Verhandlungen mit Iran: Die Angst vor der nächsten Katastrophe

Flugabwehrstellung an der iranischen Nuklearanlage Natanz. Archivfoto (2006): Hamed Saber/CC BY 2.0

Für die neue Nuklearvereinbarung fordert Teheran, dass die iranischen Revolutionsgarden von der US-Liste der Terrororganisationen gestrichen werden. Israels Regierung warnt vor diesem Schritt

Mit dem Ukraine-Krieg verändern sich Wahrnehmungen. Iran, zum Beispiel, hat in großen Mengen, was derzeit wieder sehr gebraucht wird: Erdöl und auch Erdgas. Das Land verfügt über die zweitgrößten Reserven der Welt, berichtete der Tagesspiegel vor zwei Jahren mit der Feststellung, dass Europas Traum vom iranischen Gas geplatzt sei.

Als Grund wurden die US-Sanktionen genannt: "Für einen iranischen Gasexport nach Europa durch Pipelines oder in Form von LNG gilt: Die US-Sanktionen müssten aufgehoben werden, sonst ist da wenig zu machen", so das Fazit des Politikwissenschaftlers und Iran-Experten Ali Fathollah-Nejad, der verschiedentlich auch auf Telepolis veröffentlichte, Anfang Januar 2020.

Für einen Wegfall der Sanktionen und Gasexporte, sagte er damals dem Tagesspiegel, gebe es auf absehbare Zeit wenig Chancen.

"Vor den letzten Schritten"

Nun gab es schon seit einiger Zeit immer wieder mal die Meldung, dass eine wiederaufbereitete Nuklearvereinbarung mit Iran so gut wie unterschriftsreif sei und der Verhandlungsmarathon dem Ende zugehe. Am. 11. März twitterte der EU-"Außenminister" Josep Borell in diesem Sinn und der iranische Außenminister Hossein Amir-Abdollahian äußerte sich letzte Woche ähnlich zuversichtlich: "Wir stehen kurz vor den letzten Schritten der Wiener Gespräche".

Doch die jüngste Meldung aus Wien, wo seit über einem Jahr über eine aktualisierte JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action)- Vereinbarung verhandelt wird, lässt wieder alles offen. "Ich möchte klarstellen, dass eine Einigung weder unmittelbar bevorsteht noch gewiss ist", gab der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, bekannt.

Die USA würden sich gleichermaßen auf ein Scheitern der Verhandlungen wie auf die "vollständige Umsetzung" des neuen Abkommens vorbereiten, meldet der österreichische Standard.

Als strittige Verhandlungspunkte werden genannt: "Wirtschaftliche Garantien", die Irans Vertreter für den Fall fordern, dass der nächste US-Präsident die Vereinbarung einseitig aufkündigt, wie dies Trump im Mai 2018 tat. Sollte Trump im November 2024 wiedergewählt werden, wäre das Déjà-vu sehr wahrscheinlich, auszuschließen ist das Risiko auch bei anderen Chefs im Weißen Haus nicht.

"Die größte Terrororganisation der Welt vom Haken lassen"

Gegenwärtig hat sich eine andere Forderung aus Iran in den Vordergrund geschoben. Die Vertreter Teherans wollen, dass ein weiterer Schritt Trumps rückgängig gemacht wird, bevor das JCPOA mit den USA an Bord wieder gelten soll: Die iranischen Revolutionsgarden (oft englisch mit IRGC abgekürzt, bekannt auch als Pasdaran) sollten wieder von der Liste der ausländischen Terrororganisationen (FOT, Foreign Terrorist Organization), entfernt werden, auf die sie Trump im April 2019 gesetzt hatte.

Auch das war mit wirtschaftlichen Sanktionen verbunden, die nicht nur eine zentrale militärische, sondern auch eine größere wirtschaftliche Macht im iranischen Staat trifft.

