"Verheerendes Signal gegenüber der kurdischen Community"

Mit Masken gegen Zensur: Einige Kurdinnen und Kurden demonstrierten am Mittwoch vor dem Bundesverwaltungsgericht. Foto: ANF

Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verbot zweier kurdischer Medienbetriebe bestätigt. Angeblich handelt es sich um PKK-Teilorganisationen. Verfassungsbeschwerden sollen folgen

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat am Mittwoch das Verbot des Mezopotamien-Verlags und des Musikvertriebs MIR Multimedia als angebliche Teilorganisationen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bestätigt und die Klagen der Betroffenen abgewiesen.

Beide Medienbetriebe waren im Februar 2019 unter dem damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit der Begründung verboten worden, sie hätten einzig und allein dem organisatorischen Zusammenhalt der seit 1993 in Deutschland verbotenen PKK gedient. Finanzielle und organisatorische Verflechtungen sah das Gericht als erwiesen an. Im Fall der Musikproduktionsfirma räumte es allerdings ein, dass diese "nur in geringem Umfang Propagandamaterial" vertrieben habe.

"Sie bedient im Wesentlichen mit ihrer Geschäftstätigkeit die Nachfrage nach kurdischer Musik und kurdischen Künstlern", erklärte das Gericht am Donnerstag. Allerdings seien die Einnahmen zum Teil an TV-Sender geflossen, der "PKK-Werbung" schalte, außerdem seien damit Großveranstaltungen des Dachverbandes der kurdischen Vereine in Deutschland gesponsert worden, die "von der PKK für die Verbreitung ihrer Ideologien genutzt" würden.

Im Fall des Mezopotamien-Verlags wurden hauptsächlich direkt "propagandistische" Zwecke unterstellt – er habe "PKK-nahe Bücher und Zeitschriften" sowie "PKK-Devotionalien" vertrieben. Beide Klägerinnen hatten jedoch verneint, Teilorganisationen der PKK zu sein.

Kurdische und türkische Linke kritisieren seit vielen Jahren, dass in der deutschen Öffentlichkeit ein Großteil der Sicht des repressiven Nato-Partnerstaats Türkei auf kurdische Organisationen übernommen werde, während das Verbot der PKK schon die unabhängige Information über deren Ziele erschwert – vor allem, wenn es in dieser Form auf mutmaßliche Teilorganisationen ausgedehnt wird.

Verlagsprogramm vielfältiger, als vom Gericht wahrgenommen?

In der Solidaritätserklärung hatten mehr als 100 Kultur- und Medienschaffende sowie vor allem linken Verlage kurz vor dem Urteil betont, dass zum Programm des Mezopotamien-Verlags auch Romane, Sachbücher über kurdische Kultur und Geschichte sowie Lehrbücher und Kinderbücher gehört hätten – neben Schriften zur Idee des demokratischen Konföderalismus, an der sich neben der PKK auch die in Deutschland nicht verbotene syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) orientiert. Außerdem habe der Verlag einige Bücher anderer Verlage vertrieben, darunter viele Werke der Weltliteratur.

Im Zusammenhang mit dem Verbotsverfahren habe das Bundesinnenministerium "buchstäblich tonnenweise Kulturgut" beschlagnahmen lassen und "vor allem das weltweit größte Archiv kurdischer Musik eingezogen", heißt es in der Erklärung. Und weiter: "Wir fordern die demokratischen Grundrechte der Kunst-, Meinungs-, Presse- und Publikationsfreiheit auch für die kurdischen Menschen in Deutschland ein." Der Appell blieb vergeblich.

Der Rechtshilfefonds Azadî e.V. kündigte noch am Mittwoch an, dass beide Vertriebe gegen das Leipziger Urteil Verfassungsbeschwerde vor dem höchsten deutschen Gericht in Karlsruhe einlegen werden. Das aktuelle Urteil sei "ein verheerendes Signal gegenüber der kurdischen Community in Deutschland". Weitere Menschen mit kurdischen Wurzeln könnten dadurch ihr Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik verlieren – wahrscheinlich verlören es auch die letzten, so der Verein, dessen Name auf Deutsch "Freiheit" bedeutet.

Bei der Vorstellung, dass auf Anordnung der Bundesregierung tonnenweise kurdische Kulturgüter vernichtet werden, kann es einem angesichts der deutschen Geschichte nur übel werden.


Rechtshilfefonds Azadî e.V.

Vor der Verhandlung am Mittwoch hatten sich die Anwälte der beiden Medienvertriebe kritisch zum Verfahrensablauf geäußert: Ihnen sei kein Zugang zu den beschlagnahmten Büchern gewährt worden, lediglich zu den Geschäftsunterlagen. So sei die Prozessvorbereitung erschwert worden.

Das Verbot der Kulturunternehmen nach dem Vereinsgesetz ist aus ihrer Sicht ein schwerwiegender Eingriff in die Kunstfreiheit und ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

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