Vermisst: John Balance und Peter Christopherson (Coil)
"ars electronica"-Preisträgerkonzert fand ohne Musiker statt
Jene neue Bewegung in der elektronischen Musik, die klickt und beept, ist mitunter schwierig. Puristisch, streng, ernst und reduktionistisch kracht und röchelt es dahin. Die Musiker verschanzen sich hinter ihren Powerbooks, Minidisc-Playern und Effektgeräten. Wenn sie denn kommen.
"20' to 2000" heißt jene Zwölf-CD-Kollektion des "raster-noton"-Labels, die in diesem Jahr die "Goldene Nica" in der Kategorie "Digital Musics" des "Prix Ars Electronica" bekam. Zwölf Künstler gestalteten je eine CD in der Länge von zwanzig Minuten - von noto (Carsten Nicolai) bis Scanner (Robin Rimbaud), von Thomas Brinkmann bis Mika Vainio. Gestern abend fand nun zum Abschluss (und Höhepunkt?) des diesjährigen "ars electronica"-Festivals ein "Preisträgerkonzert des Prix Ars Electronica 2000 mit Präsentationen und Performances der an diesem Projekt beteiligten Künstler" (Zitat aus dem "ars"-Buch, Seite 313) statt.
Die Freunde experimenteller Musik - angereist aus der ganzen Welt, teilweise sogar extra für diesen Abend - haben sicher gerne die 250,00 ATS Eintritt bezahlt, waren doch zum Abschluss der Serie "Elph" alias "Coil" alias John Balance und Peter Christopherson angekündigt.
Nur, der Teufel liegt - wie so oft - im Detail.
Während auf der mit Kreide beschriebenen Tafel vor dem Konzertsaal für 1:00 eben die besagten "Elph" angekündigt waren (so wie auch die anderen elf Acts, von denen 10 brav angetrabt waren - Wolfgang Voigts Abwesenheit war angekündigt worden), gab Scanner alias "Robin Rimbaud" an der Bar seinem überkochenden Gemüt freien Lauf. "Elph" seien gar nicht hier, ließ er mich wissen. Diese hätten als "Coil" zusammen mit "Foetus" am 19. September in London eine wichtige Show und müssten sich dafür vorbereiten. Sie wollten nie nach Linz kommen. Schade.
Aber hatte denn auch irgendwer erwartet, ein Konzert "mit Präsentationen (...) der (...) Künstler" müsse zwingend ein Konzert mit den Künstlern sein? Die Verweigerungshaltung gegenüber dem klassischen Autorenmodell in der elektronischen Avantgarde sei hier erwähnt. Die Präsentationen der Künstler können auch durch andere Menschen erfolgen. Etwa durch einen Unbekannten mit Kapuze.
Und so spielte sich das Konzert von "Elph" dann ab: Die CD von "Elph" lief, während ein Mann mit grauem Trainingsanzug und Kapuze, mit dem Rücken zum Publikum, gaaaanz langsam über die Bühne schritt. Wenige Minuten nach Beginn dieser Performance überreichte ihm jemand die "Goldene Nica". Fortan hielt er sie, zu den Klängen von "Elph" stehend, in den Händen. Genial.
Möglicherweise ließ diese Performance noch andere als die Ars-electronica-Hausfotografin etwas verwirrt zurück, die mich fragte, ob das jetzt der Hauptact gewesen sei? Ihr und allen anderen sei gesagt, dass sie die Entkopplung von Sound, Live-Show und Musikerpersönlichkeit einfach noch nicht verstanden haben. Sie erliegen einer klassischen Consumer-Haltung, wenn sie bei solchen Konzerten Menschen anschauen wollen - und auch noch etwas hören wollen, was diese Menschen live produzieren. Zum Trost sei hinzugefügt dass sich "Coil" sowieso gerne rar machen. In Berlin, beim ersten "20' to 2000"-Konzert, war auch nur einer von ihnen, Peter Christopherson, on stage.
Außerdem könnte der kleine Mann mit Kapuze am Ende ja doch Peter "Sleazy" Christopherson gewesen sein? Dann hätten "Elph" wohl ein bahnbrechendes Konzert gegeben, bei dem sie selbst vordergründig nicht anwesend waren, in Wirklichkeit aber doch. Wie gut, dass Telepolis diesen konzeptuellen Trick durchschaut hat. Sonst wären wir beinhart in die Falle gegangen und hätten womöglich einen Skandal angeprangert, wobei es doch eigentlich nur darum ging, unsere Rezeptionsgewohnheiten aufzubrechen und uns dadurch zum Nachdenken zu zwingen.