Vergoldeter Kohleausstieg
Die Energie- und Klimawochenschau: Von eisfreien Alpen und Protesten gegen das Kohleausstiegsgesetz und RWE
Nach Rekordtemperaturen in Sibirien breiten sich auch in diesem Jahr wieder großflächige Waldbrände in Sibirien aus. Verschiedene Medien berichten, dass am Sonntag eine Fläche von 1,4 Millionen Hektar brannte. Im Sommer 2019 ist nach Schätzungen von Greenpeace eine gut zehnmal so große Fläche abgebrannt. Doch noch ist unklar, wie sich die Brände weiter ausbreiten werden. Bekämpft werden sie nur auf einem kleinen Teil der Fläche, da sich dies nach Behördenangaben wirtschaftlich nicht lohnt. In unbewohnten Gebieten überlässt man die Flammen daher sich selbst.
Hitzewellen, Trockenheit und Brände in arktischen Breiten scheinen sich immer mehr zur neuen Normalität im Klimawandel zu entwickeln, mit der bekannten Folge, dass durch Wald- und Moorbrände sowie tauenden Permafrost noch mehr Treibhausgase freigesetzt werden, die diesen wiederum beschleunigen.
Drastisch zeigen sich die Folgen der Klimaerwärmung seit Jahren auch in den Alpen. Nach einer neuen Studie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg wird das europäische Gebirge bis zum Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich fast alle vergletscherten Flächen verlieren.
Zwischen den Jahren 2000 und 2014 sind die Alpengletscher um 22 Kubikkilometer geschrumpft, das sind 17 Prozent ihrer Gesamtmasse. Besonders stark betroffen waren die Schweizer Alpen. Zwar wird der Gletscherschwund an vielen Stellen der Alpen seit geraumer Zeit lokal beobachtet, die neue Studie, die auf Radar- und Satellitenmessungen beruht, ermöglicht aber ein neues Gesamtbild für die Alpen. Die neu gewonnenen Daten bieten eine Grundlage für genauere Modellierungen des künftigen Gletscherabflusses.
Wenn die Wasserversorgung aus der Gletscherschmelze in Zukunft abnimmt, könnte das weitreichende Konsequenzen für die gesamte Region haben. So werden Rhone und Po im Sommer zu rund einem Fünftel aus dem Schmelzwasser der Gletscher gespeist. Auch die Stromerzeugung aus Wasserkraft würde beeinträchtigt.
Geldgeschenke und besetzte Bagger
Am Freitag wird der Bundestag über das Kohleausstiegsgesetz sowie über das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen beraten. Über den Entwurf des Kohleausstiegsgesetzes, der im Wesentlichen unverändert bleibt, haben wir an dieser Stelle bereits berichtet (Berlins Abschied vom Klimaschutz).
Bis spätestens 2038 sollen alle Kohlekraftwerke in Deutschland abgeschaltet werden. Allein für die Stilllegung der Braunkohle sollen 4,35 Milliarden Euro Entschädigung an die Kraftwerksbetreiber fließen. Es sind mehrere Überprüfungen des Abschaltplans vorgesehen, wodurch der Ausstieg auch um drei Jahre vorgezogen werden könnte. Über die Entschädigungen zur Abschaltung der Steinkohlekraftwerke hat die Koalition dieser Tage noch verhandelt, mit dem Ergebnis, dass der Staat noch einiges drauflegt. So sollen die Betreiber nun noch über das Jahr 2027 hinaus für Stilllegungen entschädigt werden. Zuschüsse für die Umrüstung von Steinkohle auf Gas wurden für die Anfangszeit mehr als verdoppelt.
Die Höhe der vorgesehenen Entschädigungen an die Kraftwerksbetreiber bleibt schwer nachvollziehbar, da sich schon heute zeigt, dass die Stromerzeugung in Kohlekraftwerken, in erster Linie in älteren Braunkohlekraftwerken, unrentabel wird, worüber wir an dieser Stelle mehrfach berichtet haben.
So bemängelt die Klima-Allianz, dass die öffentlich-rechtlichen Verträge mit den Kraftwerksbetreibern "zu wenig Klimaschutz für zu viel Geld" brächten. "Die Realität überholt immer mehr den vereinbarten Kohleausstieg. Derzeit produzieren Erneuerbare und Gaskraftwerke erheblich günstiger. Etliche Kohlekraftwerke arbeiten schon lange nicht mehr wirtschaftlich und sollten besser früher abgeschaltet werden", erklärt Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz
Begleitet wurde der derzeitige Abstimmungsprozess über den Kohleausstieg von Baggerbesetzungen in der Lausitz und im Tagebau Garzweiler durch Aktivisten von Ende Gelände und Einsatz Kohlestopp. Fridays for Future protestierten in Garzweiler und vor dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin.
"Ende Gelände" nennt das geplante Kohleausstiegsgesetz ein Kohleverlängerungsgesetz. Ronja Weil, Sprecherin des Bündnisses Ende Gelände erklärt: "Dürren, Waldbrände und 38 Grad in Sibirien machen deutlich: jeder weitere Tag Kohleverstromung ist ein Klima-Verbrechen. Die Bundesregierung will mit ihrem Kohle-Verlängerungs-Gesetz dafür sorgen, dass dieses Verbrechen noch 18 weitere Jahre so weitergeht." Für den 1. Juli hat Ende Gelände angekündigt, die Parteizentrale der SPD in Berlin zu blockieren.
