"Vermummungsverbot" im Netz?
In der realen Welt funktioniert die soziale Kontrolle heute im ländlichen Raum zumeist noch sehr gut. In der virtuellen Welt kann man sich durch mancherlei technische Hilfsmittel vor dieser Kontrolle schützen. Das passt nicht jedem.
Seit geraumer Zeit beklagen sich zahlreiche Ermittlungsbehörden darüber, dass sie Probleme dabei haben, Straftaten im Internet zu verfolgen, weil sie die Täter in der realen Welt nicht identifizieren können. Es geht dabei nicht nur um die Kommunikation im Dark Net, sondern um die ganz gewöhnliche Kommunikation und Meinungsäußerung im Internet. Konnte man den Postverkehr und die telefonische Kommunikation aufgrund eines Richterbeschlusses auch in Deutschland vergleichsweise elegant durchführen, ist dies im Zeitalter der digitalen Kommunikation und ihrer Verschlüsselungsmöglichkeiten deutlich schwerer. Schon alleine der Gebrauch von Nicknames in Foren und die Forenanmeldung über nicht persönlich zuzuordnende E-Mail-Accounts stellen zuweilen ein beachtliches Hemmnis bei der Ermittlungstätigkeit der Strafverfolger dar.
Künftig nur noch mit Klarnamen ins Netz?
Die Idee dahinter lautet, wenn sich alle Internetnutzer nur noch mit ihrem echten Namen registrieren dürften, dann würde das Netz schlagartig befreit von allen Hasskommentaren und Verleumdungen, die so mancher Zeitgenosse unter dem Schutz einer gefühlten Anonymität absondert.
In Österreich gibt es derzeit Bestrebungen, die Identität von Internetnutzern leichter ermitteln zu können. Zuerst war vermutet worden, dass man einen Klarnamenzwang durchsetzen wolle. Davon ist man inzwischen wohl abgerückt.
Wer schon einmal einen Wolfgang Müller im Netz gesucht hat, kann sich lebhaft vorstellen, welchen Aufwand es bedeutet, alle Menschen gleichen Namens zu sichten. Da Vornamen zeitlichen Moden unterliegen, sind die im Netz angetroffenen Menschen gleichen Namens vielfach auch noch im etwa gleichen Alter. Daher wird bei telefonischen Identifikationsabfragen üblicherweise immer noch das Geburtsdatum und die Adresse abgeglichen.
Mit dem Argument, dass man im realen Leben sich bei einer Polizeikontrolle auch ausweisen muss, will man die Ermittlung der Personendaten jetzt auch im Netz erleichtern. Schon heute ist es Strafverfolgungsbehörden möglich über die gespeicherten IP-Adressen an die Identität von Internetnutzern kommen. Dies ist jedoch deutlich mühsamer als eine Personenkontrolle auf der Straße.
Vorbild Südkorea?
Es wird in Österreich offensichtlich überlegt, dass sich Internetnutzer gegenüber Foren und anderen Kommunikationsplattformen identifizieren müssen, bevor sie diese nutzen dürfen. Man darf dann zwar weiterhin unter einem Pseudonym im Netz auftreten, aber der Betreiber der Website muss die realen Personendaten speichern und auf Anfrage der Strafverfolgungsbehörden herausrücken.
Wie das in der Praxis bei Plattformen geschehen soll, die außerhalb des Geltungsbereichs österreichischer Gesetze oder gar außerhalb der EU geschehen soll, wurde bislang noch nicht mitgeteilt. Soweit scheinen die Überlegungen noch nicht gediehen zu sein. Und welche Hoffnung man in diesem Zusammenhang auf die internationale Ermittlungskooperation setzen darf, ist durchaus zweifelhaft, wenn man das aktuelle Schicksal des letzten Interpol-Präsidenten betrachtet.
Unter den als demokratisch bezeichneten Staaten ist Südkorea bislang am schärfsten gegen die Anonymität im Internet vorgegangen. Dort führte man im Jahre 2007 eine Identifikationspflicht ein. Wer sich auf einer großen Webseite artikulieren wollte, musste gegenüber dem jeweiligen Betreiber zuerst seine richtigen Personendaten offenlegen. Da in Südkorea jeder Bürger eine eindeutige Einwohnernummer hat, nutze man diese zur Identifizierung der jeweiligen Nutzer im Rahmen der Anmeldung. Damit war jeder Nutzer ohne großen Aufwand jederzeit zu ermitteln.
Am Anfang konnte durch dieses Gesetz die Zahl der Online-Beleidigungen durchaus reduziert werden. Innerhalb kurzer Zeit wurden die Nutzer jedoch deutlich kreativer bei ihren Beschimpfungen. Die waren aufgrund der neuen Wortwahl zwar formal nicht mehr justiziabel, aber für Kenner des jeweiligen Umfeldes dennoch als Beleidigung erkennbar. Dazu wurden beispielsweise die Namen der angegriffenen Politiker verballhornt. Im Zweifelsfall war das dann ein unbeabsichtigter Schreibfehler oder einfach ein Irrtum des Schreibers. Das Gesetz war in dieser Hinsicht letztlich wohl weitgehend wirkungslos.
Es hatte jedoch eine andere, vorher nicht bedachte, Auswirkung. Da die realen Daten der Nutzer alle online gespeichert werden mussten, damit die Strafverfolgungsbehörden darauf schnell Zugriff nehmen konnten, nutzen Hacker diese Möglichkeit ebenfalls und klauten die persönlichen Daten von 35 Millionen Südkoreanern, womit ungefähr 70 Prozent der südkoreanischen Bevölkerung betroffen gewesen sein sollen, deren Identitäten in der Folge auf dem Schwarzmarkt angeboten wurden. Anstelle einer Reduzierung der "Hassposts" im Netz hatte die südkoreanische Regierung mit ihrem Gesetz dem Datendiebstahl Vorschub geleistet. Der südkoreanische Verfassungsgerichtshof ordnete daher im Jahre 2012 an, dass das Gesetz zur Identifikationspflicht aufgehoben werden musste. Statt Nutzen hatte es nur Schaden bewirkt.
Schärfere Gesetze ohne verbesserte Strafverfolgung sind nicht zielführend
In einer Studie zu Shitstorms und vergleichbaren Massenaktivitäten im Netz konnten die Zürcher Wissenschaftler Katja Rost, Lea Stahel und Bruno Frey herausfinden, dass Unterzeichner von Online-Petitionen, die ihren echten Namen verwenden, noch etwas härter agierten als die pseudonymen Akteure. Die These der Autoren lautet in diesem Zusammenhang, dass sich die Nutzer von Klarnamen eine höhere Glaubwürdigkeit ihrer Aussagen versprechen. Das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung wurde von ihnen offensichtlich als vernachlässigbar eingeschätzt.
Solange die Strafverfolgungsbehörden mangels entsprechenden qualifizierten Personals nicht in der Lage sind, Verstöße auf der Basis der vorhandenen Gesetze zu verfolgen, ist ein Verschärfung der gesetzlichen Rahmenbedingungen wenig hilfreich und kann in ihren Wirkungen leicht durch Kollateralschäden übertroffen werden, die kaum noch zu begrenzen sind, wie das Beispiel aus Südkorea zeigt.