Vermeidbare Hungerkatastrophe am Horn von Afrika
Neben dem Klimawandel sind eine verfehlte Agrarpolitik, Bürgerkrieg und die fatale Einmischung ausländischer Kräfte Ursachen für die Not von mehr als 10 Millionen Menschen
Die Hilfe für die hungernden Menschen am Horn von Afrika ist angelaufen. Über eine Luftbrücke von Nairobi nach Mogadishu können dringend benötigte Nahrungsmittel in die Region geflogen werden. Doch diese internationalen Anstrengungen kommen viel zu spät in Gang. Erst nachdem die Bilder von ausgemergelten Männern und Frauen und ihren sterbenden Kindern weltweit über die Fernsehbildschirme flimmerten, lief auch die Hilfsmaschinerie an.
Von der größten Dürrekatastrophe seit 60 Jahren sollen mehr als zehn Millionen Menschen betroffen sein, rund 500.000 droht der akute Hungertod. Hauptleidtragende sind wieder einmal die Kinder. Chaotisches, hoffnungsloses Afrika denken jetzt viele. Aber diese Katastrophe ist kein Naturereignis, sie war zumindest in dieser Dimension vermeidbar. Klimawandel, eine verfehlte Agrarpolitik, Bürgerkrieg und fatale Einmischung ausländischer Kräfte sind die politischen Ursachen für die dramatische Situation.
Die Region kennt das periodische Ausbleiben von Regenfällen, doch eine Dürre in diesem Ausmaß gab es hier noch nicht. Für Klimaexperten tritt am Horn von Afrika ein, wovor sie seit Jahren warnen. Dürrephasen werden intensiver und länger, dafür nehmen Starkregen und Flutkatastrophen zu, wie sie in anderen Teilen Kenias zu beobachten sind. Die anhaltende Dürre im Norden Kenias, im Grenzgebiet zu Äthiopien und in Somalia ist ein Vorbote des Klimawandels.
Doch für Helmut Hess, Somalia-Experte und früher Leiter der Afrika-Abteilung von Brot für die Welt, ist die Hungerkatastrophe auch Folge einer falschen Politik des Westens gegenüber dem gescheiterten Staat Somalia. Einem Staat, der nach 20-jährigem Bürgerkrieg völlig am Boden liegt. Der Westen betrachte Somalia nur unter dem Blickwinkel der Terrorbekämpfung, an einer politischen Stabilisierung sei niemand interessiert, kritisiert Hess.
Nur die Piratenbekämpfung und die Polizeiausbildung interessieren. Alle politischen Bemühungen des Westens haben zum genauen Gegenteil dessen geführt, was man erreichen wollte.
Helmut Hess
Wenn heute die Fundamentalisten der Al-Shabab weite Teile Somalias kontrollieren, dann ist das auch eine Folge dieser völlig verfehlten Politik. Fundamentalisten fallen eben nicht vom Himmel, sie sind eine Folge der Umstände. Die Einmischung von USA und Äthiopien hat sich als Brandbeschleuniger erwiesen.
Seit 2006 amtiert in Somalia eine Übergangsregierung, die von der UNO mit Rückendeckung Äthiopiens und der USA eingesetzt wurde. Sie sollte verhindern, dass die "Union der islamischen Gerichtshöfe" in Mogadishu die Macht übernimmt. Heute wünschen sich viele die moderaten Muslime von der "Union der islamischen Gerichtshöfe" zurück. Das christliche Äthiopien gilt vielen nationalistisch gesinnten muslimischen Somaliern als Erzfeind. Gleichzeitig ist Äthiopien wichtigster Verbündeter der USA im internationalen Kampf gegen den Terror in der Region.
Nach dem Einsatz der vom Ausland aufoktroyierten, total korrupten Übergangsregierung, die keinerlei Legitimität bei der Bevölkerung genießt, sind die islamistischen Al-Shabab-Milizen erst richtig stark geworden. Sie konnten sich als "Befreier" von den ausländischen Mächten aufspielen. "Es war fatal zu glauben, man könnte Somalia so befrieden", sagt Paul Bendix, Geschäftsführer von Oxfam Deutschland. "Die westliche Politik gegenüber Somalia war unklug." Heute kontrollieren die Al-Shabab einen Großteil des Landes, auch jene Provinzen, die besonders vom Hunger bedroht sind.