Kritik an RWE: Fehlanzeige bei Klimaschutz und Menschenrechten
Protestiert wurde am Freitag auch vor der RWE-Zentrale in Essen anlässlich der Hauptversammlung der Aktionäre. Die Hauptversammlung selbst fand dieses Jahr angesichts der Covid-19-Pandemie virtuell statt. Die Proteste richteten sich dabei auch gegen die Pläne der Bundesregierung, den Konzern für den Kohleausstieg mit 2,7 Milliarden Euro zu entschädigen sowie gegen die Bestandssicherung des Tagebaus Garzweiler bis 2038, dem weitere Dörfer zum Opfer fallen werden.
Antje Grothus von der Initiative Buirer für Buir kritisierte, dass RWE auch maßgeblich über den Strukturwandel in der Region mitbestimmen soll: "Statt die Zivilgesellschaft und Umwelt- und Naturschutzverbände beim Strukturwandel mitbestimmen zu lassen, überlässt die Zukunftsagentur Rheinisches Revier es dem im Aussichtsrat vertretenen Kohlekonzern und der Bergbaugewerkschaft IGBCE, mit über die Projekt- und Mittelvergabe zu entscheiden. Nach welchen Kriterien diese erfolgt, ist vollkommen intransparent. Es schadet dem Klima, dem zukunftsfähigen Strukturwandel und unserer Demokratie, dass sich weder die NRW-Landesregierung noch die Kommunen von RWE emanzipieren."
Der Dachverband der kritischen Aktionäre reichte drei Gegenanträge zur Hauptversammlung ein. Der erste richtete sich gegen die Auszahlung einer Dividende von 80 Cent. Stattdessen sollte der Bilanzgewinn 2019 verwendet werden, um verschiedene Fonds etwa für Klimaschäden, soziale und ökologische Folgen des Bergbaus der importierten Steinkohle sowie Schäden durch den Braunkohletagebau in Deutschland einzurichten.
Die beiden weiteren Anträge richteten sich dagegen, den Vorstand und den Aufsichtsrat zu entlasten. Dazu heißt es: "Der Vorstand der RWE AG kommt nicht hinreichend seiner Verantwortung nach, wirksamere Maßnahmen für den Klimaschutz umzusetzen und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten einzuhalten."
RWE ist weit davon entfernt, klimaneutral zu werden, wie es Vorstand Rolf Martin Schmitz als Ziel für das Jahr 2040 verkündete. "Wenn RWE die eigenen Klimaziele umsetzen würde, liefe es immer noch auf eine Erwärmung um 9,5 Grad Celsius hinaus", schreiben die Kritische Aktionäre, d.h. wenn die 30 größten DAX-Unternehmen alle so wirtschaften würden wie RWE. RWE habe sich außerdem rechtliche Schritte gegen den Kohleausstieg der Niederlande vorbehalten.
Weitere Kritikpunkte sind die Fortführung der Tagebaue Hambach und Garzweiler und die Missachtung von UN-Vorgaben zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten. Die Steinkohle für die Kraftwerke von RWE stammt zu großen Teilen aus Russland und aus Kolumbien, wo "mit fatalen ökologischen Schäden und unter Missachtung von Menschenrechten Tagebaue betrieben" würden.
Gegen die Entlastung des Aufsichtsrats spricht aus Sicht der Kritischen Aktionäre, dass es dieser versäumt hätte, "die Geschäftsführung zu überwachen und dafür zu sorgen, dass sie ihre Verantwortung für den Atomausstieg wahrnimmt". Dies bezieht sich auf den Weiterbetrieb der Urananreicherungsanlage von Urenco in Gronau. RWE ist Anteilseigner von Urenco.
AKW Fessenheim stillgelegt
Beim Ausbau der erneuerbaren Energien sieht es in Deutschland weiterhin nicht gut aus. Wie der Fachinformationsdienst IWR berichtet, bleibt die Windkraft in der jüngsten Ausschreibung der Bundesnetzagentur fast um die Hälfte unterzeichnet. Die Gebote zum 2. Juni beliefen sich auf 467,59 MW bei einer ausgeschriebenen Menge von 825,53 Megawatt. Ganz anders sah es bei den Geboten für Photovoltaikanlagen aus. Hier waren 96,36 MW, die Gesamtmenge der Gebote belief sich auf 447,23 MW.
Zum Abschluss noch eine positive Nachricht: In der Nacht vom 29. auf den 30. Juni ist der zweite Reaktor des Atomkraftwerks Fessenheim im Elsass abgeschaltet worden, womit das Kraftwerk nun nach 42 Jahren außer Betrieb geht. Risiken bestehen aber weiterhin, bis die Brennelemente abgekühlt sind und aus der Anlage entfernt werden können. Das wird bis zum Jahr 2023 dauern.
Trotzdem darf sich die Bevölkerung im nahegelegenen Freiburg und Basel seit heute sicherer fühlen. Lange Zeit hatte die französische Regierung die Abschaltung der Uralt-Reaktoren in Fessenheim an die Inbetriebnahme des neuen Atomkraftwerks Flamanville geknüpft, die sich, wenn sie überhaupt stattfinden sollte, immer weiter hinauszögert. Im Februar war die Stilllegung von Fessenheim definitiv beschlossen worden. Damit sind in Frankreich aber immer noch 56 Atomreaktoren am Netz, viele davon hochbetagt. 2018 hatte Emmanuel Macron angekündigt, dass bis 2035 der Anteil von Atomkraftwerken an der Stromerzeugung von heute 70 Prozent auf 50 Prozent gesenkt werden soll und 14 Reaktoren abgeschaltet würden.