles besser! Ein Gitarrensolo war noch ein Gitarrensolo, mit AC/DC-Kutte galt man sogar auf einem Rennrad als Rocker, der Dorfpfarrer schlug drei Kreuze und sprach den Eltern sein Beileid aus. Da die australische Hartrocklegende sich angeblich als "Antichrist, death to Christ" dechiffrierte trug Sohnemann nämlich das Unheil durch die Gemeinde.

Heute, dreißig Jahre später und nach den Wellen des Crossover und Death Metal, ist die Szene des Heavy Metal heterogener. Elke Nolteernsting wagt via Buch "eine faire Beurteilung" jener Musikszene, deren Anhänger weitaus bürgerlicher sind, als gemeinhin angenommen wird.

Exemplarisch für Widersprüchlichkeiten innerhalb der Szene, aber auch für deren Kompatibilität zur bürgerlichen Mitte, könnten einerseits Manowar stehen, die 1988 das Metal-Matcho-Klischee überzeichneten und sangen:

Weib, sei meine Sklavin, das ist deine Lebensberechtigung (...), dein Köper gehört mir (...), knie nieder vor mir, besorg es mir.

Andererseits sagt der Ex-Mötley Crüe-Sänger John Corabi über Groupies:

Ich habe Frauen getroffen und sie Sachen machen sehen, wo ich nur dachte, die haben überhaupt keinen Respekt vor sich selbst. (...) Ich habe sie gesehen, wie sie einige ziemlich kranken Sachen gemacht haben, nur um die Band zu treffen. Und ich würde meine Tochter umbringen, wenn sie so was machen würde.

Letzteres hätte auch ein konservativer Katholik sagen können, der gleichfalls den Heavy Metal verteufelt. Und auch Manowars Lyrik würde zu demselben passen, allerdings ohne den sexuellen Aspekt: Kinder, Küche, Kirche. Und was hätte wohl John Corabi über die Pornorockerinnen Rockbitch zu sagen?

Bild: Rockbitch

Die vermeintliche "Suche nach der Bestie"

Für ihre Arbeit an Heavy Metal - Die Suche nach der Bestie hat Elke Nolteernsting viele internationale Musikfestivals und Konzerte besucht, auf denen vorwiegend Metalbands spielten. Sie hat ebenda Musiker zwecks Recherche interviewt, das Spektrum reichte von alten Szenehasen wie Saxon oder Motörhead bis hin zu Sepultura, Rockbitch und Ice-T alias Body Count. Jene Vielschichtigkeit ist zwar problematisch, problematischer jedoch war der Anfangsverdacht der Soziologin. Geprägt von Medienmythen über die bösen Schwermetaller traf sie auf Fans und Musiker, die "trotz mancher gewöhnungsbedürftiger Verhaltensweisen zum höflichsten und geduldigsten Publikum zählen, das ich bisher auf Musikveranstaltungen getroffen habe (Klassikkonzerte inbegriffen)." Sie hätte Chorknaben suchen sollen, dann wäre ihr Bild weniger enthusiastisch ausgefallen.

Ans Tageslicht indes zerrten ihr Anfangsverdacht und die der Szene später fast zwanghaft attestierte Normalität das, was die 1957 Geborene so formuliert:

Metaller befinden sich in einer Art Zwischenposition. Ihr alltägliches Leben bewältigen sie als Erwachsene, ihre Gedanken, ihre Träume, ihr Inneres, ihre Rebellion leben sie in und mit der Musik aus.

Tom Angelripper, Musiker der Ruhrpottband Sodom, referiert über die Fans, sie kämen "aus einem ganz normalen Elternhaus, wie ich damals ja auch. Da sind auch ganz vernünftige Leute bei. Die ziehen sich am Wochenende eine Kutte an (...) und einen Tag später sind sie wieder auf der Arbeit." Heavy Metal wäre entgegen seines antibürgerlichen Gestus also eine Spaßkultur und nicht rebellisch, sondern gesellschaftskonform und das System stabilisierend. Nolteernstings rhetorisches Reinwaschungsritual weiter gedacht - ein Metalfestival ist nichts weiteres als Karneval, Showbiz oder Oktoberfest - schockt noch am meisten.

Religion und Opium für das Volk

Bruce Dickinson von Iron Maiden nannte gegenüber der Autorin Konzerte ein

unausgesprochenes Ritual, und die Band, hauptsächlich der Sänger, übernimmt die Rolle des Chefpriesters. Wenn die Energie da ist, kannst du damit spielen und sie herumgehen lassen, und das funktioniert phantastisch. Und du kannst die Leute in eine kleine Welt transportieren, wo sie für eineinhalb Stunden mit den anderen zusammen sind.

Ist Heavy Metal also eine Lebenshilfe ähnlich einer Religionsgemeinschaft? Immerhin betonen nicht nur die Böhsen Onkelz immer wieder, dass sie Fanpost erhalten, in denen man ihnen mitteilt, der Glaube an die Band und deren Texte habe geholfen, von Alkohol oder Drogen loszukommen oder sich nicht umzubringen. Eine Erfahrung, die auch andere Musiker im Buch schildern.

Jedoch, diese Sichtweise wurde bislang kaum über den Tellerrand der Szene hinweg in die breite Öffentlichkeit transportiert. Zensurbefürworter (Vgl. Rockende Inquisitoren) sollten sie allerdings einmal bedenken. Denn Slayer-Drummer Dave Lombardo erinnert an die Sündenbockfunktion des Schwermetalls:

Wenn Eltern sehen, dass ihre Kinder etwas falsch gemacht haben, wollen sie es immer anderen in die Schuhe schieben, um sagen zu können, 'ich bin eine gute Mutter oder ein guter Vater und habe mit meiner Tochter oder meinem Sohn alles richtig gemacht'. Sie können drogensüchtig werden oder was weiß ich, aber es ist nicht die Musik, die sie dazu bringt, Musik ist Unterhaltung. Du musst schon eine sehr schwache Persönlichkeit sein, um dich von Musik derart beeinflussen zu lassen.

Heutzutage ist Metal in die Jahre gekommen und es bleibt abzuwarten, was die Szenenvertreter mit jenen Aussagen von (nicht nur) Lombardo anzufangen wissen. "Bands wie Savatage", schreibt die Autorin, "gehören seit Jahrzehnten zur Metal-Szene und bieten deshalb Familienanschluss." Chris Caffery von Savatage sagte der Mittvierzigerin: "Wir sind schon so lange im Geschäft, dass sogar die Kinder von Fans inzwischen unsere Fans sind und wir ein Teil ihres Lebens." Das ist einerseits bodenständig ähnlich eines Kaninchenzüchtervereins, fordert aber anderseits geradezu eine ungemein spannende Frage, die die Soziologin leider nicht erörtert: Würden diese Eltern Technomusik verantwortlich dafür machen, wenn ihre Kinder auf die so genannt schiefe Bahn geraten?

Elke Nolteernsting: Heavy Metal - Die Suche nach der Bestie, Archiv der Jugendkulturen / Verlag Thomas Tilsner, Berlin 2002, 130 Seiten, 15 Euro