Vergewaltigung als kunstschaffende Strategie?
Ars Electronica 2000: Wie die Kultur- und Medienkritik vor dem Sex- und Gen-Hype kapituliert
"Next Sex - Sex im Zeitalter seiner reproduktionstechnischen Überflüssigkeit" lautet das Thema der diesjährigen Ars Electronica. Wieder einmal setzen die Macher also ganz auf Bio- und Gentechnologien. Ging es bei dem 96er "Memesis"-Festival vielleicht noch hie und da um so etwas wie Theoriebildung, Ideologiekritik oder kritische Reflexion, so wird dieses Jahr offensichtlich unverhohlen wie noch nie der Cyber-Sex- und Gen-Tech-Hype propagiert. Die Medien- und Gender-Theoretikerin Marie-Luise Angerer, seit kurzem Professorin an der Kunsthochschule für Medien in Köln, ist Mitmoderatorin des diesjährigen "Next Sex"-Symposiums. Und sie hat einen schweren Stand, wie sie nach der ersten Vortragsrunde im Interview offen bekennt.
Marie-Luise, Sie verkörpern hier so etwas wie die kulturwissenschaftliche Kritik an den Naturwissenschaftlern, insbesondere an den Medizinern und Gentechnikern, an deren großteils biologistisch-naturalistischen Theorien sowie an den Life-Art- und Cyber-Sex-Propheten. Mittlerweile treibt dieser Diskurs unglaubliche Blüten. Im Vortrag von Stahl Stenslie war heute etwa zu hören, "sogar die Vergewaltigung kann als kunstschaffende Strategie gelten."
Marie-Luise Angerer: Als ich seinen Aufsatz (Ars Electronica-Band "Next Sex", S. 214, Anm. S.W.) gelesen habe, bin ich auch an diesem Satz hängen geblieben. Interessanterweise kommt mir so etwas auf diesem Ars-Symposium zweifach entgegen: Auf der einen Seite gibt es hier den Randy Thornhill mit seiner "Natural History of Rape" - einer Uralt-Geschichte, wo ich mich frage, was diesen Mann dazu anregt, mit dem aufzutreten. Die These, dass irgendwelche Gene für eine größere Aggression der Männer verantwortlich sind, ist derart abgedroschen, dazu mag ich eigentlich gar nicht viel sagen. Die zweite Geschichte war die von Ihnen erwähnte von Stahl Stenslie. Er geht davon aus, dass die Bemächtigung des weiblichen Körpers durch den Mann eine Strategie sein kann, durch die Kunst entsteht...
Warum wird so einem Gedankengut auf der Ars - wie schon bei "Memesis" (1996), "FleshFactor" (1997) und im vergangenen Jahr bei "Life Science" - immer wieder ein Forum geboten? Sind diese Leute da, damit sie kritisiert werden, um einen Gegen-Diskurs zu entfachen, oder steckt dahinter doch ein Interesse, solche Theorien durchzusetzen, und wenn ja, von wem?
Marie-Luise Angerer: Zunächst: Es ist richtig, solche Gedanken sind immer auf der Ars vorhanden gewesen. Und zweitens, sind sie seit wenigen Jahren vehement in allen Bereichen anzutreffen - und zwar mit einer Direktheit und Offenheit, dass mir manchmal der Mund offenbleibt. Ich habe oft das Gefühl, dass mein Terrain, meine Art zu denken, zu schreiben und zu argumentieren, wirklich das Wasser hinuntergeht. Drittens, werden diese Fälle werden tatsächlich von unterschiedlichsten Interessen aus gestützt. Dieser Hype um diese Biologie, um diese Biomedizin - ich denke mir, man muss nicht zwei Blicke hinwerfen, um zu sehen, das ist ein Riesen-Industriezweig, der jetzt auf allen Ebenen forciert wird. Wir haben immer schon an die Natur des Körpers geglaubt - aber jetzt kommt noch etwas anderes: Körperlichkeit auf Knopfdruck.
Da gibt es irgendwelche ökonomische Einflüsse - Kanäle, die vielleicht auch einmal investigativen Journalismus verlangen würden. Und die Cyber-Sex-Propheten wie etwa Stenslie sprechen vom "DNA-Jockey", vom "Genoshop" und von "Terminal Sex". Irgendwie erinnert das ein wenig an Haider und das Scheitern seiner Kritiker: Was können die Kultur- und Medienwissenschaftler dem überhaupt "einflusstechnisch" und diskursiv entgegensetzen?
Marie-Luise Angerer: In meiner Arbeit ist es zum Beispiel wichtig, die Angst, die hinter diesen Visionen steckt, anzusprechen. Derartige Diskurse sind angstbesessen. Die Leute, die diese Diskurse produzieren, sind meistens nicht die, die das auch leben. Es sind nicht die, die von einer Orgie zur anderen reisen und sich ihrem Sex-Hype hingeben. Man weiß das seit Freud und Foucault: Bei verbaler Besessenheit ist großteils Angst am Werk. Auch beim Spermrace (einem Spermien-Test-Labor am Linzer Hauptplatz, Anm. S.W.) geht es letztlich nur um die Angst der Männer vor Impotenz.
Die ersten Cyber-Sex-Geschichten waren zu Beginn der Neunziger - Stenslies "cyberSM"-Apparatur etwa 1993. Auch die heute beim Symposium gezeigten Tierversuche mit künstlichen Plazentas (extrauterinen Fetalinkubationen) outeten sich als - im übrigen gescheiterte - Experimente aus dem Jahr 1992, was einen Symposiums-Besucher zu der Frage veranlasste, was von 1992 bis heute auf diesem Bereich geschehen ist. Warum dieses Thema im Jahr 2000?
Marie-Luise Angerer: Ich muss ehrlicherweise gestehen, ich war total überrascht, wie ich davon gehört habe. Das ist derart anachronistisch, das hätte man vor zehn Jahren machen müssen. Auch die ganze Transgender- und Queer-Debatte war in den frühen Neunzigern. Was das Thema betrifft, ist Donna Haraway schon viel weiter, aber die war ja vor drei Jahren schon da. Ich bin zwar nicht unglücklich damit, dass Sex und Gender heuer thematisiert werden, aber wenn Sie mich jetzt fragen: Diese Plazenta-Geschichte, das ist einfach etwas, wo ich sage: Nein danke!