Vermögen der Eltern bestimmt Bildungs- und Berufsbiografien
Eine länderübergreifende Studie analysiert die Funktion "privater Sicherheitsnetze"
Die Frage, von welchen Faktoren der Bildungs- und Berufserfolg junger Menschen abhängt, ist seit Jahren Gegenstand intensiver Forschungen und kontroverser Debatten. Der Bildungsstand und der berufliche Status der Eltern spielen als Ausgangsposition offenbar eine wichtige Rolle – und selbstredend entscheidet auch das Haushaltseinkommen über die Möglichkeit, an Schul-, Hochschul-, Lern- und Freizeitangeboten teilnehmen zu können.
Eine Studie des Soziologen Fabian Pfeffer von der Universität Michigan kommt nun zu dem Schluss, dass soziale Aufstiegschancen zu einem "beträchtlichen Teil" schon vom Vermögen der Eltern abhängen. Ihr finanzieller Hintergrund bildet "ein privates Sicherheitsnetz für die Bildungsentscheidungen und -karrieren der Kinder", meint Pfeffer mit Blick auf die Situation in Deutschland, den USA und Schweden. In allen drei Ländern verfügen etwa zehn Prozent der Bevölkerung über mehr als die Hälfte des Privatvermögens.
Vermögenssteuern für bessere Startchancen?
Beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, wo die aktuelle Studie publiziert wurde, forschte man vor Jahren noch nach anderen Ursachen für unterschiedliche Bildungs- und Berufsbiografien. Der Schulabschluss der Eltern sei wichtiger als ihr Verdienst, hieß es 2005, denn die Kinder von Akademikern besuchten auch bei niedrigem Haushaltseinkommen eher ein Gymnasium.
Die Schlüsse, die damals aus der Auswertung von Daten des Sozio-oekonomischen Panels gezogen wurden, hatten durchaus gesellschafts- und sozialpolitische Relevanz. Eine Steigerung des Familieneinkommens durch höhere Transferleistungen sei nicht geeignet, die Chancengleichheit im Bildungssystem zu erhöhen, folgerten die Forscher des DIW.
Aus der aktuellen Untersuchung, die ebenfalls auf dem Sozio-oekonomischen Panel sowie auf Daten der amerikanischen Langzeitstudie Panel "Study of Income Dynamics" und schwedischen Registerdaten basiert, werden ganz andere Schlüsse gezogen. Autor Fabian Pfeffer regt eine (höhere) Vermögenssteuer an, um eine soziale Schieflage zu begradigen, die grundsätzlich bekannt ist, im Zusammenhang mit Bildungsbiografien bislang aber nur unzureichend erforscht wurde.
Um die Startchancen für Jugendliche aus allen Bildungsschichten anzugleichen, wäre sowohl eine verbesserte Politik der Vermögensbildung als auch eine höhere steuerliche Belastung der hohen Vermögen denkbar.
Fabian Pfeffer
Eine "Dimension sozialer Ungleichheit"
Dabei wird der signifikante Einfluss des elterlichen Bildungsstandes und des gesamten Haushaltseinkommens in der aktuellen Untersuchung keineswegs bestritten. Durch die Hinzunahme des Faktors Vermögen ergibt sich allerdings ein differenzierteres Bild. Wenn Eltern über erhebliche Rücklagen verfügen, scheint sich aus diesem Umstand "an independent dimension of social inequality" zu generieren.
Das "private Sicherheitsnetz" muss nach Ansicht der Forscher nicht einmal in Anspruch genommen werden, um seinen Zweck zu erfüllen. Das bloße Bewusstsein seiner Existenz reicht, um die Bandbreite der Entscheidungsmöglichkeiten in Sachen Bildungswege voll ausschöpfen zu können und in der Folge einen sozialen Aufstieg zu bewältigen, der über den beruflichen und ökonomischen Status der Eltern hinausreichen kann.
In den USA werden die Verbindungslinien besonders deutlich. Vom "besseren" Wohngebiet und privilegierten sozialen Umfeld führt der Weg zu renommierten Schulen und auf Universitäten, deren horrende Studiengebühren kein finanzielles Problem darstellen. Mehr als 50 Prozent der Kinder, deren Eltern zum wohlhabendsten Zehntel der Gesellschaft zählen, erreichen mindestens einen Bachelorabschluss. Im Zehntel mit den geringsten Vermögen schafft es nur jedes zehnte Kind.
Aber auch in Deutschland und Schweden fühlen sich die Kinder vermögender Eltern laut Studie offenbar sicherer in ihren Bildungs- und Zukunftsentscheidungen, sodass beispielsweise ein Studium aufgenommen werden kann, weil der eventuelle Abbruch desselben keine gravierenden finanziellen Folgen hätte. "Die feinen Unterschiede", denen Pierre Bourdieu so detailfreudig nachspürte, lassen sich zu guter Letzt dann eben doch als Kontostand abbilden.
Johannes Steigleder hatte Deutschland und Schweden schon 2005 im Blick. Seine Abhandlung "Die Familie im Wohlfahrtsstaat" vergleicht beide Länder hinsichtlich der Reproduktion sozialer Ungleichheit und kommt zu dem Schluss, dass die soziale Herkunft "als Determinante der Lebenschancen" fungiert und Einkommen und Vermögen eine Basis bilden, "anhand derer sich Individuen gesellschaftlich verorten und Handlungsräume wahrnehmen".
