Vereitelter Amoklauf in Essen: Wenn nur Weiße psychische Probleme haben
Rassistischer Terror wird von Politik und Medien in Deutschland eher als Produkt gequälter Seelen wahrgenommen als islamistisch motivierter Terror
Vor einigen Tagen verhinderte die Polizei in Essen einen Amoklauf, der von einem 16-jährigen Teenager geplant worden war. Im Zimmer des mittlerweile Festgenommenen fand man Materialien für den Bau einer Bombe, sowie diverse rechtsextreme, juden- und muslimfeindliche Materialien.
Laut Spiegel habe der Rechtsradikale unter anderem den norwegischen Massenmörder Anders Breivik sowie den neuseeländischen Massenmörder von Christchurch verehrt, was aus dem Manifest des Jugendlichen hervorgehe. Auch SS-Runen und andere nationalsozialistische Symbole ließen sich in seinem Zimmer finden.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) interpretierte einige sichergestellte Aufzeichnungen auch als "Hilferuf eines verzweifelten jungen Mannes". Ein Kommentar, den man sich bei einem islamistisch motivierten Anschlag mit großer Wahrscheinlichkeit wohl gespart hätte.
TV-Talkshows ignorieren rechtsradikalen Terror gern
Man kennt mittlerweile das übliche Prozedere zahlreicher deutscher Talkshow-Sendungen öffentlich-rechtlicher Sender: Während man in den Nachrichten von einem Anschlag hört oder liest, wartet man erstmals ab, von wem die Tat begangen wurde. War es eine Person muslimischen Glaubens, so kann man sich sicher sein, dass dies in einer TV-Diskussionsrunde von Maischberger, Anne Will, Maybrit Illner oder Frank Plasberg aufgegriffen wird.
Die Wahrscheinlichkeit sinkt jedoch stark, wenn der Täter ein nicht-muslimischer Deutscher war, so wie es vor Kurzem erst der Fall war. Keine:r der genannten Moderatorinnen und Moderatoren hat es für sinnvoll erachtet, radikalen rechtsextremistischen Terror zu thematisieren. Gewiss könnte man argumentieren, dass momentan vieles von dem illegalen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine überschattet wird.
Doch sieht man sich die TV-Sendungen der vergangenen zehn Jahre bei Anne Will an, so fällt auf, dass "radikaler Islam" im Zusammenhang mit Terrorismus weitaus häufiger thematisiert wurde als Rechtsextremismus. Sogar wenn man die Sendungen zum Thema Flüchtlinge ausnimmt (obgleich hier auch in den meisten Fällen das Thema "radikaler Islam" mitdiskutiert wurde), wird ersichtlich, dass das Thema "Islam" im Zusammenhang mit Radikalismus/Terror seit 2012 insgesamt mindestens neun Mal aufgegriffen wurde.
Terror im Zusammenhang mit Rechtsextremismus wurde nur zweimal behandelt: In der Folge 312 "Die Zschäpe-Aussage – Werden die NSU-Taten aufgeklärt?" sowie der Folge 421: "Hass, Drohungen, Gewalt – wie kann sich unsere Demokratie wehren?"). Bei der letztgenannten Folge ging es um das Attentat auf den CDU-Politiker Walter Lübcke, das von dem Rechtsextremisten Stephan Ernst verübt wurde.
Psychische Probleme – ein weißes Privileg?
Der rechtradikale Gymnasiast, der sich als Verteidiger der weißen Rasse sieht und sein Manifest mit einem Hitler-Zitat einleitete, wurde von zahlreichen Medien als ein Schüler mit psychischen Problemen betitelt.
Bei jemandem, der dazu bereit ist, eine Schule in die Luft zu sprengen und so viele Menschen wie möglich zu töten, mag diese Beschreibung zwar zutreffen, aber nicht alles erklären – zumal die meisten Menschen mit psychischen Problemen keine solche Gewaltbereitschaft zeigen.
In diesem konkreten Fall handelt es sich um einen jungen Menschen, bei dem man sich fragt, weshalb es zu solch einer Entwicklung kommen konnte. Die Frage wird hingegen oftmals nicht gestellt, wenn der Täter einen muslimischen Hintergrund hat.
Hier ist es dann scheinbar ganz klar, dass "der Islam" oder "die andere Kultur" dafür verantwortlich sein muss, weshalb es zu diesem oder jenem Gewaltverbrechen kam. Gewiss spielt eine bestimmte Auslegung des Islam eine Rolle, wenn radikale Muslime sich für einen Gewaltakt entscheiden und sich dabei auf Gott beziehen.
Ebenso hat man bei dem 16-jährigen Rechtsextremisten gesehen, dass ein radikales rassistisches Weltbild bei seinem Anschlagsplan zentral ist. Doch der Hintergrund allein erklärt nicht, weshalb es zur Gewaltbereitschaft und zur Mordlust kommen konnte.
Es handelt sich hierbei nur um einen Faktor, womöglich auch um einen Begründungsversuch, um der Aggression freien Lauf zu lassen. Zu begrüßen wäre es, auf solche verstörenden Vorfälle einen differenzierten Blick zu werfen und nicht nur einfache Antworten zu präsentieren. Das soziale Lebensumfeld, die psychische Verfassung, biografische Schicksalsschläge und viele weitere Aspekte können bei Radikalisierungen eine Rolle spielen. Und das nicht nur wenn der Täter weiß ist.
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