Verräterische Muster im Gehirn
Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen, die Absichten von Probanden an ihrer Hirnaktivität abzulesen
Unsere Gedanken kann niemand wirklich lesen. Was wir planen und vorhaben, bleibt anderen Menschen verborgen, bis wir es in die Tat umsetzen – das glauben wir zumindest. Forschern des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften ist es jetzt allerdings gelungen, die Absichten ihrer Versuchspersonen schon im Voraus zu entschlüsseln. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler in Current Biology Online veröffentlicht.
Was kann man aus der Hirnaktivität eines Menschen über seine Gedanken ablesen? Diese Frage bewegt die Gehirnforschung seit langem. Bisherige Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass man etwa die Wahrnehmung von Bildern oder einfache motorische Tätigkeiten aus der Hirnaktivität sehr gut ablesen kann.
John-Dylan Haynes, vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, und seinen Kollegen aus London und Tokio ging es nun darum zu untersuchen, ob sich auch sehr abstrakte Vorgänge – z.B. Absichten, Pläne, sich etwas für die Zukunft vornehmen – aus der Gehirnaktivität ermitteln lassen. Gedanken also, die den Menschen zum Menschen machen. Um die Fragestellung auszuweiten, haben sie sie kombiniert mit einer weiteren komplexen Fähigkeit, die Tiere nicht besitzen: dem Rechnen.
Freie, geheime Entscheidungen
Für ihre Versuche stellten die Forscher ihren Probanden einfache Rechenaufgaben: Sie sollten sich vornehmen, zwei Zahlen entweder zu addieren oder zu subtrahieren – die Entscheidung darüber lag einzig bei ihnen. Noch bevor die Probanden die Zahlen zu sehen bekamen und zu rechnen begannen, konnten die Wissenschaftler mit einer Genauigkeit von 70 Prozent die Absicht der Probanden erkennen – allein anhand ihrer Gehirnaktivität, die Haynes und Kollegen mittels der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) aufzeichneten.
Andere Aktivitäten, wie zum Beispiel die eigentliche Rechnen oder die Vorbereitung der Handbewegung zum Eingeben der Lösung, fanden im Zeitraum der Messungen, aus denen die Wissenschaftler ihre Prognosen trafen, nicht statt. Die Zahlen erschienen erst einige Sekunden später auf dem Monitor und die Probanden konnten ihre Rechenaufgabe ausführen. Haynes im Gespräch mit Telepolis:
Wir stellten fest, dass jeder der beiden Absichten, also die Zahlen zu addieren oder sie zu subtrahieren, ein charakteristisches Aktivierungsmuster im Gehirn zugeordnet war, eine Art Fingerabdruck. Wir versuchten diese Fingerabdrücke mittels einer so genannten Mustererkennungssoftware zu identifizieren. Diese Software funktioniert so ähnlich wie die, die beispielsweise zur Erkennung von Gesichtern oder Sprache verwendet werden. Dabei trainierten wir diese Programme darauf, die Aktivierungszustände im Gehirn zu erkennen, die mit solchen Absichten einhergehen. Und tatsächlich ist es uns anschließend gelungen, die Absichten unserer Probanden vorherzusagen, obwohl die zu der Zeit noch geheim waren. Wir konnten ermitteln, wann und welche Entscheidung er traf.
Neuronale Aktivitätsmuster
Dass den Forschern ihre Vorhersagen gelangen, liegt an der besonderen Funktionsweise des Gehirns. Eine neue Erkenntnis dieser Studie ist nämlich, dass Absichten nicht in einzelnen Nervenzellen gespeichert werden, sondern in einem räumlich verteilten Muster neuronaler Aktivität.
Man wusste bislang nicht genau, wie Gedanken im Gehirn eingespeichert sind; man wusste nur ungefähr wo das jeweils stattfindet. Wir konnten erstmals zeigen, dass nicht einzelne Zellen für eine Absicht zuständig sind, sondern dass es ganze Kollektive von Nervenzellen sind, die ein spezifisches Muster bilden, das die Absicht speichert. Wir haben gelernt, wie bestimmte Gedanken in den Gehirnen einzelner Probanden eingespeichert sind.
Haynes
Im Übrigen sah das Muster bei jedem Probanden individuell unterschiedlich aus, nur die Gehirnregion, der mittlere Teil des präfrontalen Kortex, war immer die gleiche.
Die Befunde, die Haynes und sein Team vorlegen, haben verschiedene Anwendungsmöglichkeiten: Sie könnten helfen, Geräte (z.B. Brain-Computer-Interfaces) zu verbessern, die es Schwerstbewegungsbehinderten ermöglichen, ihre Gliedmaßen oder auch einen Cursor zu steuern. Bislang werden dabei Absichten für einfache motorische Tätigkeiten mit der Gehirnspannungsmessung ausgelesen. Die vorliegenden Ergebnisse eröffnen nun die Perspektive, dass auch sehr komplexe Gedanken aus der Gehirnaktivität ablesen werden können. Dies gelingt vorerst allerdings nur mit der Magnetresonanztomographie. Die Übertragung auf die Elektroenzephalografie muss erst noch gelöst werden.