Vergesst Perikles

Trotz Mehrheit für ein Referendum wird die EU-Verfassung in Griechenland durch das Parlament ratifiziert, die Konsolidierung der Staatsfinanzen nach neoliberalen Maßstäben betrifft vor allem die Geringverdiener und schürt EU-Ablehnung

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Während der Verfassungsvertrag am vergangenen Dienstag in das Parlament eingebracht wurde, demonstrierten vor dem Gebäude mehrere Gegner gegen die EU-Verfassung und für eine Volksabstimmung.

Obwohl sich Vertreter aller Oppositionsparteien für ein Referendum einsetzen, wird die EU-Verfassung in Griechenland vom Parlament ratifiziert werden. Die regierende Nea Dimokratia hat bereits angekündigt, dass sie mit ihrer Stimmenmehrheit im Parlament den von 120 Abgeordneten der PASOK, KKE und Synaspismos gemeinsam gestellten Antrag auf eine Volksabstimmung ablehnen wird. Die sozialdemokratische PASOK fordert zwar dabei gemeinsam mit den beiden linken Oppositionsparteien die Volksabstimmung über die EU-Verfassung, würde aber bei einer entsprechenden Kampagne im Gegensatz zu KKE und Synaspismos für ein "Ja" zum Verfassungsvertrag werben.

Die im März 2004 gewählte konservative Nea Dimokratia Regierung unter Ministerpräsident Kostas Karamanlis hat im ersten Jahr ihrer Regierung eine Reihe von Maßnahmen zur Konsolidierung der griechischen Staatsfinanzen verabschiedet. Diese mehrheitlich zu Lasten der Werktätigen und hier vor allem der Geringverdiener gehende wirtschaftliche Umverteilung begründet die Regierung mit von der EU-Kommission geforderten Maßnahmen zur Einhaltung des Stabilitätspaktes. Das Haushaltsdefizit in Griechenland betrug 2004 etwa 6,4 Prozent und muss nach den Regeln der EU innerhalb der nächsten 2 Jahre auf die erlaubten 3 Prozent zurückgeschraubt werden. Andernfalls drohen dem Lande drastische monetäre Strafen.

Die Nea Dimokratia setzt zur Senkung des Haushaltsdefizits genau wie ihre sozialdemokratische Vorgängerin der PASOK auf neoliberale Wirtschaftsweisheiten. So will sie in den nächsten Jahren alle noch verbleibenden Staatsbetriebe privatisieren. Ausgaben der Ministerien und Kommunen für soziale Programme wurden bereits radikal gekürzt. Entgegen der Wahlversprechen liegen die diesjährigen Rentenanpassungen und die Lohnerhöhungen der im öffentlichen Sektor Beschäftigten unterhalb der Preissteigerung. Im Zuge der Abschaffung der staatlichen Kontrolle über die von Ärzten zu verschreibenden Medikamente und der Freigabe von Lizenzen für den Medikamentenimport sind die Preise gerade vorher recht preiswerter Medikamente um teilweise mehr als 100 Prozent in die Höhe geschnellt. Betroffen sind davon besonders die in Griechenland mehrheitlich mit Renten von unter 500 Euro im Monat lebenden Rentner (Europa braucht mehr Zuwanderung) als Hauptbezieher von Medikamenten. Mit Wirkung zum 1. April 2005 wurden in Griechenland die Mehrwertsteuersätze um einen Prozentpunkt angehoben. Auch die erst jüngst in Kraft getretene Erhöhung der Gebühren für die staatlichen Autobahnen um bis zu 43 Prozent trifft besonders die Geringverdiener.

Mit dem von der Regierung verabschiedeten Steuergesetz sowie dem Gesetz zur Ankurbelung des Wirtschaftaufschwunges bekamen die Unternehmen in Griechenland dagegen weitreichende Steuererleichterungen und andere Begünstigungen eingeräumt. So wurde beispielsweise der Steuersatz auf Unternehmensgewinne von 35 auf 25 Prozent gesenkt.

Für Proteste gegen die EU-Gesetzgebung bis in die Reihen der Regierungspartei hinein sorgt überdies ein von der griechischen Regierung bereits verabschiedetes, aber von Brüssel zurückgewiesenes Gesetz. Nach der Gesetzesvorlage sollten in Griechenland Firmen, deren Inhaber mehr als einprozentige Anteile an Medienunternehmen halten, von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden.

Das von der Regierung im Kampf gegen die weitverbreitete Korruption bei der Vergabe von Staatsaufträgen entwickelte Gesetz wurde von der EU-Kommission als unzulässige Behinderung des Wettbewerbes zurückgewiesen. Ein Verzicht auf die Regelung verstößt jedoch nach Meinung von Fachleuten aus Justiz und Wirtschaft gegen die griechische Verfassung. Im Streit um die Frage, ob die nationale Gesetzgebung Vorrang vor der europäischen habe, hat sogar der international bekannte Komponist und griechische Volksheld Mikis Theodorakis seine Unterschrift unter eine Kampagne für die EU-Verfassung zurückgezogen.

All die unter der griechischen Bevölkerung auf starken Protest stoßenden Maßnahmen stehen in bestem Einklang mit den neoliberalen Wirtschaftgrundsätzen der Europäischen Union, die mit der Ratifizierung der EU-Verfassung sogar Verfassungsrang erhalten sollen. Vor diesem Hintergrund wächst in Griechenland die Anzahl der EU-Gegner. Neben der außerparlamentarischen Linken, den beiden linken Oppositionsparteien KKE und Synaspismos haben sich bereits auch die beiden griechischen Gewerkschaftsdachverbände GSEE (private Wirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst) sowie der kommunistisch orientierte Gewerkschaftsverband PAME gegen die Eu-Verfassung ausgesprochen.

So ist es denn kein Wunder, dass die Regierung in Griechenland sich gegen ein Referendum über die EU-Verfassung sperrt. Mit ihrer komfortablen Mehrheit im Parlament hat es die Nea Dimokratia in der Hand, die EU-Verfassung durch das Parlament ratifizieren zu lassen. Von direkter Demokratie will man auch im Lande ihrer Erfinder nichts wissen.