Wer den Menschen in Somalia helfen will, kommt wohl oder übel nicht an ihnen vorbei. 2010 haben sie verhindert, dass die UNO über das World Food Program (WFP) Hilfslieferungen an die notleidende Bevölkerung schickt. Heute behindern sie immer wieder Hilfslieferungen des WFP in manche Regionen. Für kleinere nichtstaatliche Hilfsorganisationen mit einheimischen Partnern ist es leichter zu helfen, ihr Einsatz ist nicht so politisch aufgeladen wie die UN-Hilfe. Die Organisation Oxfam kann rund eine Million Menschen im Krisengebiet versorgen, auch dort, wo die Al-Shabab-Milizen das Sagen haben.
Helmut Hess ist ehrenamtlich bei der somalischen Nicht-Regierungsorganisation DBG engagiert, die auf deutsch "Wir helfen allen" bedeutet und vor allem in der Region Mogadishu ihre Projekte betreibt. "Man kann mit den Al-Shabab verhandeln, um in den von ihnen kontrollierten Gebieten humanitäre Hilfe zu leisten", sagt der Afrikakenner und wirft der Bundesregierung vor, die korrupte Übergangsregierung zwar anzuerkennen, aber Gespräche mit den Al-Shabab kategorisch abzulehnen. Die norwegische Hilfsorganisation Norwegian Church Aid versorgt ebenfalls rund 30.000 Menschen mit Hilfsgütern in der Provinz Gedo, dem Kernland der Al-Shabab. Sie behindern diese unschwer als kirchlich zu erkennende Hilfsorganisation nicht.
Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren die Ausbildung von Polizisten der verhassten Übergangsregierung mit rund eine Million Euro unterstützt. 50 Millionen Euro zahlt Deutschland allein in 2011 für die EU-Mission "Atalanta" zur Bekämpfung von Piraten. "Um andere Formen der Piraterie vor der Küste Somalias kümmert man sich nicht", moniert Hess. Europäische Trawler fischen illegal in den reichhaltigen Gewässern vor Somalia und berauben so die Fischer ihrer Lebensgrundlage.
Doch auch die Entwicklungspolitik der internationalen Geber und der Regierungen von Kenia und Äthiopien hat zur Krise beigetragen. Sie haben die kleinbäuerliche Landwirtschaft und die Nomaden vor allem in den marginalisierten Regionen im Norden Kenias und im äthiopischen Ogaden sträflich vernachlässigt. Ulrich Delius, Afrikareferent der Gesellschaft für bedrohte Völker, kritisiert die Agrarpolitik von Kenia und Äthiopien hart:
Im vergangenen Jahrzehnt sind hunderttausende Hektar Weideland verloren gegangen, weil es von den Behörden zweckentfremdet und als vermeintlich ungenutztes Land für Agrarprojekte verpachtet oder für die Ansiedlung von Bauern zur Verfügung gestellt worden.
Ulrich Delius
Auf diese Flächen weichen die Nomaden mit ihren Herden gerne aus, wenn es auf den normalerweise genutzten Weiden nicht genug Futter gibt. In der Krise fehlen sie schmerzlich. Außerdem wurden Warnhinweise der Hilfsorganisationen auf eine drohende Katastrophe nicht beachtet. Bereits im November 2010 gab es Hinweise auf steigende Nahrungsmittelpreise und fallende Viehpreise - klassische Indikatoren für drohenden Hunger. Dann wäre noch Zeit gewesen, um das Vieh mit Futter zu versorgen. Es hätte dann weiter Milch und Fleisch produzieren können.
Jetzt stehen die Nomaden vor dem Nichts, selbst wenn sie die akute Notsituation überleben. Hilfsorganisationen fordern deshalb einen Nothilfefonds, um in Zukunft rechtzeitig zu helfen. Nicht erst, wenn sie die notwendigen Gelder eintreiben können, weil die Bilder leidender Kinder unser Mitleid wecken.