Verschwörungstheorie? Aber sicher!
Missbrauch und Tabuisierung eines analytischen Werkzeugs nach 9/11
Seit den Terroranschlägen vom 11.September 2001 hat der Begriff "Verschwörungstheorie" eine erstaunliche Karriere gemacht – vom neutralen Ausdruck zum Schimpfwort, vom deskriptiven Begriff für eine auf Indizien und Spuren beruhenden Hypothesenbildung zur diskriminierenden Diskurskeule, vom analytischen Werkzeug zum Tabu.
Dass sich A und B hinter dem Rücken von C absprechen, um einen Vorteil zu erlangen - das Muster der Verschwörung ist vom Liebesleben bis zur Weltpolitik ebenso allgegenwärtig wie das ständige Misstrauen, der permanente Verdacht, zum Opfer einer solchen Verschwörung zu werden. "Wer in Washington nicht paranoid ist, spinnt", hat einer der blutigsten globalen Strippenzieher, Henry Kissinger, einmal gesagt und damit die Lage im Haifischbecken der Machtpolitik zutreffend beschrieben. Nicht der Verschwörungstheoretiker, sondern der Gutgläubige ist der Spinner. Neuerdings indessen steht das Verhältnis wieder andersherum: Gutgläubigkeit gilt als gesund und vernünftig, Verschwörungstheorien hingegen als gefährliche Verrücktheit, der vor allem Terroristen, Nazis und ihre Freunde anheimfallen.
Als ich Ende der 90er Jahre mit Robert Anton Wilson an der deutschen Ausgabe seiner Enzyklopädie "Everything Under Control" ("Lexikon der Verschwörungstheorien", Eichborn-Verlag) arbeitete, erzählte er mir von seinen Erfahrungen mit dem Sammeln und der Akzeptanz von Verschwörungshypothesen und der Warnung, die er vor allem in seinem links-liberalen kalifornischen Bekanntenkreis öfter gehört hatte: "So darf man doch nicht denken, Bob, das ist Denken wie Hitler."
Doch auch wenn Hitler, der mit dem Feindbild einer "jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung" operiert und seine Kriegs- und Vernichtungspolitik damit angeheizt hatte, längst nicht der einzige Politiker der Geschichte ist, der mit wilden Behauptungen über geheime Verschwörungen Propaganda betrieb, ist konspiratives Denken keineswegs desavouiert. Im Gegenteil, denn ebenso wie reale Verschwörungen alltäglich vorkommen, so werden auch fiktive Theorien über vermeintliche Übeltäter und Volksfeinde seit jeher und immer wieder zur Mobilmachung benutzt. Und oft wird dann der Theorie – den Worten und Bildern der Propaganda – praktisch nachgeholfen, mit Inszenierungen unter falscher Flagge – vom deutschen Sender Gleiwitz, den Nazis in polnischen Uniformen selbst überfielen, um den Angriff auf Polen zu begründen, über den Golf-von-Tonkin-Zwischenfall, den die Amerikaner zur Bombardierung Nordvietnams erfanden, bis zu den Terrorbomben im Italien der 70er, die Kommunisten angelastet wurden, aber von Rechtsradikalen und Geheimdiensten stammten. Verschwörungstheoretisches Denken im politischen Bereich zum Tabu zu erklären, ist insofern eine gefährliche Naivität.
Verschwörungstheoretisches Denken kann aufklärerische Pflicht sein
Verschwörungstheorien leben von begründeten Vermutungen und fehlenden definitiven Beweisen, doch um plausibel zu sein, müssen sie genügend Realitätspartikel enthalten. Wie der Kriminalist einer Verbrecherbande oder der Arzt einer Krankheitsursache anhand von Anzeichen und Indizien auf die Spur zu kommen sucht, ist auch der Verschwörungstheoretiker zuerst einmal ein Analytiker, der einen ungeklärten Sachverhalt aufzuklären versucht und, so lange eindeutige Beweise fehlen, auf Hypothesen angewiesen ist.
Gegen ein solches Vorgehen ist nicht nur nichts einzuwenden, es ist für eine erfolgversprechende Suche sogar zwingend geboten, verschwörungstheoretisches Denken insofern aufklärerische Pflicht. Erst wenn eindeutige Beweise vorliegen, ist diese Pflicht erfüllt. Statt mit einem begründeten Verdacht, einer Theorie, haben wir es dann mit den Fakten einer realen Verschwörung zu tun, beziehungsweise – wenn z.B. die Fingerabdrücke am Tatort definitiv nicht von den Verdächtigten stammen - mit einem unbegründeten Verdacht. Was dann weitere Ermittlungen nötig macht - und eine neue Verschwörungstheorie, in welcher Richtung diese Ermittlungen erfolgreich sein könnten.
