Verfassungsreferendum in Italien: Das Volk hat Nein gesagt
Renzi: "Ich habe verloren, meine Regierung endet hier" - Die 5 Sterne Bewegung und die Lega Nord fordern sofortige Neuwahlen
Nach der klaren 41-zu-59-Prozent-Niederlage des "Ja" im Verfassungsreferendum, hat Matteo Renzi kurz nach Mitternacht das Ende seiner Regierung verkündet: "Ich habe verloren und nun ist mein Stuhl gekippt. Die Erfahrung der Regierung ist vorbei, und am Nachmittag werde ich dem Präsidenten meinen Rücktrittsgesuch überreichen."
Staatspräsident Sergio Mattarella wird dann über die Zukunft des Landes entscheiden. Er könnte z.B. auch eine technische Übergangsregierung anordnen, die bis zu den nächsten Parlamentswahlen 2018 regieren würde. Daher auch die die Forderung der Opposition nach sofortigen Neuwahlen. Das Angebot eines neuen Amtes an Renzi von Seiten Mattarellas scheint eher unwahrscheinlich - ebenso unwahrscheinlich scheint dessen eventuelle Annahme.
"Alle Bürde und alle Ehre geht jetzt an die Gewinner", so Renzi, "die von nun an neue Vorschläge machen müssen, angefangen vom Wahlrecht." Weiter sagte Renzi: "Ich übernehme die volle Verantwortung für die Niederlage und zu den Freunden des "Ja" sage ich, dass ich verloren habe, nicht ihr".
Das Land wisse, dass es sich auf die sichere und feste Führung des Präsidenten Mattarella verlassen könne. "Das italienische Volk hat klar und eindeutig gesprochen", sagte Renzi. "Wir haben diese Reform zur Abstimmung gebracht, wir waren nicht überzeugend, es tut mir leid, aber wir gehen ohne etwas bereuen zu müssen."
Außerdem werde die noch amtierende Regierung auch in den nächsten Tagen sowohl den Durchlauf zur Verabschiedung des Haushaltsgesetzes gewährleisten als auch die erdbebenbezogenen Maßnahmen weiterhin verfolgen. Schließlich hat Renzi in seiner Ansprache seiner Frau und seinen Kindern für ihre Unterstützung gedankt.
Grillo: "Leb wohl Renzi"
"Leb wohl Renzi. Jetzt müssen die Italiener so schnell wie möglich zur Wahl aufgerufen werden", schreibt M5S-Führer Beppe Grillo in seinem Blog. Um sofort zur Wahl zu schreiten, sei es das Beste, das bereits existierende Wahlgesetz "Italicum" zu benutzen, fügt er hinzu.
"Wir wünschen uns frühestmögliche Neuwahlen", sagte sein Parteifreund Luigi di Maio. "Wir wünschen dem Staatspräsidenten alles Gute für die Rolle, die er nun zu übernehmen hat. Wir sind bereit, alles Nötige dazu beizutragen, dass Wahlen stattfinden können."
Salvini lobt Berlusconi
"Eine Regierung, die sich nur so über Wasser halten kann, werden wir nicht unterstützen, aber wir sind dazu bereit, mit jedem Wahlgesetz zu stimmen, das uns das Verfassungsgericht formulieren lassen wird", kündigte heute Matteo Salvini, Vorsitzender der Lega Nord, an.
"Ein Wahlgesetz, das zu großen Koalitionen führt, finden wir nicht gut", meinte Salvini. Er wünsche sich, dass die Wähler die Regierungsparteien selbst wählen, denn sie sollen wissen, von wem sie regiert werden. Außerdem gab Salvini zu, dass auch Berlusconis Beitrag zum Nein sehr wichtig gewesen sei.
Aber auch von linker Seite wurde die Reform zu Renzis Abwahl genutzt. Selbst innerhalb des Partito Democratico wurde mit dem Nein gegen ihn gestimmt. Das taten z.B. auch der ehemalige Ministerpräsident Massimo D’Alema und der vergangene Parteivorsitzende Luigi Bersani.
Hohe Wahlbeteiligung und großer Unmut
Die hohe Wahlbeteiligung (68,5% der Wahlberechtigten) und die deutliche Aversion gegen den bislang eingeschlagenen politischen Kurs bezeugen den großen, nunmehr unverkennbaren Unmut der Italiener. Es ging dabei weniger um die Verfassungsänderung an sich, als um den Sturz der Regierung.
Die seit 20 Jahren andauernde wirtschaftliche Stagnation hat zu einer konstanten Schmälerung der Mittelschicht und zum Auseinanderklaffen der sozialen Schere zwischen Arm und Reich geführt. Die Bevölkerung ist unzufrieden und frustriert. Auch die fortwährende, extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit mag zum Sieg des Nein geführt haben.
Es ist ganz klar, dass nun Italien und die EU vor einer ungewissen Zukunft stehen.
Die Banken werden unter Druck geraten, wie sich bereits heute Morgen gezeigt hat, als die wichtigsten europäischen Aktienmärkte mit roten Zahlen eröffnet haben. Regierungs- und Wirtschaftskrise werden weiterhin einander definieren.
Italexit mögliches Szenario
Auch ist ein Italexit nun ein mögliches Szenario, denn die Bevölkerung tendiert zum Movimento 5 Stelle und die Euro-Skepsis steigt an, was potentiell auch zu einer Abstimmung gegen die EU führen kann. Die römische Bürgermeisterin Virginia Raggi hat bereits erklärt: "Unsere Revolution macht nicht in Rom und Italien halt."
Eine Aussage kann wohl vorbehaltslos übernommen werden: es hat die Demokratie gewonnen. Vor allem ein Verfassungsreferendum ist ein formidabler Ausdruck der direkten Demokratie, wie sie in den Wirren der repräsentativen Systeme sonst kaum zur Geltung kommen kann. Der Wähler steht von Angesicht zu Angesicht vor einer wichtigen Entscheidung, die er eigenhändig und unmittelbar beeinflussen kann.
Jedes einzelne Individuum ist nicht nur gleichberechtigt, sondern ungleich höher gestellt. Da waren: eine Wahlkabine, ein Wahlschein, eine einzige Alternative. Das war ganz einfach: links stand das Sì, rechts das No. Da es darüber hinaus um das Skelett des gesamten Systems, also um die Verfassung ging, war dieses Referendum beinahe atavistisch und betraf den genauen Kern jedes politischen Handelns.