Der israelische Regierungschef Naftali Bennett und sein Außenminister Yair Lapid reagierten wenig begeistert über die Überlegungen in Washington, den Wünschen aus Teheran nachzukommen. Selbst das Kalkül der US-Regierung, den Schritt bei Nichteinhalten von Vereinbarungen wieder zurückzunehmen, überzeugte nicht. "Sie bitten jetzt darum, die größte Terrororganisation der Welt vom Haken zu lassen", schilderte Times of Israel letzte Woche die Reaktion Bennetts auf die Erwägungen in der US-Regierung.

Gestern berichtete der Spiegel vom Entsetzen über die Möglichkeit, dass die Biden-Regierung tatsächlich die Revolutionsgarden von der Terrorliste streichen würde. Nicht nur Bennett und Lapid würden sich große Sorgen machen, sondern eigentlich der gesamte Nahe Osten, lässt der Artikel verstehen:

Sollte es zu einem neuen Deal mit Iran kommen, wird der Westen sich selbst wohl wieder einmal selbstgefällig auf die Schulter klopfen. Im Nahen Osten aber wird sich niemand freuen. Mit Ausnahme des Regimes in Teheran.

Der Spiegel

Die Furcht vor den iranischen Raketen

In Jerusalem fürchte man die nächste Fehleinschätzung, so das Hamburger Nachrichtenmagazin, und die "nächste Weltkatastrophe". Der Westen könnte sich ähnlich täuschen wie beim russischen Präsidenten Putin. Insbesondere wird vor der iranischen Raketentechnik gewarnt, die aufgrund ihrer Präzision für Aufsehen sorgt, mit der auch die Hizbollah gefährlich aufgerüstet wurde.

Der frühere US-Präsident Trump und dessen Außenminister Pompeo wollten, dass das iranische "Raketenprogramm" wie auch die Präsenz iranischer Milizen, respektiver solcher, die Iran nahestehen, in Syrien und im Irak in eine neue Nuklearvereinbarung aufgenommen werden. Die frühere iranische Regierung weigerte sich. Von der neuen unter Präsident Ebrahim Raisi ist nichts anderes zu erwarten.

Sicher wurde dieses Thema bei den Verhandlungen angesprochen, inwieweit sie im neuen Text des Abkommens berücksichtigt werden, ist Gegenstand von Spekulationen und Insiderinfos. Auszugehen ist davon, dass die Vereinbarung die Summe gerade noch möglicher Kompromisse ist. Behauptet wird, dass Biden den JCPOA außenpolitisch so nötig hat wie auf der anderen Seite Iran das Ende der US-Sanktionen aus wirtschaftlichen Gründen.

Kurzfristig wäre ein Zustandekommen der neuen Vereinbarung ein Entspannungssignal, weil es zeigt, dass über Verhandlungen auch mit einer repressiven Staatsmacht etwas zu erreichen ist, das der Bevölkerung Erleichterung verschafft. Das Ziel eines Regime Change, das die US-Regierung unter Trump anvisierte, wurde auch mit "maximalen Druck" über Sanktionen nicht erreicht.

Für die Bevölkerung wurde nichts besser, auch wenn die Wirtschaft kreative Auswege aus den Sanktionszwängen entwickelte, wie der Wirtschaftshistoriker und Krisenexperte Adam Tooze beobachtet. Die repressive Herrschaft in Iran blieb unangetastet.

Langfristig wäre eine Möglichkeit, statt der nächsten Angst vor einer nächsten "Weltkatastrophe" zu folgen, die Dominanz des Hardcore-"Iran ist gleich Terrorismus"-Narrativ des langjährigen israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu endlich durch einen differenzierteren Ansatz abzulösen. Man könnte ja auch über gemeinsame Interessen nachdenken, statt sich in einem Schattenkrieg zu verschanzen, der viele Gelegenheiten zur Eskalation mit sich bringt.

Iran zählte 1948 zu den ersten Staaten, die das Existenzrecht Israels und seine Unabhängigkeit anerkannten. "Das Verhältnis zwischen dem Iran und Israel war bis zur Islamischen Revolution 1979 im Iran freundschaftlich", schreibt Wikipedia. Ist denn nicht gerade wieder mal "Zeitenwende", wo alles zur Revision ansteht?