Der Grund, warum ein derart vernunftgemäßes, analytisches Vorgehen überhaupt in einen schlechten Ruf geraten konnte, ist der schon erwähnte Missbrauch unbewiesener Verdächtigungen zu propagandistischen Zwecken, die Behauptung angeblicher Verschwörungen zur Konstruktion von Feindbildern, die zur politischen Manipulation und Mobilmachung der Massen ebenso genutzt werden wie im sozialen Bereich zum Mobbing von Einzelnen. In Rechtstaaten ist dieser Missbrauch mit der Strafbewehrung der üblen Nachrede ebenso eingeschränkt wie durch die Pressegesetze, die Vorverurteilungen von Verdächtigen verbieten. Ganz in diesem Sinne hatte US-Präsident George W. Bush nach 9/11 vor den Vereinten Nationen in New York verkündet:
Wir müssen die Wahrheit über den Terror aussprechen. Lasst uns niemals frevelhafte Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September tolerieren, boshafte Lügen, die bezwecken, die Schuld von den Terroristen selbst abzulenken, weg von den Schuldigen.
George Bush
Das Problem bei der Ablehnung derart frevelhafter Verschwörungstheorien war nur, dass zu diesem Zeitpunkt die "Wahrheit über den Terror" des 11.9. nicht bekannt war – und der Präsident eine regierungsamtliche Ermittlung gerade abgelehnt hatte, weil dies zu viele Kräfte binde, die jetzt zur Verhinderung weiterer Anschläge gebraucht würden. Erst 15 Monate später und nach massiven Protesten der Opferangehörigen, die sich nicht mit Entschädigungen zum Schweigen bringen lassen wollten, wurde eine 9/11-Untersuchungskommission eingesetzt.
Erzählung von Pleiten, Pech und Panen
Als dann fast drei Jahre nach der Tat deren Abschlussbericht 2004 erschien, war damit zwar ein wirkungsmächtiges Narrativ geschaffen – eine große Erzählung von Pleiten, Pech und Pannen, die es neunzehn Hijackern ermöglichten, mit Teppichmessern vier Flugzeuge zu entführen, die Luftabwehr stundenlang am Boden zu halten und drei Wolkenkratzer zu pulverisieren – doch mit der Realität hatte dieses Narrativ begrenzt zu tun. Weil der "Commission-Report" so viele Fragen und Ungereimtheiten zu Gunsten einer "runden" Geschichte ignorierte, war er kein Tatsachenbericht, keine kriminalistische Untersuchung, kein Ermittlungsergebnis im staatsanwaltlichen Sinne, sondern eher das, was man heute Doku-Fiction nennt – ein Stück, in dem fehlende Beweise durch Spielszenen ersetzt werden.
Zum Beispiel mit dem Geständnis eines Phantomzeugen aus dem Off, Khalid Sheik Mohamed (KSM), der als "Mastermind" die ganze Operation gesteuert haben soll und dessen unter Folter gewonnenen Erzählungen den Kern der Legende beweisen sollten: dass die Anschläge von Osama Bin Laden aus einer afghanischen Höhle organisiert worden waren. Beweise für die Täterschaft Bin Ladens indessen wurden bis heute nicht vorgelegt. Auf der "Most Wanted"-Liste der amerikanischen Polizei wird er wegen Bombenanschlägen auf Botschaften in Afrika gesucht, nicht aber wegen 9/11. Auf Nachfrage eines Journalisten sagte ein Sprecher des FBI, Rex Tomb, im Juni 2006 dazu:
Der Grund, warum 9/11 im "Most Wanted"-Eintrag Osama Bin Ladens nicht erwähnt wird, ist, dass das FBI keine stichhaltigen Beweise ("no hard evidence") hat, die Bin Laden mit 9/11 in Verbindung bringen.
Die offizielle Darstellung erfüllt alle Kriterien einer klassischen Verschwörungstheorie
Die dubiosen Wackelvideos mit den angeblichen Bekenntnissen Bin Ladens, die von hochrangigen Politikern und angesehenen Medienleuten als eindeutige Beweise für seine Schuld bezeichnet wurden, nimmt also selbst die Polizeibehörde nicht ernst. Dass die Gleichung 9/11 = Bin Laden dennoch in weiten Teilen der Öffentlichkeit wie ein Pawlowscher Reflex implementiert ist, liegt somit nicht an ihrem Realitätsgehalt, sondern nur an der Penetrationshäufigkeit, mit der die Botschaft über sämtliche Medien und Kanäle eingeprägt wurde.
Da wie bei der Frage nach der Verantwortlichkeit Bin Ladens die von der Untersuchungskommission präsentierten Beweise auch an vielen anderen entscheidenden Punkten dürftig sind oder ganz fehlen – von der Identität und Täterschaft der 19 Hijacker, über die Zeitangaben der zivilen und militärischen Fluglotsen und Abfangpiloten bis zu den Fragen des Einsturzes von WTC 7 (sowie 100 weiteren Punkten die Professor David Ray Griffin auflistet) – erfüllt die offizielle Darstellung alle Kriterien einer klassischen Verschwörungstheorie.
Dagegen wäre, wie oben dargelegt, nichts einzuwenden, denn Theorien des Verdachts sind, solange keine definitiven Beweise vorliegen, ein notwendiges und vernünftiges Werkzeug der Wahrheitsfindung. Doch im Falle 9/11 wird dieses Werkzeug vom ersten Tag an missbraucht, eine auf Indizen und Verdachtsmomenten beruhende Theorie wird als Realität und Wahrheit verkauft und zur Agitation und Propaganda benutzt.