So sind zwar einerseits direkte Umwandlungen von z. B. Geld in Positionen in modernen Gesellschaften untersagt. Bildungsabschlüsse sind in der Regel nicht käuflich zu erwerben, und wo dies der Fall ist, ist die Nutzung dieser Möglichkeit negativ sanktioniert. Andererseits bietet die Ausstattung mit monetären Ressourcen oft die Chance, die Bedingungen für den Eintritt und das Gelingen in Bildungsinstitutionen zu erleichtern. Hier findet unter Umständen eine Ressourcenübertragung von Eltern auf Kinder statt.
Johannes Steigleder: Die Familie im Wohlfahrtsstaat
Humankapital als Anlageklasse
Im 360 Seiten starken "Bildungsbericht 2012" ist von Wahrnehmungs- und Urteilsvermögen die Rede, doch der Einfluss der finanziellen Vermögensbildung der Eltern auf die Bildungs- und Erwerbsbiografien ihrer Kinder spielt praktisch keine Rolle. Überhaupt können die Autoren dem Reizthema unterschiedlichster, vom sozialen Status bedingter Teilhabemöglichkeiten auch angenehme Seiten abgewinnen. So gebe es beispielsweise "Familien mit geringen ökonomischen Ressourcen, die häufiger mit ihren Kindern zusammen musizieren als Eltern in der höchsten Einkommensklasse".
Dies weist darauf hin, dass bei jenen Familien, die durch institutionelle Angebote seltener erreicht werden, ein breites Interesse am Musizieren besteht, dieses aber vor allem in der Familie ausgelebt wird.
Bildungsbericht 2012
Während der Bildungsbericht die Hausmusik hochleben lässt, geht man beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH (ZEW) in Mannheim der Frage nach, wie privates Kapital zur Finanzierung von Hochschulbildung herangezogen und sinnvoll eingesetzt werden kann. Im Auftrag des Landes-Baden-Württemberg wollen die Forscher vor allem "Risiken von Humankapitalinvestitionen aus der Perspektive von Investoren" einschätzen.
Die Analysen schließen die Entwicklung eines theoretischen Modells ein, das die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Eigenschaften von humankapitalbasierten Anlageformen als Anlageklasse untersucht.
Projektvorstellung "Private Finanzierung von Hochschulausbildung – Humankapital als Anlageklasse"
Derweil hat (nicht nur) die Stiftung Würth bereits ein privat finanziertes Bildungsprojekt umgesetzt. Die Freie Schule Anne-Sophie in Künzelsau gewährt zwar Stipendien und Sozialtarife, doch wenn Eltern über ein "privates Sicherheitsnetz" verfügen und problemlos mehrere hundert Euro Gebühren pro Monat zahlen können, sieht die Lage sehr viel einfacher aus.
Die nächste Generation
Während die einen das Thema Vermögen und Bildung erst ansatzweise zur Kenntnis genommen haben, überlegen andere bereits, wo und wie das Geld am gewinnbringendsten angelegt werden kann. Warum nicht mal in Humankapital – vielleicht kommt es sogar beim eigenen Nachwuchs wieder raus?
Bis 2020 werden nach einer Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge 2,6 Billionen Euro privater Vermögenswerte vererbt. Das klingt nach einer beachtlichen Summe, aber nur 0,2 Prozent der Nachkommen erben mehr als 250.000 Euro. 33 Prozent können zwischen 150.000 und 250.000 Euro erwarten und liegen schon nicht mehr im Bereich weit überdurchschnittlicher Vermögen.
Wer allerdings schon hat, bekommt aller Voraussicht nach noch sehr viel mehr. Das Nettovermögen des deutschen Staates sei zwischen Anfang 1992 und Anfang 2012 um mehr als 800 Milliarden Euro zurückgegangen, während das Nettovermögen der privaten Haushalte von knapp 4,6 auf rund 10 Billionen Euro gestiegen sei, stellte man auf Regierungsebene beim Blick auf den neuesten Armuts- und Reichtumsbericht fest.
Insbesondere der Anteil des obersten Zehntels, um den die Bildungsstudie von Fabian Pfeffer kreist, sei "im Zeitverlauf immer weiter gestiegen". 2008 sollen diese zehn Prozent der Bevölkerung über 53 Prozent des Nettogesamtvermögens verfügt haben - 1998 waren es noch 45 Prozent.
Für die unteren zehn Prozent bleibt da nicht viel übrig und dieser Befund gilt auch für die Bildungsmobilität ihrer Kinder. Der schöne alte Satz, der verspricht, dass es die Kinder einmal besser haben sollen "als wir", bewahrheitet sich nur in bestimmten gesellschaftlichen und sozialen Gruppen.
Dabei haben viele OECD-Länder schon Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Kinder einen höheren Bildungsabschluss und sozialen Status erreichen können als ihre Eltern. Deutschland allerdings nicht. Hierzulande kommt nur jede(r) Fünfte der 25- bis 34-jährigen Erwerbstätigen zu einem höheren Bildungsabschluss als die Eltern. 22 Prozent müssen sogar versuchen, sich mit einem niedrigeren Abschluss am Arbeitsmarkt durchzusetzen.