Dieser Missbrauch einer Verschwörungstheorie, die Tatsache, dass die unbewiesene Gleichung 9/11 = Bin Laden bis heute als Leitmotiv für den Krieg in Afghanistan dient, ist der eigentliche Grund, warum jede Kritik an dieser Doktrin als "Verschwörungstheorie" diffamiert wird und der neutrale Begriff zu einem Tabuwort wurde: Nur wenn alle alternativen Theorien als Verschwörungstheorien stigmatisiert werden, kann sich die größte von allen, das Dogma der offiziellen Version, als Wahrheit gerieren.
Zweifel an der offiziellen Theorie haben sich bestätigt
Es war eher ein Zufall, dass ich am 11.9.2001 die Ereignisse sofort aus verschwörungstheoretischem Blickwinkel betrachtete. Einige Monate zuvor hatte ich mit der Arbeit an einem Buch über Verschwörungen und Verschwörungstheorien begonnen, die ich strukturell anhand historischer Beispiele untersuchen wollte. Als ich den Fernseher einschaltete, standen die Türme noch und es wurde zum ersten Mal der Name Osama Bin Laden genannt. Ganz schnell wurde er dann vom verdächtigten, zum vermuteten, wahrscheinlichen und zum einzig möglichen Schuldigen. Und mit diesem Paradox – ein völlig überraschender, unfassbarer Anschlag einerseits, aber andererseits zieht man den Täter sofort aus dem Hut – war ich wieder mitten in meinem Thema: Wie mit Verschwörungstheorien Feindbilder und Sündenböcke konstruiert werden und wie solchen Theorien – denen ja per se der definitive Beweis fehlt – in der Praxis immer wieder gerne nachgeholfen wurde, mit Aktionen unter falscher Flagge.
Aus diesem Blickwinkel schrieb ich am 12.9. den ersten Artikel für Telepolis, aus dem dann eine ganze Serie (The WTC-Conspiracy) und zwei Bücher wurden. Denn in den Berichten über das Ereignis kamen jeden Tag neue Merkwürdigkeiten, Ungereimtheiten, Widersprüche auf. Und das hat bis heute nicht aufgehört, im Gegenteil. Vieles, was damals im Konjunktiv und mit Fragezeichen formuliert werden musste, hat sich in der Zwischenzeit bestätigt, die Hinweise auf einen "inside job" sind überwältigend - und es braucht kein bestimmtes Gen, sondern nur einen IQ über Zimmertemperatur, um das anhand der offenen Fragen und ungeklärten Widersprüche zu erkennen.
Sehr viel schwieriger ist es dann aber, sich dieser Erkenntnis auch bewusst zu stellen. Denn was sagt es über den Zustand der Politik, der Medien, des Gemeinwesens, wenn 9/11 tatsächlich ein Inside-Job war, wenn unsere gewählten Repräsentanten tatsächlich 3.000 Menschen opfern, um ihre politischen Ziele zu erreichen, und wenn die "vierte Säule der Demokratie" – die freie Presse – tatsächlich über Jahre hinweg eine Verschwörungstheorie als historische Wahrheit verbreitet ? Das ist finster, ungeheuerlich, das kann nicht sein, das darf nicht sein.
Es ist diese psychologische Schwelle, die dafür sorgt, dass man das dann doch eher ausblendet, die kritische Vernunft ausschaltet und sich lieber dem Höhlenmärchen von Osama und der wilden 19 anheimgibt, als in diesem Abgrund zu schauen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Wenn dagegen auf patriotsquestion911.com über 2.000 Honoratioren – Professoren, Piloten, Militärs, Geheimdienstler, Architekten usw. – ihren Unglauben bekunden und eine neue Untersuchung fordern, lässt das ein wenig hoffen. Denn diese Phalanx teilweise hoch dekorierter Experten und Autoritäten kann nicht mehr als einfach fanatisch, verrückt, antisemitisch, antiamerikanisch oder sonst irgendwie extremistisch denunziert werden. Die bisherige Verteidigungslinie der offiziellen Verschwörungstheorie – das Lächerlichmachen und die Diffamierung jeder Kritik – versagt da zunehmend, weshalb in einigen Think-Tanks über neuen Strategien gebrütet wird.
Eher noch traditionell versucht eine eben erschienene Studie alle 9/11-Skeptiker in die Nähe des Terrorismus zu rücken, aber die US-Regierung scheint schon ein Stück weiter. Ein enger Vertrauter Barack Obamas, Cass Sunstein, empfiehlt in einem Papier die "kognitive Infiltrierung" des 9/11-Truth-Movements. Von der Regierung bezahlte Agenten und Autoren sollen die Bewegung von innen diskreditieren. Die offizielle Verschwörungstheorie soll also dadurch gestärkt werden, dass die Regierung nun selbst alternative Theorien unter das Volk bringt. Nicht um der Wahrheitsfindung willen, sondern um die Verwirrung zu steigern. Wir dürfen also gespannt sein, was zum 10. Jahrestag 2011 da alles aufgefahren wird.